Die Armeeführung hat am 27.03.2024 entschieden, dass das Referenzmodell für Führung, Erziehung und Ausbildung, kurz «Leadership-Modell», die Grundlage für Aus- und Weiterbildungen in der Schweizer Armee und Gruppe Verteidigung sein soll. Es gilt gleichermassen für Milizangehörige, Berufsmilitär und Zivilangestellte.
Das Referenzmodell wurde im Rahmen eines Thesenpapiers entwickelt, das vom Kommando Führungs- und Kommunikationsausbildung (KFK) gemeinsam mit der Dozentur Führung und Kommunikation (F+K) der Militärakademie an der ETH Zürich im Jahr 2023 verfasst wurde. Das Thesenpapier wurde in stratos 2-23, der militärwissenschaftlichen Zeitschrift der Schweizer Armee, veröffentlicht und ist nachfolgend in seiner aktuellsten Version wiedergegeben.
Kommentare, Ergänzungen und Nachfragen gerne direkt an (HKA) und/oder an (KFK).
Weisspapier Führung
1 Der Kontext
Kontext
1.1 Neue Herausforderungen
- Zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekriegs ist die Schweizer Armee folgenreichen externen Faktoren ausgesetzt.
- Vier Faktoren können hervorgehoben werden:
- Die Rückkehr der Rivalität der Grossmächte;
- Der technologische Fortschritt;
- Die Urbanisierung;
- Demographie und Armeebestände.
- Die Rückkehr der Rivalität der Grossmächte wird als strategische Wende bezeichnet, wobei die Entwicklung absehbar war1. Die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Konfrontation der Schweiz oder ihrer Wirtschaftspartner ist höher als je seit Ende des Kalten Krieges.
- Es werden erste strategische, aber noch kaum operative und taktische Folgen thematisiert. Führung und Führungsausbildung in der Schweizer Armee haben sich seit 2004 auf subsidiäre Einsätze ausgerichtet. Deshalb bedingt die Rückkehr zur Verteidigungsfähigkeit einen Wandel in der Führung, konkret in Doktrin, Kultur sowie Prozessen und Strukturen.
- Der technologische Fortschritt erhöht die Komplexität der Kriegsführung. Cyber- und Informationsraum ergänzen konventionelle Bedrohungen. In der Luftwaffe steht ein Technologiesprung an. Bei den Bodentruppen wurden die Chancen und Risiken, etwa betreffend Drohnen und autonomen Waffensystemen, noch nicht umfassend erkannt.
- Künstliche Intelligenz wird die Entscheidungsfindung und Stabsarbeit revolutionieren, wobei ihr Einsatz schon heute möglich wäre. Eine radikale Umgestaltung der Führungs- und Planungsprozesse2 ist erforderlich, auch in Bezug auf die Interoperabilität.
- Darüber hinaus ist zu antizipieren, wie Formen der Leistungssteigerung, etwa Neuro-Enhancement, oder Echtzeitüberwachung mittels Bioindikatoren die Führung beeinflussen werden.
- Die Urbanisierung der Schweiz nimmt weiter zu. Ihre Bevölkerungsdichte3 war 1950 noch mit jener Österreichs4 vergleichbar und weit von jener Deutschlands5 entfernt. 2035 werden wir6 Deutschland überholt haben, während Österreich7 das Schweizer Niveau von 1950 erreichen wird.
- Die Schweiz wird damit entlang der West-Ost-Achse zur durchgehenden urbanen Zone, was Anpassungen an die Kriegsführung bedingt:
- Entsprechende C2-Strukturen und Kommunikationsmittel;
- Geeignete Sensoren, Wirkmittel und Feuerführung;
- Militärethische Leitlinien für die urbane Kriegsführung im eigenen Land.
- Das demografische Wachstum bei steigendem Bevölkerungsanteil mit ausländischer oder doppelter Staatsangehörigkeit fällt mit sinkenden Armeebeständen zusammen. 1990 waren noch 12,1% der Bevölkerung eingeteilt, 2020 nur noch 1,7%. Noch nie hatte die Schweiz so wenige Armeeangehörige auf so viele Einwohner.
- Gleichzeitig hatte die Schweiz im Jahr 2020 nicht nur 143 372 Armeeangehörige, sondern auch 2,3 Millionen Schusswaffen8 in Privatbesitz. Im Kriegsfall ist daher von Hunderttausenden von freiwilligen Kämpfern auszugehen.
- Die Nutzung dieses Potenzials ist eine militärstrategische und letztlich politische Frage.
- In jedem Fall wären Führungskräfte in ihrem Raum mit irregulären Truppen konfrontiert, die ihre eigenen zahlenmässig übertreffen können. Daraus folgen anspruchsvolle taktische, ethische und disziplinarische Führungsaufgaben.
- Die Schweiz muss dazu von anderen westlichen Armeen lernen und in einer spezifischen Lagebeurteilung die Unterschiede betreffend Gelände, Wehrmodell und Strategie berücksichtigen.
1.2 Führung, Erziehung und Ausbildung
- In der Schweizer Armee ist wegen des Milizprinzips und des Grundsatzes «Lehrlinge bilden Lehrlinge aus» jede Führungskraft grundsätzlich auch Ausbildungskraft.
- Das Nebeneinander von Führung, Ausbildung und Erziehung ist im Dienstreglement (DRA)9 prominent verankert.
- Im Militär ist der Begriff der Erziehung nach wie vor opportun, weil diese Zwangsgemeinschaft einer besonderen Einflussnahme auf Werte und Haltungen bedarf, die den Formungsbedarf im Zivilen übertrifft.
- In Wirtschaft und Verwaltung ist Erziehung ein problematischer Begriff, was dort eine Anpassung der Terminologie an das zivile Verständnis erfordert.
- Der Sicherheitsverbund Schweiz bedingt zusätzlich den begrifflichen Abgleich mit den Bevölkerungsschutz-Partnern.
- Die Frage nach der Vollständigkeit der Triade «Führung, Erziehung und Ausbildung» ist berechtigt. Der deutsche General Naumann hielt fest, «dass Offiziere und Unteroffiziere neben der Aufgabe als Führer, Ausbilder und Erzieher ihrer Soldaten eben auch Kämpfer seien10.»
- Inhaltlich ist diese Ergänzung sinnig; die Rückkehr zur Verteidigungsfähigkeit bedingt, dass militärische Kader mental nicht primär Helfer, Retter oder Schützer, sondern in erster Linie Kämpfer sein müssen.
- Semantisch besteht jedoch ein kategorischer Unterschied: Führung, Erziehung und Ausbildung ist für die Kader tägliches Geschäft. Nur eine verschwindende Minderheit aber kämpft oder hat je gekämpft.
- Es geht also nicht darum, Führung, Erziehung und Ausbildung durch «Kampf» zu ergänzen, sondern vom Kämpfen her zu denken. Kampf im Sinne der Landesverteidigung mit robusten kinetischen Mitteln ist der primäre Zweck der Armee. Führung, Erziehung und Ausbildung sind nur Mittel zum Zweck.
- Die klare Priorisierung der Landesverteidigung ist nötig, da Führung, Erziehung und Ausbildung auf den anspruchsvollsten Auftrag auszurichten sind. Dies stellt die Relevanz der weiteren Armeeaufträge nicht in Frage.
1.3 Der zivile Hintergrund
- Durch die Miliz ist das Kader der Schweizer Armee in Wirtschaft und Verwaltung verankert; der militärische Diskurs über Führung kann deshalb nicht losgelöst vom Zivilen betrachtet werden. Die gegenseitige Bereicherung ist Teil des Schweizer Erfolgsmodells.
- Ein seit den 1970er-Jahren11 beliebter Topos ist der Gegensatz von Leadership und Management (siehe Tabelle 1). Daraus wurde später die Transformationale Führung entwickelt12.
Bereich | Leader | Manager |
---|---|---|
Umfeld | Veränderung | Stabilität |
Verhältnis | Followers | Unterstellte |
Stil | Transformational | Transaktional |
Regeltreue | bricht Regeln | macht Regeln |
Umgang | Vertrauen | Kontrolle |
Risikoorientierung | geht Risiken ein | minimiert Risiken |
Detailtreue | Freiheiten | Micromanagement |
- Der transformationale Leader ist dem transaktionalen Manager überlegen, doch Wirksamkeit bedingt auch Organisiertheit. Der ideale Chef vereint deshalb beide Fähigkeiten, was den ersten Schritt zur ganzheitlichen Führung von Mensch und Organisation darstellt.
1.4 Der militärische Kontext
- Armeen kennen zwei Zustände, den cold state und den hot state13. Diese beschreiben die Organisation und nicht den Menschen, weshalb sie nicht mit der mentalen Bereitschaft einer Wache oder eines Piloten zu verwechseln sind.
- Der hot state ist der Kriegsfall als Zustand, auf den sich die Armee auszurichten hat. Im hot state gelten zahlreiche andere Normen, vom Kriegsvölkerrecht bis hin zur Militarisierung der Verwaltungsangestellten.
- Der cold state entspricht der normalen Lage, einem Zustand der Bürokratie. Der cold state ist kein Selbstzweck, er dient alleine der Vorbereitung auf den hot state. Menschen und Organisationen werden jedoch durch den herrschenden Zustand geprägt. Deshalb ist der cold state in jeder Hinsicht und besonders in der Führung so nahe wie möglich am hot state auszurichten.
- Militärische Führung ist anders, weil militärisches Funktionieren den Soldaten wegzerrt von der zivilen Lebensrealität. Daraus ergibt sich eine fundamentale Spannung in Streitkräften demokratischer Staaten. In Armeen müssen Individuen ihre Bedürfnisse zugunsten des Auftrags zurücknehmen, während die Gesellschaft den individuellen Bedürfnissen maximalen Raum zugesteht.
- Im Militär geht es letztlich darum, zu töten und das Töten zu befehlen sowie das eigene und fremde Leben willentlich zu gefährden. Dies impliziert besondere Risiken, ethische Herausforderungen, psychologischen Druck und Gruppendynamiken, die im Zivilen so nicht bestehen. Militärisches Führen ist deshalb ein Führen sui generis. Mit seinen Anforderungen und Werten steht es, ungeachtet seiner Legitimation, ausserhalb des Funktionierens rechtsstaatlicher, demokratisch organisierter Zivilgesellschaften.
- Gleichzeitig muss das Führungsverständnis in der Schweizer Armee beim herrschenden Zustand, dem cold state, ansetzen und die zivile Prägung ihrer Angehörigen berücksichtigen.
2 Der Ansatz
Ansatz
- Die Betrachtung «Leadership vs. Management» ist nicht vollständig. Es ist in Wirtschaft wie im Militär denkbar, dass ein Chef alle menschlichen und organisatorischen Anforderungen erfüllt, aber dennoch scheitert.
- Wirtschaftliche wie militärische Fehlentscheide lassen sich durch menschliche oder prozessuale Kompetenzen nur bedingt vermeiden. Ohne taktische Expertise kann die tadellose Aktionsplanung eines menschlich vorbildlichen Offiziers zu falschen Entschlüssen führen.
- Stephen Bungay hat daher vorgeschlagen, Leadership und Management durch einen «intellektuell-konzeptionellen» Aspekt Command zu ergänzen14.
- Der Chef der Armee hat festgelegt15, dass Führung in der Schweizer Armee dreiteilig im Sinne von Command, Leadership und Management zu verstehen ist.
- Abgrenzung und Interpretation der drei Aspekte sind Gegenstand militärwissenschaftlicher Forschung und Diskussionen in den kommenden Jahren. Tabelle 2 stellt eine Differenzierung als Arbeitsgrundlage dar.
Aspekt | Command | Leadership | Management |
---|---|---|---|
Herausforderungen | inhaltliche | menschliche | organisatorische |
Lösungsansätze | konzeptionelle | gemeinschaftliche | institutionelle |
Ausrichtung | Auftrag | Mensch | Organisation |
- Nur eine abgestimmte Kombination von Command, Leadership und Management erlaubt es den Menschen in einer Organisation, den Auftrag gemeinsam zu erfüllen.
- Führungskräfte müssen nicht alle drei Aspekte gleichermassen beherrschen. Sie sind stets in Teams eingebettet, deren Mitglieder sich ergänzen.
- In flachen Teams können Fähigkeiten breit auf die Mitglieder verteilt werden, unter minimalen Auflagen im jeweiligen Aspekt:
- Grundverständnis der gemeinsamen Aufgabe (Command);
- Offenheit, Ehrlichkeit und Wertschätzung im Umgang mit eigenen und fremden Stärken und Schwächen (Leadership);
- Organisationskenntnis und hinreichend Selbstdisziplin (Management).
- In hierarchischen Teams, wie sie in der Armee häufig sind, sind Fähigkeiten stärker an die jeweilige Funktion gekoppelt.
- Kommandanten benötigen zwingend Command-Fähigkeiten. Auch fehlende Leadership-Fähigkeiten können nur schwer kompensiert werden. Fähigkeitslücken im Management können durch Führungsgehilfen besser aufgefangen werden.
- Führungsgehilfen, besonders Generalstabsoffiziere, benötigen ausgeprägte Command- und Management-Fähigkeiten. Lücken im Leadership kommen bei ihnen weniger zum Tragen, sind aber im hot state dennoch problematisch.
- Aufgrund der inhaltlichen Nähe (These 16) ist es sinnvoll, die drei Dimensionen der Führung auch auf die Erziehung und Ausbildung auszuweiten zum sogenannten Standardmodell (siehe Abbildung 1).
- Das Modell soll erlauben, Führung, Erziehung und Ausbildung zu reflektieren und zu verbessern. Es soll der wissenschaftlichen Forschung einen Rahmen und praxisorientierten Diskussion eine Grundlage für die Weiterentwicklung bieten.
2.1 Command
- Command ist der auf den Auftrag ausgerichtete Aspekt der Führung.
- Erfolgreiches Command bedingt in der Ausbildung entwickelte Handlungssicherheit (These 85) und in der Erziehung vermittelten Sinn (These 82).
- Herausforderungen im Command sind inhaltlicher Art. In der Armee sind das je nach Führungsstufe gefechtstechnische, taktische, operative oder militärstrategische Probleme.
- Lösungen im Command sind konzeptioneller Natur. Die Doktrin kann hierbei unterstützen, solange sie nicht einschränkt. Gute Doktrin zeigt auf, wie Führungskräfte erfolgreich handeln können und nicht was sie tun müssen.
- Da sich Aufträge massgeblich unterscheiden können, sind Command-Kompetenzen spezifisch. In der Wirtschaft sind diese branchenabhängig und fortlaufend weiterzuentwickeln. Im Fall der Armee entspricht das aktuell dem Wiedererlangen der Verteidigungsfähigkeit.
- Verantwortung ist ein zentraler Begriff des Commands und wiegt im militärischen Kontext besonders schwer, da sie auch das Töten und Sterben umfasst. Die Führungsverantwortung liegt deshalb stets beim militärischen Vorgesetzten.
- Die Einsatzverantwortung ist davon abgegrenzt und liegt aufgrund des Primats der Politik stets auf der zivilen Seite. Auf welcher Stufe diese in die militärische Führung eingreifen, hängt von der Aufgabe ab. Bei subsidiären Einsätzen kann dies auf unterster taktischer Stufe sein. Im Kriegsfall erhält der Oberbefehlshaber die Aufträge für die gesamte Armee von der Politik.
- Führen mit Auftrag, meist als Auftragstaktik bezeichnet, ist das wesentliche Prinzip der Führung der Schweizer Armee in allen Lagen. Die entsprechenden Ausführungen in den Reglementen sind uneingeschränkt gültig und zielführend.
- Auftragstaktik ist ein generischer Ansatz zur konzeptionellen Lösung inhaltlicher Probleme und deshalb dem Command zuzuordnen. Sie zeichnet sich durch minimale inhaltliche Vorgaben der Führungskraft aus. Dies führt zu dezentralisierten Entscheidungen und maximalem Einbezug der Unterstellten.
- Dem steht die Verlockung zentraler Instanzen gegenüber, die Handlungsfreiheit der Unterstellten stärker einzuschränken als erforderlich.
- Weitergehende Einschränkungen sind zu vermeiden, heute jedoch in Befehlen, Reglementen und Weisungen omnipräsent, was die Auftragserfüllung letztlich gefährdet16.
2.2 Leadership
- Leadership ist der auf den Menschen ausgerichtete Aspekt der Führung.
- Erfolgreiches Leadership erfordert in der Ausbildung entwickelte Verhaltenssicherheit (These 86) und in der Erziehung vermittelte Werte (These 83).
- Herausforderungen im Leadership sind menschlicher Art. In der Armee reicht das von der Selbstführung über die direkte (Gruppen-)Führung bis zur indirekten (Verbands-)Führung von Unterstellten.
- Lösungen im Leadership sind gemeinschaftlicher Natur. Die Kultur kann hierbei unterstützen, solange sie nicht einschränkt. Gute Kultur hält dazu an, wie sich Führungskräfte erfolgreich verhalten sollen und nicht was sie tun müssen.
- Obwohl sich Menschen unterscheiden, existieren generische Leadership-Kompetenzen. Das Wiedererlangen der Verteidigungsfähigkeit erhöht dabei die Anforderungen. Die in subsidiären Einsätzen geforderte Verhaltenssicherheit ist im Kriegsfall nicht ausreichend. Wer hingegen diesem erhöhten Anspruch gerecht wird, kann auch subsidiäre Einsätze bewältigen.
- Vertrauen, namentlich in Vorgesetzte, Unterstellte und in die eigenen Fähigkeiten, ist für Leadership zentral. Ein gefestigtes Vertrauen ist Grundlage für den Erfolg im Kriegsfall. Dies bedingt eine gesunde Verbandskultur, militärisch Korpsgeist genannt, der nur in gemeinsamen Diensten und Verbänden aufgebaut werden kann.
- Auflockerungen des Zusammenhalts stören die Verbandskultur. Ursache sind einerseits personelle Fluktuationen, etwa die gängige Praxis häufiger Dienstverschiebungen oder der erleichterte Zugang zum Zivildienst. Andererseits stören den Korpsgeist auch sämtliche Formen der Diskriminierung, etwa aufgrund von Sprache, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Religion.
- Fluktuation und Diskriminierung können zu Vertrauensverlust in einem Verband führen, was das Kriegsgenügen gefährdet, denn Vertrauen ist in der Auftragstaktik unabdingbar. Umso wichtiger sind die Anstrengungen der Kader, einen gesunden Korpsgeist zu etablieren.
- Auftragstaktik bedingt bestimmte gemeinschaftliche Ansätze zur Lösung menschlicher Probleme und richtet damit auch Anforderungen an den Aspekt des Leaderships.
- Die dezentralisierte Entscheidungsfindung erhöht auch die menschlichen Anforderungen an die Unterstellten, die aufgrund höherer Handlungsfreiheit mit anspruchsvolleren Fragen konfrontiert sind. Dazu muss die Verbandskultur zusätzlich Fehlertoleranz und Lernwillen umfassen.
- Menschlich birgt die Auftragstaktik aber auch zahlreiche Chancen. So können dezentralisierte Entscheidungen dazu beitragen, Machtmissbrauch einzudämmen.
2.3 Management
- Management ist der auf die Organisation ausgerichtete Aspekt der Führung.
- Erfolgreiches Management erfordert in der Ausbildung entwickelte Verfahrenssicherheit (These 87) und in der Erziehung vermittelte Ordnung (These 84).
- Herausforderungen im Management sind organisatorischer Art. In der Armee betrifft das auf jeder Führungsstufe Probleme der Aktionsplanung und der Lageverfolgung.
- Lösungen im Management sind institutioneller Natur. Prozesse können hierbei unterstützen, solange sie nicht einschränken. Gute Prozesse ermöglichen, wie Führungskräfte verfahren wollen und schreiben nicht vor, was sie tun müssen.
- Organisationen kennen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Eigenheiten. Daher existieren einerseits generische Management-Kompetenzen wie der Führungsprozess als heuristisches Entscheidungsverfahren und andererseits spezifische Prozesse wie jener der Artilleriefeuerleitung.
- Der Kernprozess militärischer Führung besteht im OODA-Loop, bestehend aus Beobachtung, Orientierung, Entscheidung und Aktion17. Zentral ist nicht die Entscheidung, sondern die Orientierung, in welcher auf Basis der Informationen und geprägt durch Veranlagungen, Erfahrungen und Kultur die Lageauffassung konsolidiert und laufend revidiert wird. Nicht Decision-, sondern Sense-Making steht im Vordergrund.
- Damit reflektiert der Loop, dass militärische Interaktion stets durch eine gewisse Nicht-Planbarkeit geprägt ist. Übungen oder statische Aufträge können in einer Synchronisationsmatrix fixiert werden, aber dieser Ansatz versagt im Krieg, da die Interaktion zwischen dem Gegner, den eigenen Mitteln und weiteren Faktoren kaum vorhersehbar ist. All dies bedingt eine Verlagerung weg von der Planung, hin zur Führung.
- Die Orientierung erlaubt den Kadern explizite Entscheidungen. Oft werden Beobachtungen und Aktionen aber implizit durch die Orientierung bestimmt. Eng damit verknüpft ist das Prinzip der Auftragstaktik. Mit ihr soll ein Minimum explizit, aber ein Maximum implizit, im Rahmen der Handlungsfreiheit der Unterstellten, entschieden werden.
- Dies erfordert eine Synchronisierung, die über die Lageauffassung und nicht über Handlungsrichtlinien verlaufen soll, da letztere auch explizite Entscheide sind. Damit ergeben sich im Krieg zwei entscheidende Vorteile: Handlungsfreiheit, da eine gemeinsame Lageauffassung weniger einschränkt als explizite Entscheide. Geschwindigkeit, da eine Lageauffassung Veränderungen zeitnah aufnehmen kann, während Entscheidungen zeitintensiv sind. Zusammen ermöglicht dies die für den Erfolg notwendige Agilität.
3 Das Standardmodell
Das Standardmodell

- Command als auftragszentrierte Führung etabliert sich in der Doktrin. Der bestimmende Ansatz für die Schweizer Armee ist hierbei die Auftragstaktik.
- Leadership als menschenorientierte18 Führung etabliert sich in der Kultur. Der bestimmende Ansatz für die Schweizer Armee ist hierbei die Militärethik.
- Management als organisationsbasierte Führung etabliert sich in Strukturen und Prozessen. Der bestimmende Ansatz für die Schweizer Armee ist hierbei abhängig vom gewählten Technologiegrad.
- Ansätze in einem Aspekt wirken sich stets auch in den anderen Aspekten aus.
- Auftragszentrierte Erziehung heisst, Sinn zu vermitteln, was das Command stärkt.
- Menschenorientierte Erziehung heisst, Werte zu vermitteln, was die Leadership stärkt.
- Organisationsbasierte Erziehung heisst, Ordnung zu vermitteln, was das Management stärkt.
- Auftragszentrierte Ausbildung schafft Handlungssicherheit, die für erfolgreiches Command zwingend ist.
- Menschenorientierte Ausbildung schafft Verhaltenssicherheit, die für erfolgreiche Leadership zwingend ist.
- Organisationsbasierte Ausbildung schafft Verfahrenssicherheit, die für erfolgreiches Management zwingend ist.
4 Fazit
Fazit
4.1 Fazit
- Eine Besonderheit der Armee ist die im DRA verankerte Anforderung an ihre Angehörigen, im Ernstfall den Auftrag unter Einsatz des eigenen Lebens zu erfüllen. Das unterscheidet sie von sämtlichen Organisationen der Zivilgesellschaft und in der Absolutheit des Anspruchs auch von den Blaulichtorganisationen, die zwar vergleichbare, aber weniger weitreichende Ansprüche erheben.
- Diese Priorität des Auftrags bei gleichzeitiger Achtung der Menschenwürde stellt für militärische Führungskräfte ein Spannungsverhältnis dar, das nicht abschliessend aufzulösen ist.
- Nicht obwohl, sondern weil Führungskräfte diese Spannung aushalten müssen, haben sie sich am Menschen zu orientieren. Nur so können sie verhindern, dass der Mensch zum reinen Mittel verkommt.
- Der Mensch ist alleine Zweck. Armeeangehörige stehen mit ihrem Leben letztlich für jene Männer, Frauen und Kinder ein, die sich gegen einen Aggressor nicht wehren können oder wollen. Militärdienst ist also nicht kollektive Notwehr, sondern organisierte Notwehrhilfe.
- Die Achtung der Menschenwürde und das Einhalten des Kriegsvölkerrechts stellen für die Armee nicht leidige Einschränkungen dar, sondern die Berechtigung zum militärischen Handeln in einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung überhaupt.
- Führung erfolgt meist im Kontext von Organisationen. Dies erlaubt, die erforderlichen Führungsfähigkeiten auf mehrere Personen aufzuteilen. Die Wirksamkeit der Konstellation übertrifft dann jene der einzelnen signifikant.
- Folglich stellt gute Führung nicht primär eine Qualität des Vorgesetzten dar, sondern der Gruppe oder des Verbandes. Deshalb fliessen in die Führungsqualität einer Führungsstufe auch die Qualitäten der nachgeordneten Stufen ein.
- Nur durch die gleichzeitige Berücksichtigung des Auftrags (Command), der Menschen (Leadership) und der Organisation (Management) können Führungskräfte ihre Verantwortung ganzheitlich wahrnehmen. Erfolgreiche Führung ist daher auftragszentriert, menschenorientiert und organisationsbasiert.
Fussnoten
- NDB (2023). Sicherheit Schweiz. Lagebericht des Nachrichtendienstes des Bundes. Bern: BBL, Vertrieb Bundespublikationen. ↩︎
- FSO 17 (2021). Führung und Stabsorganisation der Armee 17, zweite überarbeitete Auflage. ↩︎
- 114 Einw/km2; Bundesamt für Statistik BfS, Bevölkerungsdaten im Zeitvergleich, 1950-2021 ↩︎
- 83 Einw/km2; Statistik Austria, Historische Volkszählungen ↩︎
- 194 Einw/km2 (1950) bzw 236 Einw/km2 (2035) Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung BiB, Bevölkerungsstand in Deutschland, 1950 – 2060 ↩︎
- 236 Einw/km2; Bundesamt für Statistik BfS, Schweiz-Szenarien, 2020-2050 ↩︎
- Statistik Austria, Bevölkerungsprognosen für Österreich und die Bundesländer ↩︎
- Small Arms Survey 2018 ↩︎
- Dienstreglement der Armee (DRA) vom 22. Juni 1994, Stand am 1. Januar 2022. SR 510.107.0. ↩︎
- Klaus, Naumann, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, auf der Kommandeurtagung in Leipzig vom 14.05.1992. Tonbandmitschnitt Band 48, S. 1, BArch-MA, BW 2/19453. ↩︎
- Zaleznik, A. (1977). Managers and Leaders: Are They Different? Harvard Business Review 22(3). ↩︎
- Bass, B. (1984). Leadership and performance beyond expectations. New York: Free Press. Bass, B. M., & Riggio, R. E. (2006). Transformational Leadership. 2nd edition. New Jersey: Lawrence Erlbaum. ↩︎
- Soeters, J. L., Winslow, D. J., & Weibull, A. (2006). Military culture. Handbook of the Sociology of the Military, 237-254. ↩︎
- Britischer Managementtrainer und Historiker. Bungay, S. (2011). The executive’s trinity: management, leadership—and command. The Ashridge Journal, 35-39. ↩︎
- Korpskommandant Thomas Süssli im Rahmen der Strategischen Initiative Nr. 18 «Leadership» ↩︎
- Zur Sensibilisierung sei ein beliebiges Bf Dossier eines Gs Vb oder ein allgemeingültiges Reglement wie z B die ODA unter diesem Blickwinkel zu lesen. ↩︎
- Im englischen Original Orient, Observe, Decide, Act. Boyd, J. (1986). A discourse on winning and losing: Patterns of conflict. Lecture notes. Washington, DC: US Department of Defense. ↩︎
- Steiger, R. (2023). Menschenorientierte Führung. 22 Thesen für den Führungsalltag. 20. Auflage. Frauenfeld: Huber. ↩︎
Literaturverzeichnis
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Bass, B. M., & Riggio, R. E. (2006). Transformational Leadership. 2nd edition. New Jersey: Lawrence Erlbaum.
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Bungay, S. (2011). The executive’s trinity: management, leadership—and command. The Ashridge Journal, 35-39.
FSO 17 (2021). Führung und Stabsorganisation der Armee 17, zweite überarbeitete Auflage.
Kern, Z. & Adabala, S. (2023). PeaceBot: ChatGPT’s Role in Conflict Prevention & Resolution. Georgetown Security Studies Review.
Dienstreglement der Armee (DRA) vom 22. Juni 1994, Stand am 1. Januar 2022. SR 510.107.0.
NDB (2023). Sicherheit Schweiz. Lagebericht des Nachrichtendienstes des Bundes. Bern: BBL, Vertrieb Bundespublikationen.
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Steiger, R. (2023). Menschenorientierte Führung. Anregungen für zivile und militärische Führungskräfte, 20. Auflage. Frauenfeld: Huber.
Zaleznik, A. (1977). Managers and Leaders: Are They Different? Harvard Business Review 22(3).