Ein Leitfaden für militärische Kader
Die Toolbox für militärische Kader ist Ihr umfassender Leitfaden, um Leadership und Management in der Schweizer Armee gezielt zu verbessern. Hier finden Sie eine breite Palette an Ressourcen, die sowohl praxisnah als auch theoretisch fundiert sind und ihnen Hinweise für das Vorgehen in herausfordernden Situationen geben können. Mit Videos, schriftlichen Anleitungen und digitalen Lernplattformen bieten wir Ihnen das notwendige Werkzeug, um Ihre Führungsfähigkeiten zu erweitern und sich den Herausforderungen des militärischen Alltags effektiver zu stellen.
Mit der Toolbox möchten wir nicht nur Ihre individuelle Kompetenz stärken, sondern auch den gegenseitigen Mehrwert zwischen Armee und Privatwirtschaft hervorheben. Durch anschauliche Fallbeispiele und animierte Videos wird komplexes Wissen spielerisch vermittelt – ideal, um sowohl erfahrene Kader als auch junge Rekruten zu erreichen. Unser Ziel ist es, Sie optimal auf Ihre Führungsaufgaben vorzubereiten und gleichzeitig die Attraktivität und Effektivität der militärischen Ausbildung zu steigern. Nutzen Sie diese Gelegenheit, um Ihre Fähigkeiten zu erweitern und neue Perspektiven für Ihre Karriere zu entdecken.
Inhaltsverzeichnis
- Fallbeispiel 1
- Fallbeispiel 2
- Fallbeispiel 3
- Fallbeispiel 4
- Fallbeispiel 5
Fallbeispiel 1
Situation
Rekrut F. will beim Mittagessen noch einmal nachfassen und geht wieder an die Fassstrasse. Er lässt dabei sein Sturmgewehr bereits zum dritten Mal liegen. Als er zurückkommt, hat Leutnant U. sein Sturmgewehr bereits in den Händen.
Resultat
Lt U. weist den Rekr F. zurecht und hält fest, dass dies bereits das dritte Mal sei, dass er das Sturmgewehr liegen gelassen habe. Mit der Bemerkung, sie seien schliesslich eine «Eliteeinheit» befiehlt Lt U. dem Rekr F. das Sturmgewehr während den nächsten 24 Stunden immer zu tragen. Rekr F. führt den Befehl gehorsam aus und trägt das Sturmgewehr auch unter der Dusche. Lt U. stellt am darauffolgenden Grossparkdienst fest, dass das Sturmgewehr bereits Rostflecken aufweist und nach Rücksprache mit dem Adj Uof (BM) müssen bereits in der 4. Woche der Rekrutenschule einige Teile wegen Rost ersetzt werden. Die Kosten der Sturmgewehr-Teile belaufen sich auf total 600 CHF.
Beurteilung
Eine Waffe darf nie liegen gelassen werden.
Rechtliche Einordnung
Keine strafbare Handlung des Rekruten nach Militärstrafgesetz (MStG).
Mögliche Lösung
- Mit dem Rekr ein Gespräch führen und den Vorsatz herausfinden. Hat der Rekrut absichtlich so gehandelt oder ist er einfach nur ungeschickt und zerstreut?
- Wenn Ungeschicklichkeit vorliegt, muss der Rekrut den ganzen Tag (während der Arbeitszeit!) sein Sturmgewehr «auf Mann» tragen und die Kader kontrollieren dies permanent.
- Sollte Rekrut F. sein Sturmgewehr erneut liegen lassen, kann eine Nacharbeit mit Repetition der Sicherheitsgrundregeln durchgeführt werden. Also Ausbildung und Sinnvermittlung durch die Kader, warum und weshalb eine Waffe nie liegen gelassen werden darf.
Hinweise für Vorgesetzte und militärische Kader
- Im Sinne vom MStG Art. 73 «Verschleuderung […]» kann eine Bestrafung desjenigen erfolgen, welcher diesen Befehl erteilt hat.
- Zudem ist höchstwahrscheinlich die Art und Weise der Waffeneinlagerung über Nacht auch in Befehlen der Kp Kdt Stufe geregelt. Dies würde auch einen Verstoss gegen diese Befehle darstellen.
- Des Weiteren ist es stark unhygienisch und kann zu körperlichen und psychischen Auswirkungen beim Rekruten führen.
Animiertes Beispielvideo #1
Fallbeispiel 4
Situation
RS Woche 13. Hauptfeldweibel (Hptfw) R. macht einen Rundgang durch die Rekrutenzimmer und kontrolliert deren Zimmerordnung. Im Zimmer 104 findet er enorme Unordnung vor. Hptfw R. wird wütend und befiehlt Übung IKEA statt Ausgang für die Rekruten des Zimmers 104. D.h. das komplette Zimmerinventar muss während dem Ausgang auf den Antrittsverlesen (AV) Platz transportiert werden und dort zu einer vorbildlichen Zimmerordnung aufgebaut werden. Die Rekruten brauchen bis in die späte Nacht dafür und ein Bett wird beim Transport erheblich beschädigt.
Resultat
Aus der Übung IKEA resultiert Materialschaden und die Ausbildungsqualität am nächsten Tag leidet darunter, da die Rekruten müde sind. Einige der betroffenen Rekruten sind möglicherweise als Fahrer ausgebildet und könnten aufgrund von zu wenig Ruhezeit ihren Fahrauftrag nicht durchführen, was wiederum das Umdisponieren der Milizkader erfordert.
Beurteilung
Gemäss Dienstreglement 51.002 sind in erster Linie die Milizkader für die Erziehung der Angehörigen der Armee zuständig (Kapitel 4). Die Erziehung soll auf der Stufe Erwachsenenbildung stattfinden und auf gegenseitiger Achtung und Respekt beruhen. Die Ausbildenden sollen günstige Rahmenbedingungen für die Ausbildung schaffen, was in diesem Fall nicht gegeben ist.
Rechtliche Einordnung
Wenn durch diese Handlung etwas zu Schaden kommt, ist eine strafbare Handlung im Sinne Militärstrafgesetz (MStG) Art. 73 «Missbrauch/Verschleuderung Mat» gegeben.
Mögliche Lösung
In allen Fällen
In allen schwierigen Führungssituationen gelten für Verantwortliche die folgenden einfachen Grundregeln:
- immer einen Schritt zurücktreten und als erste Handlung zuerst einmal durchatmen;
- sich nie hinreissen lassen und emotional und/oder aggressiv reagieren;
- erste Frage ist immer: «Muss ich sofort reagieren (Sicherheitsvorschriften, Selbstschutz, etc), oder kann ich es auf einen späteren Zeitpunkt verschieben?»
In diesem Fall
- Hptfw R. könnte sich kurz die Zeit nehmen, um zu überlegen, wie er auf diese Situation reagieren soll. Er könnte fragen, wieso die Zimmerordnung nicht den Vorgaben entspricht. Liegt es möglicherweise an der Zeit, die die Rekruten für die Erstellung der Zimmerordnung erhalten haben? Wissen die Rekruten, wie der Zielzustand der Zimmerordnung aussieht?
- Falls die Zeit der Grund ist, könnte dies am nächsten Kompanierapport angesprochen werden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Rekruten in Zukunft angemessen viel Zeit erhalten, um die Zimmerordnung gemäss den Vorgaben des Einh Fw zu erstellen.
- Falls der Zielzustand nicht klar ist oder es andere Gründe für die Unordnung gibt, kann eine Nachausbildung angeordnet werden. Je nach Situation kann diese während der Ausbildungszeit oder im Ausgang stattfinden. So könnte Hptfw R. die Rekruten ausbilden und erziehen.
- Wenn die vorgeschlagenen Lösungen 1-3 umgesetzt wurden und die Zimmerordnung mehrmals nicht erfüllt wurde, kann ein Biwak für das betroffene Zimmer angeordnet werden im Sinne einer geplanten Strafaufgabe gemäss Dienstreglement (DR) 04 Art 47. Der Entzug von angenehmen Dingen wirkt in diesen Fall als erzieherische Massnahme. Wichtig ist zudem, dass die Kader, welche ihre Kontrollfunktion nicht wahrgenommen haben, auch dabei sind. Sie sollen verantwortlich sein für die Umsetzung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Biwak Platz. Achtung: Auf solche Aktionen ist bei schlechter Witterung, am Freitagabend und auf dem AV Platz zu verzichten.
Hinweise für Vorgesetzte und militärische Kader
- Wenn der Materialschaden gross ist, ist eine disziplinarische Bestrafung notwendig.
- Die Ausbildung und Erziehung der Rekruten sind in erster Linie Verantwortung der Milizkader. Es ist wichtig, dass diese Verantwortung wahrgenommen wird und günstige Voraussetzungen für die Ausbildung geschaffen werden. Die Massnahme sollte immer direkten Bezug zum Fehlverhalten haben.
Bezug zu den Modulhandbüchern (MHB)
- MHB 2, Kapitel 4 Zeitmanagement
- MHB 2, Kapitel 5 Stress, Stressbewältigung, Stressprävention
- MHB 5, Kapitel 2 Führungsfeld (Motivation)
- MHB 5, Kapitel 9 Führungsfehler
Fallbeispiel 5
Situation
Es geht darum, dass in der Rekrutenschul (RS) Woche 4 eine Zugsübung stattfindet. Der Zug AMBOSS ist im Wald und der Zfhr hat den ganzen Zug im Daher für die Befehlsausgabe der Phase 2. Der eine Grfhr widersetzt sich dem Befehl (Bf) des Zfhr verbal. Dieser reagiert darauf mit Liegestützen für den ganzen Zug, bis einige Rekruten am Ende ihrer Kräfte sind und die Motivation im Keller ist.
Resultat
Die Rekruten sind aufgrund der Liegestützen körperlich müde und die Motivation ist im Keller. Ausserdem verlängert sich die Zeit, die zum Bezug des Biwakraums (Zeltplatz) benötigt wird und die Auftragserfüllung verzögert sich.
Beurteilung
Die Befehlsausgabe an den Zug ist eine wichtige Komponente zur Erfüllung des Auftrags und stellt die Informierung des Zugs sicher. Wachtmeister (Wm) B. unterbricht diese. Leutnant (Lt) A. reagiert darauf mit einer physischen Kollektivstrafe für den ganzen Zug.
Rechtliche Einordnung
Militärstrafgesetz (MStG) Strafzumessung, Art. 182, Absatz 5: Die einheitliche Bestrafung mehrerer gemeinsam Fehlbarer ohne Berücksichtigung aller Strafzumessungsgründe bei jedem einzelnen (Kollektivstrafe) und die mehrmalige disziplinarische Bestrafung der gleichen Tat sind nicht zulässig.
Mögliche Lösung
In allen Fällen
In allen schwierigen Führungssituationen gelten für Verantwortliche die folgenden einfachen Grundregeln:
- immer einen Schritt zurücktreten und als erste Handlung zuerst einmal durchatmen;
- sich nie hinreissen lassen und emotional und/oder aggressiv reagieren;
- erste Frage ist immer: «Muss ich sofort reagieren (Sicherheitsvorschriften, Selbstschutz, etc.), oder kann ich es auf einen späteren Zeitpunkt verschieben?»
In diesem Fall
- Lt A. hätte sich für den Input bedanken können und die Situation für eine Sinnvermittlung nutzen können. Die Aussage von Wm M. deutet darauf hin, dass dieser den Sinn des Auftrags nicht verstanden haben könnte. So stellt Lt A. sicher, dass dem ganzen Zug der Sinn des Auftrags bewusst ist und geht gleichzeitig konstruktiv mit der Kritik von Wm B. um.
- Im Nachhinein, bspw. während der Widerherstellung der Einsatzbereitschaft (WEB), könnte Lt A. nochmals das Gespräch unter vier Augen suchen mit Wm B. Dort könnte er thematisieren, dass es ihm wichtig sei, den Vorfall zu reflektieren und dass die Kader als ein Team zusammenarbeiten. Er könnte Wm B. bitten, das nächste Mal erst persönlich mit Lt A. das Gespräch zu suchen, bevor er eine solche Äusserung macht und die Befehlsausgabe unterbricht.
Hinweise für Vorgesetzte und militärische Kader
Im Sinne vom MStG Art. 182 sind Kollektivstrafen unzulässig und damit kann die Person bestraft werden, welche diese angeordnet hat. Dies würde bedeuten, dass Lt S belangt werden könnte. Des Weiteren ist es nicht zielführend, wenn die Rekruten durch die körperliche Anstrengung der Kollektivstrafe ermüdet werden und die Auftragserfüllung darunter leidet. Ausserdem schlägt sich die Kollektivstrafe auf die Zugsmotivation nieder, was wiederum dem Zfhr und seinen Kadern die Führung erschweren kann.
Bezug zu den Modulhandbüchern (MHB)
- MHB 5, Kapitel 2 transformationale Führung
- MHB 5, Kapitel 7 Umgang mit Macht und Autorität
- MHB 5, Kapitel 9 Führungsfehler