Weisspapier Führung

Das Kommando Führungs- und Kommunikationsausbildung der Armee hat am 1. Juli 2023 seine Arbeit aufgenommen. Neben der bewährten Ausbildung im Bereich der Kommunikation und des Managements (ehemals Kdo MIKA) und den Führungsausbildungen der unteren Milizkadern (ehemals ZFA) wird nun auch vermehrt der Bereich Leadership ausgebildet. Damit wir aber für diese Ausbildung über eine Grundlage verfügen, hat das Kommando zusammen mit der MILAK (Dozentur Führung und Kommunikation) das nachfolgende Thesenpaper Führung verfasst.

Dieses dient als Grundlage für das neue Kommando KFK, stellt eine eigentliche Absichtserklärung dar und soll eine Diskussion über das Führungsverständnis der Schweizer Armee initiieren und ermöglichen. Kommentare, Ergänzungen und Nachfragen gerne direkt an (HKA) und/oder an (KFK).

Weisspapier Führung

1 Der Kontext

Kontext

1.1 Neue Herausforderungen

  1. Zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekriegs ist die Schweizer Armee folgenreichen externen Faktoren ausgesetzt.
  2. Vier Faktoren können hervorgehoben werden:
    • die Rückkehr der Rivalität der Grossmächte;
    • der technologische Fortschritt;
    • die Urbanisierung;
    • Demographie und Armeebestände.
  3. Die Rückkehr der Rivalität der Grossmächte wird als strategische Wende bezeichnet, wobei die Entwicklung absehbar war.1 Die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Konfrontation der Schweiz oder ihrer Wirtschaftspartner ist höher als je seit Ende des Kalten Krieges.
  4. Es werden erste strategische, aber noch kaum operative und taktische Folgen thematisiert. Führung und Führungsausbildung in der Schweizer Armee haben sich seit 2004 auf subsidiäre Einsätze ausgerichtet. Deshalb bedingt die Rückkehr zur Verteidigungsfähigkeit einen Wandel in der Führung, konkret in Doktrin, Kultur sowie Prozessen und Strukturen.
  5. Der technologische Fortschritt erhöht die Komplexität der Kriegsführung. Cyber- und Informationsraum ergänzen konventionelle Bedrohungen. In der Luftwaffe steht ein Technologiesprung an. Bei den Bodentruppen wurden die Chancen und Risiken, etwa betreffend Drohnen und autonomen Waffensystemen, noch nicht umfassend erkannt.
  6. Künstliche Intelligenz wird die Entscheidungsfindung und Stabsarbeit revolutionieren, wobei ihr Einsatz schon heute möglich wäre. Eine radikale Umgestaltung der Führungs- und Planungsprozesse2 ist erforderlich, auch in Bezug auf die Interoperabilität.
  7. Darüber hinaus ist zu antizipieren, wie Formen der Leistungssteigerung, etwa Neuro-Enhancement, oder Echtzeitüberwachung mittels Bioindikatoren die Führung beeinflussen werden.
  8. Die Urbanisierung der Schweiz nimmt weiter zu. Ihre Bevölkerungsdichte3 war 1950 noch mit jener Österreichs4 vergleichbar und weit von jener Deutschlands5 entfernt. 2035 werden wir6 Deutschland überholt haben, während Österreich7 das Schweizer Niveau von 1950 erreichen wird.
  9. Die Schweiz wird damit entlang der West-Ost-Achse zur durchgehenden urbanen Zone, was Anpassungen an die Kriegsführung bedingt:
    • Entsprechende C2-Strukturen und Kommunikationsmittel;
    • Geeignete Sensoren, Wirkmittel und Feuerführung;
    • Militärethische Leitlinien für die urbane Kriegsführung im eigenen Land.
  10. Das demografische Wachstum bei steigendem Bevölkerungsanteil mit ausländischer oder doppelter Staatsangehörigkeit fällt mit sinkenden Armeebeständen zusammen. 1990 waren noch 12,1% der Bevölkerung eingeteilt, 2020 nur noch 1,7%. Noch nie hatte die Schweiz so wenige Armeeangehörige auf so viele Einwohner.
  11. Gleichzeitig hatte die Schweiz im Jahr 2020 nicht nur 143’372 Armeeangehörige, sondern auch 2,3 Millionen Schusswaffen in Privatbesitz. Im Kriegsfall ist daher von Hunderttausenden von freiwilligen Kämpfern auszugehen.
  12. Die Nutzung dieses Potenzials ist eine militärstrategische und letztlich politische Frage.
  13. In jedem Fall wären Führungskräfte in ihrem Raum mit irregulären Truppen konfrontiert, die ihre eigenen zahlenmässig übertreffen können. Daraus folgen anspruchsvolle taktische, ethische und disziplinarische Führungsaufgaben.
  14. Die Schweiz muss dazu von anderen westlichen Armeen lernen und in einer spezifischen Lagebeurteilung die Unterschiede betreffend Gelände, Wehrmodell und Strategie berücksichtigen.

1.2 Führung, Erziehung und Ausbildung

  1. In der Schweizer Armee ist jede Führungskraft grundsätzlich auch Ausbildungskraft. Dies ist eine Folge des Milizprinzips und des in den Schulen gelebten Grundsatzes «Lehrlinge bilden Lehrlinge aus». Der gescheiterte Versuch der Armee XXI, die beiden Rollen der Führung und Ausbildung zu trennen, wurde mit dem Entwicklungsschritt 08/11 teilweise und der WEA per 1. Januar 2018 komplett zurückgenommen.
  2. Das Nebeneinander von Führung und Ausbildung ist traditionell im Dienstreglement verankert. In der Fassung vom 22. Juni 1994 (DR 95) sind das dritte Kapitel der Führung (Ziffer 9–31) und das vierte Kapitel der Ausbildung (Ziffer 32–40) gewidmet und unterstreichen damit sowohl Nähe als auch Bedeutung dieser Aufgaben der Chefs.
  3. Mit dem Dienstreglement vom 1. März 2004 (DR 04) wurde der Begriff der Ausbildung im gesamten Reglement durch das Begriffspaar «Ausbildung und Erziehung» ersetzt und eine Wendung wieder aufgenommen, die seit dem DR 54 enthalten war. Im Zuge der Armeereform 95 wurde der angestammte Begriff der «Erziehung» als überholt verworfen.
  4. Die Wiedereinführung der Erziehung mit der Armee XXI stiess intern auf keinen Widerstand; die Besonderheiten der militärischen Zwangsgemeinschaft bedürfen einer gezielten Einflussnahme auf Werte und Haltungen, die über den Formungsbedarf in zivilen Institutionen hinaus geht. Kapitel 3.2 gibt darüber Aufschluss, wie diese Einflussname zu verstehen ist.
  5. Für den militärischen Kontext ist der Begriff der Erziehung deshalb nach wie vor opportun – zumal er auch mit der aktuellen Überarbeitung des Dienstreglements der Armee (DRA) vom Bundesrat am 1. Januar 2018 bestätigt und auch in der neusten Fassung vom 1. Januar 2022 nicht verändert wurde.
  6. In Privatwirtschaft und Verwaltung ist der Begriff der Erziehung gewöhnungsbedürftig und im Rahmen eines Transfers ins Zivile anpassungswürdig. Anpassungen der militärischen Terminologie an das zivile Verständnis sind indes nicht ungewöhnlich. So wie aus dem Entschluss­fassungsrapport ein Entscheidungsmeeting wird, kann die Erziehung auch als Einflussnahme oder Vermittlung bezeichnet werden.
  7. Die Frage, ob die Triade «Führung, Erziehung und Ausbildung» zu ergänzen sei, ist berechtigt und kein Alleinstellungsmerkmal des schweizerischen Diskurses. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Naumann, hielt etwa schon 1992 fest, «dass Offiziere und Unteroffiziere neben der Aufgabe als Führer, Ausbilder und Erzieher ihrer Soldaten eben auch Kämpfer seien. Das müsse die Grundlage aller drei Teilstreitkräfte sein.»
  8. Inhaltlich ist gegen diese Ergänzung nichts einzuwenden; die Rückkehr der Machtpolitik zeigt die Notwendigkeit, dass militärische Kader mental nicht nur und nicht primär Helfer, Retter oder Schützer, sondern in erster Linie Kämpfer – oder, martialischer gesprochen, Krieger – sein sollen.
  9. Semantisch besteht allerdings ein Unterschied: im heutigen Zustand üben sämtliche Kader der Schweizer Armee, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, die ersten drei Tätigkeiten aus: sie führen, sie erziehen, sie bilden aus. Nur eine verschwindende Minderheit aber kämpft – oder hat überhaupt je solche Erfahrung gewonnen.
  10. Die Herausforderung der Schweizer Armee ist somit nicht, Führung, Erziehung und Ausbildung durch den Kampf zu ergänzen, sondern Führen, Erziehen und Ausbilden vom Kämpfen her zu denken. Der Kampf ist der Zweck, die Daseinsberechtigung der Schweizer Armee. Führung, Erziehung und Ausbildung sind lediglich Mittel dazu und deshalb nicht auf dieselbe Stufe zu stellen – gleichzeitig aber die Mittel, welche wir in Friedenszeiten unmittelbar einsetzen können, um Voraussetzungen für den Zweck zu schaffen.

1.3 Der zivile Hintergrund

  1. Durch die Miliz ist das militärische Kader der Schweizer Armee fest in Privatwirtschaft und Verwaltung verankert; der militärische Diskurs über Führung kann deshalb nicht losgelöst vom Zivilen betrachtet werden und die gegenseitige Bereicherung ist Teil des Schweizer Erfolgsmodells. Der zivile Diskurs über Führung kennt viele Facetten. Experten erkennen eine zyklische Thematisierung bestimmter Themen und gegenläufiger Bewegungen, etwa die Zentralisierung und Dezentralisierung von Verantwortungen. Nur ein Teil der Populärliteratur ist wissenschaftlich solide erhärtet; allerdings führen gerade diese die Langzeit-Bestsellerlisten an (Rütti, 2023).
  2. Ein beliebter und wiederkehrender Topos ist der tatsächliche oder vermeintliche Gegensatz von Leadership und Management. Dies geht auf einen Aufsatz von Zaleznik (1977) zurück, der das Begriffspaar vom erstrebenswerten Leader und dem zu überwindenden Manager geprägt hat (siehe Tabelle 1). Auf dieser Basis hat Bass (1984; Bass & Riggio, 2006) das Konzept der transformationalen Führung entwickelt.

BereichLeaderManager
UmfeldVeränderungStabilität
AusrichtungMenschAufgaben
VerhältnisFollowersUnterstellte
StilTransformationalTransaktional
Regeltreuebricht Regelnmacht Regeln
Konfliktenutzt Konfliktescheut Konflikte
UmgangVertrauenKontrolle
FokusVisionZiele
Motivationintrinsischextrinsisch
Risikoorientierunggeht Risiken einminimiert Risiken
DetailtreueFreiheitenMicromanagement
Tablle 1: Häufig genannte Gegensatzpaare zu Leadern und Managern
  1. Für erfolgreiche Führung sind beide Komponenten erforderlich. Ein inspirierender Leader, der seine Unterstellten begeistert, mag dem Manager, der sachorientiert und präzise die Dinge erledigt, in Sachen Sympathie und weiteren Zielwerten überlegen sein. Doch die Wirksamkeit erfordert auch ein Mass an Organisiertheit. Der menschliche Chef, der die Organisation schleifen lässt, wird auf Dauer nicht erfolgreich sein.
  2. Der ideale Chef vereint folglich die Fähigkeiten eines Leaders und eines Managers. Wenn die beiden Eigenschaftsbündel nicht Enden eines Spektrums, sondern unabhängige Dimensionen sind, ist damit ein erster Schritt zu einem ganzheitlichen Führungsverständnis von Menschen und Institutionen gemacht (vgl. dazu Ziffer 58ff.).

1.4 Die Armee als spezifischer Kontext

  1. Militärische Organisationen kennen zwei Zustände, in denen unterschiedliche Prinzipien zur Anwendung kommen: der cold state und der hot state (Soeters, 2021). Der hot state ist der Zustand, auf den sich die Armee auszurichten hat: es ist die Armee im Verteidigungsfall. Der hot state bezeichnet einen Zustand der Organisation und nicht des Individuums; er ist deshalb nicht zu verwechseln mit dem mentalen Bereitschaftsgrad eines Fahrers, Wachtsoldaten oder Jetpiloten im Friedenseinsatz. Im hot state gelten zahlreiche andere Normen, vom Kriegsvölkerrecht bis hin zur Militarisierung von Zivilangestellten der Verwaltung.
  2. Der cold state entspricht hingegen dem Zustand der Armee in der normalen Lage, geprägt von den Regeln der Bürokratie, Sicherheitsvorschriften und zahlreicher Reglemente. Dieser cold state dient jedoch alleine der Vorbereitung der Organisation auf den hot state; er hat an sich keine Daseinsberechtigung, obwohl er – gerade im schweizerischen Fall die Armee über Jahrzehnte hinweg bestimmt. Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass Auftragsverständnis, Menschen und Organisation durch den vorherrschenden Zustand gestaltet werden. Deshalb ist der cold state in jeder Hinsicht, ganz besonders aber in Bezug auf die Führung, so nahe wie möglich am hot state auszurichten.
  3. Die grundlegende Verschiedenheit militärischer Führung hat damit zu tun, dass militärisches Funktionieren den Soldaten grundsätzlich in eine andere Richtung zerrt als die Lebensgewohnheiten in einer wertepluralistischen, demokratischen Zivilgesellschaft. Es gibt ein grundsätzliches Spannungsverhältnis in Streitkräften demokratischer Staaten. In den Streitkräften müssen Individuen ihre Bedürfnisse zugunsten des Auftrags zurücknehmen. Die heutige Gesellschaft lässt aber der individuellen Bedürfnisbefriedigung maximale Freiheiten.
  4. Im militärischen Kontext geht es darum zu töten und das Töten zu befehlen, das eigene Leben und das Leben anderer willentlich zu gefährden. Dadurch entstehen besondere Formen von Risiken, ethischen Herausforderungen und psychologischem Druck, zusammen mit korrespondierenden Gruppendynamiken, die es in der Zivilgesellschaft so nicht gibt. Militärisches Führen ist deshalb ein Führen in Extremsituationen sui generis. Es stellt besondere Anforderungen, folgt besonderen Werten und steht dabei ausserhalb des Funktionierens normaler, demokratischer Zivilgesellschaften.
  5. Gleichzeitig muss das Führungsverständnis in der Schweizer Armee sich auf den vorherrschenden Zustand, den cold state, beziehen und dabei die Prägung ihrer Angehörigen widerspiegeln. In Friedenszeiten und ganz besonders in einer Milizarmee ist es daher naheliegend, sich bei allen Unterschieden als Ausgangslage an zivilen Führungskonzeptionen zu orientieren und in einem weiteren Schritt die militärischen Besonderheiten zu berücksichtigen.

2 Der Ansatz

Ansatz
  1. Beispiele zeigen, dass die Betrachtung «Leadership vs. Management» nicht vollständig ist. Es ist in der Geschäftswelt wie im Militär denkbar, dass ein Chef die menschlichen und organisatorischen Anforderungen gleichzeitig erfüllt und dennoch scheitert: Ein Unternehmer mag seine Mitarbeiter vorbildlich führen, die Prozesse seiner Firma zuverlässig steuern und dennoch auf dem Markt versagen. Ein Kommandant kann mit seinen Unterstellten menschlich umgehen, die Führungsprozesse tadellos durchsetzen und auf dem Gefechtsfeld dennoch scheitern.
  2. Abgesehen von externen Faktoren sind auch interne Gründe denkbar. Fehlinvestitionen oder (taktische) Fehlentscheide lassen sich durch menschliche oder prozessuale Kompetenzen nur bedingt vermeiden. Am Beispiel eines Aspiranten in den heutigen Generalstabslehrgängen veranschaulicht: Selbst eine tadellose Aktionsplanung eines zwischenmenschlich vorbildlichen Teilnehmers kann zu falschen Entschlüssen führen, wenn die Expertise in der Anwendung von Kampfverbänden nicht vorhanden ist.
  3. Der britische Managementtrainer und Historiker Stephen Bungay (2011) hat vorgeschlagen, Leadership und Management durch eine dritte Dimension zu ergänzen, nämlich die des Commands. Diese Komponente umfasst die inhaltlich-konzeptionellen Aspekte der Führung, im Gegensatz zu den organisatorisch-institutionellen (Management) und den menschlich-gemeinschaftlichen (Leadership).
  4. Im Rahmen der Strategischen Initiative Nr. 18 «Leadership» hat der Chef der Armee festgelegt, dass Führung in der Schweizer Armee als dreiteiliges Konzept mit folgenden Aspekten verstanden werden soll:
    • Command;
    • Leadership;
    • Management.
  5. Die Abgrenzung der drei Aspekte und ihre militärspezifische Interpretation ist Gegenstand militärwissenschaftlicher Forschung und armeeinterner sowie externer Diskussionen in den kommenden Jahren. Untenstehende Tabelle 2 stellt eine mögliche Differenzierung als Arbeitsgrundlage dar.
AspektCommandLeadershipManagement
Herausforderungeninhaltlichemenschlicheorganisatorische
Lösungsansätzekonzeptionellegemeinschaftlicheinstitutionelle
AusrichtungAuftragMenschOrganisation
Tabelle 2: Die Schweizer Armee unterscheidet Führung nach den drei Aspekten Command, Leadership und Management.
  1. Nur eine abgestimmte Kombination der Aspekte Command, Leadership und Management erlaubt es den Menschen in einer Organisation, den gemeinsamen Auftrag zu erfüllen.
  2. Die Vorstellung, dass die erfolgreiche Führungsperson alle drei Dimensionen gleichermassen erfüllen muss, greift zu kurz. Führungspersonen aller Stufen sind in Teams eingebettet, deren Mitglieder ihre Stärken einbringen und sich gegenseitig ergänzen.
  3. In flachen Teams können die Fähigkeiten breit und ohne weitere Auflagen auf die Mitglieder verteilt sein, solange diese bestimmte Mindestanforderungen in den einzelnen Bereichen erfüllen. Dies umfassen:
    • Im Command-Aspekt ein Grundverständnis der gemeinsamen Aufgabe (minimale Handlungssicherheit);
    • Im Leadership-Aspekt die Offenheit und Agilität im Umgang mit den eigenen und fremden Stärken und Schwächen und damit die Wertschätzung aller beteiligten Menschen (minimale Verhaltenssicherheit);
    • Im Management-Aspekt die Kenntnisse der Organisation und eine hinreichende Selbstdisziplin (minimale Verfahrenssicherheit).
  4. In hierarchischen Teams, wie sie in der Armee üblich sind, können die Kompetenzen in den drei Aspekten nicht beliebig verteilt werden. Sie sind viel mehr an die jeweilige Funktion gekoppelt.
  5. Kommandanten benötigen ausgeprägte Fähigkeiten im Aspekt Command, die nicht delegierbar sind. Unzulänglichkeiten im Aspekt Leadership können nur schwierig kompensiert werden, etwa durch Unterführer oder durch spezifische Führungsgehilfen, insbesondere die Armeeseelsorger. Lücken im Aspekt des Managements können hingegen durch Führungsgehilfen zu einem grossen Masse aufgefangen werden.
  6. Führungsgehilfen, insbesondere Generalstabsoffiziere, benötigen ausgeprägte Fähigkeiten in den Aspekten Command und Management, die nicht delegierbar sind. Lücken im Aspekt der Leadership kommen in ihren Rollen weniger zum Tragen, sind aber im hot state dennoch problematisch, da auch bei ihrer Arbeit die menschlichen Herausforderungen nicht ausser Acht gelassen werden können.
  7. Aufgrund des Nebeneinanders von Führung, Erziehung und Ausbildung im Dienstreglement ist es sinnvoll, die drei Dimensionen der Führung auch auf die Erziehung und Ausbildung als weitere Tätigkeiten der Chefs in der Schweizer Armee auszuweiten zum sogenannten CLM-Modell (siehe untenstehende Abbildung 1). Die einzelnen Ebenen werden im Folgenden erläutert.
  8. Das Modell bietet sich als mentale Landkarte an, um Führung in der Schweizer Armee zu reflektieren und zu optimieren. Die enthaltenen Begrifflichkeiten sind in den kommenden Jahren Gegenstand von wissenschaftlicher Forschung und Diskussion der Anwender und Ausbildner für die Weiterentwicklung und Umsetzung in der Armee.

2.1 Command

  1. Command ist der auf den Auftrag ausgerichtete Aspekt der Führung.
  2. Erfolgreiches Command erfordert eine in der Ausbildung entwickelte Handlungssicherheit (siehe Ziffer 85) und wird durch die in der Erziehung erfolgte Sinnvermittlung (siehe Ziffer 82) gestärkt.
  3. Herausforderungen im Command sind üblicherweise inhaltlicher Art. In der Armee betrifft das, der jeweiligen Führungsstufe entsprechend, gefechtstechnische, taktische, operative oder militärstrategische Probleme.
  4. Lösungen im Command sind üblicherweise konzeptioneller Natur. Die Doktrin kann hierzu Anhaltspunkte bieten, solange sie die Führungskräfte bei der Lösung unterstützt und nicht einschränkt. Gute Doktrin erfüllt diesen Zweck, indem sie den Führungskräften aufzeigt, wie diese erfolgreich handeln können und nicht was sie tun müssen.
  5. Da sich Aufträge massgeblich unterscheiden können, besteht keine generische Command-Kompetenz. Vielmehr müssen die entsprechenden Kompetenzen spezifisch erarbeitet und entwickelt werden. In der Privatwirtschaft handelt es sich typischerweise um branchenspezifische Kompetenzen, die fortlaufend angepasst werden und künftige Entwicklungen antizipieren sollen. Im Fall der Armee entspricht das der Rückbesinnung auf die Kernkompetenz Verteidigung. Dies impliziert, dass in den vergangenen Jahren erworbenes Wissen und entwickelte Fähigkeiten im subsidiären Bereich an Bedeutung verloren haben und im Gegenzug die Handlungskompetenz in der Verteidigung wieder aufgebaut werden muss.
  6. Verantwortung ist ein zentraler Begriff des Commands und wiegt im militärischen Kontext besonders schwer, da die Führungsverantwortung auch das Töten und Sterben umfasst. Die Führungsverantwortung liegt deshalb stets beim militärischen Kommandanten.
  7. Davon abgegrenzt besteht die Einsatzverantwortung, welche stets bei den Zivilen liegt – das Primat der Politik fordert dies unbedingt. Die Frage ist alleine, auf welcher Führungsebene die Einsatzverantwortung in die militärische Führungskette eingreift. Bei einem subsidiären Einsatz kann dies auf unterster taktischer Stufe greifen. Im Falle der Landesverteidigung greift dies auf Stufe des Oberbefehlshabers der Armee, in dem er die Aufträge für die gesamte Armee von der Politik erhält.
  8. Führen mit Auftrag, historisch und umgangssprachlich als Auftragstaktik und englisch als Mission Command bezeichnet, ist das wesentliche Prinzip der Führung der Schweizer Armee in allen Lagen. Die entsprechenden Ausführungen im Dienstreglement der Armee, der Führungs- und Stabsorganisation sowie der Taktischen Führung sind uneingeschränkt gültig und zielführend.
  9. Auftragstaktik ist ein generischer konzeptioneller Ansatz zur Lösung beliebiger inhaltlicher Probleme und deshalb dem Bereich des Commands zuzuordnen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sich die inhaltlichen Vorgaben der Führungskraft auf ein Minimum beschränken. Dies führt einerseits zu einer Dezentralisierung der Entscheidungsfindung und andererseits zu einem Einbezug der Unterstellten.
  10. Der Dezentralisierung der Entscheidungsfindung steht die Verlockung zentraler Instanzen gegenüber, die Handlungsfreiheit der Unterstellten stärker einzuschränken als mit dem, was zur Koordination unter den Unterstellten oder aufgrund eigener Einschränkungen erforderlich ist.
  11. Weiter gehende Einschränkungen, etwa aufgrund persönlicher Präferenzen des Vorgesetzten, sind wann immer möglich zu vermeiden. Das trifft auf eine Vielzahl von Regelungen zu, die heute in Reglementen und Weisungen getroffen werden, aber zur Auftragserfüllung nicht zwingend sind.[1]

2.2 Leadership

  1. Leadership ist der auf den Menschen ausgerichtete Aspekt der Führung.
  2. Erfolgreiches Leadership erfordert eine in der Ausbildung entwickelte Verhaltenssicherheit (siehe Ziff 86) und wird durch die in der Erziehung erfolgte Wertevermittlung (siehe Ziff 83) gestärkt.
  3. Herausforderungen im Leadership sind üblicherweise menschlicher Art. In der Armee betrifft das, der jeweiligen Führungsstufe entsprechend, Probleme der Selbstführung, der direkten Führung von Unterstellten (Gruppenführung) oder der indirekten Führung von Unterstellten (Verbandsführung).
  4. Lösungen im Leadership sind üblicherweise gemeinschaftlicher Natur. Die Kultur kann hierzu Anhaltspunkte bieten, solange sie die Führungskräfte bei der Lösung unterstützt und nicht einschränkt. Gute Kultur erfüllt diesen Zweck, indem sie Führungskräfte dazu anhält, wie diese sich erfolgreich verhalten können und nicht was sie tun müssen.
  5. Obwohl sich Menschen massgeblich unterscheiden, existieren generische Leadership-Kompetenzen. Diese orientieren sich primär an den Werten. Entsprechend müssen die entsprechenden Kompetenzen spezifisch erarbeitet und entwickelt werden. Die Rückbesinnung auf die Kernkompetenz Verteidigung impliziert dabei erhöhte Anforderungen, da das in den vergangenen Jahren für Einsätze im subsidiären Bereich geforderte Verhalten von Kadern und Soldaten im Kriegsfall nicht ausreichend ist und im Gegenzug die Verhaltenskompetenz in der Verteidigung wieder aufgebaut werden müssen. Mit diesem erhöhten Anspruch werden auch die Aufgaben im subsidiären Einsatzspektrum zu bewältigen sein.
  6. Vertrauen ist ein zentraler Begriff des Leadership, wobei das Vertrauen in Vorgesetzte, Unterstellte und die eigenen Fähigkeiten unterschieden wird. Ein gefestigtes Vertrauen ist Grundlage für den erfolgreichen Kriegseinsatz. Dazu ist gegenseitige Vertrautheit im Sinne einer gesunden Verbandskultur erforderlich, die nur in gemeinsamen Diensten innerhalb angestammter Verbände aufgebaut werden kann.
  7. Störungen einer gesunden Kultur stellen eine Auflockerung des Zusammenhalts in einem Verband dar. Typische Probleme sind die gängige Praxis der häufigen Dienstverschiebungen, der erleichterte Zugang in den Zivildienst, aber auch sämtliche Formen der Diskriminierung, etwa aufgrund von Sprache, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Religion. Solche Störungen können zu einem Grad der Unverbindlichkeit in einem Verband führen, der das Kriegsgenügen gefährdet. Gleichzeitig können diese Störungen auch ungesunde Formen der Verbandskultur fördern, etwa indem übermässige Homogenität zu Group-Thinking führt oder oberflächlichen Zusammenhalt durch die Ausgrenzung von Minderheiten erzeugt. Umso wichtiger sind die entsprechenden Anstrengungen der Kader, eine gesunde Verbandskultur aufzubauen.
  8. Die Auftragstaktik bedingt das oben beschriebene Vertrauen als Grundlage für ihr Funktionieren. Darin zeigt sich, dass sie als wesentliches Prinzip der Führung der Schweizer Armee nicht nur konzeptionelle, sondern auch gemeinschaftliche Aspekte beinhaltet.
  9. Auftragstaktik bedingt bestimmte gemeinschaftliche Ansätze zur Lösung menschlicher Probleme und richtet damit auch Anforderungen an den Bereich des Leaderships.
  10. Die Dezentralisierung der Entscheidungsfindung erhöht auch die menschlichen Anforderungen an die Unterstellten, die aufgrund ihrer höheren Handlungsfreiheit mit anspruchsvolleren Fragen konfrontiert sind. Dazu muss die Verbandskultur weitere Ansprüche wie Fehlertoleranz und Lernwille umfassen.
  11. In Ergänzung, aber nicht im Widerspruch zu den höheren Anforderungen bringt die Auftragstaktik im menschlichen Aspekt auch zahlreiche Chancen mit sich. So ist die Dezentralisierung von Verantwortlichkeiten ein probates Mittel, um Machtmissbrauch und Kadavergehorsam zu verhindern oder zumindest einzudämmen. Gleichzeitig ist sie keine Garantie gegen Gruppendenken auf der unterstellten Stufe.

2.3 Management

  1. Management ist der auf die Organisation ausgerichtete Aspekt der Führung.
  2. Erfolgreiches Management erfordert eine in der Ausbildung entwickelte Verfahrenssicherheit (siehe Ziffer 87) und wird durch die in der Erziehung erfolgte Ordnungsvermittlung (siehe Ziffer 84) gestärkt.
  3. Herausforderungen im Management sind üblicherweise organisatorischer Art. In der Armee betrifft das, der jeweiligen Führungsstufe entsprechend, Probleme der Aktionsplanung und der Lageverfolgung.
  4. Lösungen im Management sind üblicherweise institutioneller Natur. Prozesse können hierzu Anhaltspunkte bieten, solange sie die Führungskräfte bei der Lösung unterstützen und nicht einschränken. Gute Prozesse erfüllt diesen Zweck, indem sie den Führungskräften ermöglichen, wie diese verfahren wollen und nicht vorschreiben, was sie tun müssen.
  5. Da Organisationen im Vergleich untereinander sowohl Gemeinsamkeiten wie auch Eigenheiten haben, existieren sowohl generische als auch spezifische Management-Kompetenzen. Zu den generischen Management-Kompetenzen gehören heuristische Entscheidungsverfahren; solche Fähigkeiten sind transferierbar. Die Artilleriefeuerleitung, Instandhaltungsprozesse oder ein Nachrichtendienstkonzept sind Beispiele spezifischer Kompetenzen.
  6. Der Kernprozess militärischer Führung besteht im sogenannten OODA-Loop, der die Phasen Observation (Beobachtung), Orientiation (Orientierung), Decision (Entscheidung) und Action (Handlung) umfasst (Boyd, 1986). Im Zentrum dieses Prozesses steht nicht die Entscheidung, sondern die Orientierung. Diese besteht darin, auf Basis der Informationslage und geprägt durch Veranlagungen, Erfahrungen und Kultur eine Lageauffassung zu schaffen – oder gegebenenfalls bestehende Auffassungen zu zerstören: nicht das Decision-Making, sondern das Sense-Making steht im Vordergrund.
  7. Damit anerkennt der Prozess die Tatsache, dass militärische Interaktion auf allen Stufen durch eine gewisse Nicht-Planbarkeit geprägt ist. Während Übungen oder andauernde Einsätze wie Schutzaufträge in einer Synchronisationsmatrix festgemacht werden können, versagt dieser Ansatz bei Verteidigungsoperationen, da die Interaktion zwischen gegnerischen und eigenen Mitteln grundsätzlich nicht vorhersehbar ist.
  8. Die im Rahmen der Orientierung geschaffenen mentalen Bilder dienen als Grundlage für die Entscheidungsfindung militärischer Führungskräfte. Dies betrifft nicht nur die bewusste oder explizite Entscheidungsfindung. Implizit bestimmt die Orientierung auch Beobachtungen und Handlungen. Diese Tatsache ist eng verknüpft mit dem Prinzip der Auftragstaktik. In ihr soll nur das wesentliche Minimum explizit entschieden werden, während so viele Abläufe wie möglich implizit – im Rahmen der Handlungsfreiheit der Unterstellten – ablaufen sollen.
  9. Die optimale Synchronisierung verläuft dabei nicht über Handlungsrichtlinien, da diese ebenfalls explizite Entscheide darstellen, sondern über die gemeinsame Lageauffassung. Dies hat zwei unmittelbare und im Gefecht entscheidende Vorteile zur Folge: (1) Höhere Handlungsfreiheit: Eine gemeinsame Lageauffassung (Sense-Making) ist weniger einschränkend, als es explizite Entscheide sind. (2) Höhere Geschwindigkeit: Eine gemeinsame Lageauffassung kann Veränderungen unmittelbar aufnehmen, während Entscheidungen zeitintensiv sind. In Krisensituationen schlägt aber Geschwindigkeit Genauigkeit. Gemeinsam ergeben Handlungsfreiheit und Geschwindigkeit die für den Erfolg erforderliche Agilität.

3 Die Einbettung

Einbettung
  1. Im gleichen Masse, wie in der Führung inhaltliche, menschliche und organisatorische Herausforderungen unterschieden werden können, ist dies auch für die Erziehung und die Ausbildung möglich. Damit kann das CLM-Modell der Führung ausgeweitet werden (Abbildung 1).
CLM-Modell
Abbildung 1: Das erweiterte CLM-Modell

3.1 Drei Aspekte der Führung

  1. Die drei Aspekte der Führung sind in Kapitel 2 einzeln ausgeführt. Die Auftragstaktik als Prinzip des Bereichs Command macht darin deutlich, dass es auch auf die anderen Bereiche Leadership und Management einen massgeblichen Einfluss hat. Diesen Anspruch an Ganzheitlichkeit in der Führung trifft auch auf Prinzipien der anderen Bereiche zu.
  2. Die Militärethik kann als Prinzip des Bereichs Leadership verstanden werden, da sie auf den Menschen ausgerichtet ist und gemeinschaftliche Lösungen auf menschliche Herausforderungen bietet. Im Bereich Command stellt sie genauso Anforderungen, indem die konzeptionellen Ansätze die Grundsätze des Völkerrechts zu beachten haben. Im Bereich Management stellen die Prozesse der Militärjustiz sicher, dass Verletzungen der Militärethik geahndet werden.
  3. Die Technologie beeinflusst primär den Bereich Management, da sie massgeblichen Einfluss auf die Machbarkeit und Realisierung institutioneller Antworten auf organisatorische Probleme ausübt. Im Bereich Leadership sind die menschlichen Auswirkungen des Einsatzes von Technologie zu bedenken. Die Möglichkeiten im Bereich Command wiederum sind in hohem Masse durch die verwendete Technologie bestimmt.

3.2 Drei Aspekte der Erziehung

  1. Auf der inhaltlich-konzeptionellen Ebene bedeutet Erziehung Sinnvermittlung. Führungskräfte unterstützen ihren Command nachhaltig, indem sie ihren Unterstellten den Sinn des Auftrags vermitteln.
  1. Auf der menschlich-gemeinschaftlichen Ebene bedeutet Erziehung Wertevermittlung. Führungskräfte unterstützen ihre Leadership nachhaltig, indem sie ihren Unterstellten die Werte des Menschen vermitteln.
  1. Auf der organisatorisch-institutionellen Ebene bedeutet Erziehung Ordnungsvermittlung. Führungskräfte unterstützen ihr Management nachhaltig, indem sie ihren Unterstellten die Ordnung der Organisation vermitteln.

3.3 Drei Aspekte der Ausbildung

  1. Auf der inhaltlich-konzeptionellen Ebene bedeutet Ausbildung die Entwicklung von Handlungssicherheit, die für die Ausübung von Command unerlässlich ist.
  1. Auf der menschlich-gemeinschaftlichen Ebene bedeutet Ausbildung die Entwicklung von Verhaltenssicherheit, die für die Ausübung von Leadership unerlässlich ist.
  1. Auf der organisatorisch-institutionellen Ebene bedeutet Ausbildung die Entwicklung von Verfahrenssicherheit, die für die Ausübung von Management unerlässlich ist.

4 Die Ausrichtung

Ausrichtung

4.1 Der Auftrag als Zentrum

  1. Eine Besonderheit der Armee ist die im Dienstreglement verankerte Anforderung an ihre Angehörigen, im Ernstfall den Auftrag Einsatz des eigenen Lebens zu erfüllen. Damit unterscheidet sich die Armee von sämtlichen Organisationen der Zivilgesellschaft und in der Grundsätzlichkeit dieses Anspruchs auch von den Blaulichtorganisationen, die vergleichbare, aber weniger weitreichende Ansprüche an ihre Angehörigen richten.
  2. Diese Priorität des Auftrags bei gleichzeitiger Achtung der Menschenwürde stellt für militärische Führungskräfte ein Spannungsverhältnis dar, das nicht abschliessend aufzulösen ist.

4.2 Der Mensch als Orientierung

  1. Nicht obwohl, sondern weil Führungskräfte diese Spannung aushalten müssen, haben sie sich am Menschen zu orientieren. Nur so können sie verhindern, dass der Mensch zum reinen Mittel verkommt.
  2. Der Mensch ist alleine Zweck. Die Schwierigkeit militärischer Führung besteht darin, dass das nicht gegeneinander Abzuwägende im Konflikt steht. Männer und Frauen, die als Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten dienen, stehen mit ihrem Leben nicht für eine abstrakte Sache ein, sondern für jene Männer, Frauen und Kinder, die sich gegen einen Aggressor nicht wehren können, wollen oder dürfen.
  3. In diesem Sinne ist Militärdienst nicht eine kollektive Form der Notwehr, sondern eine kollektive Form der Notwehrhilfe. Die Achtung der Würde des Menschen im Kriegsfall, das Einhalten des Kriegsvölkerrechts und seiner Grundsätze stellen denn auch nicht leidige Einschränkungen unserer Handlungsfreiheit dar, sondern die Berechtigung zum militärischen Handeln in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat überhaupt.

4.3 Die Organisation als Basis

  1. Institutionen bieten in den meisten Fällen den Kontext von Führungskräften; nur ausnahmsweise werden Menschen unmittelbar, dyadisch geführt. Dies erlaubt, die erforderlichen Fähigkeiten guter Führung auf mehrere Personen aufzuteilen. Bildlich gesprochen kann der charismatische Leader vom talentierten Manager unterstützt werden; die Wirksamkeit der Konstellation übertrifft dann jene der einzelnen signifikant.
  2. In der Konsequenz bedeutet dies, dass gute Führung nicht in erster Linie eine Qualifikation des Führers oder des Kommandanten darstellt, sondern der Gruppe oder des Verbandes. Damit fliesst in die Qualität der Führung einer Hierarchiestufe gleichzeitig die Qualität der Führung aller nachgeordneter Hierarchiestufen mit ein.
  3. Nur durch die gleichzeitige und gleichberechtigte Berücksichtigung des Auftrags (Command), der Menschen (Leadership) und der Organisation (Management) können Führungskräfte ihre Verantwortung ganzheitlich wahrnehmen.

Fussnoten

[1] Zur Sensibilisierung sei ein beliebiges Befehlsdossier eines Grossen Verbandes oder ein allgemeingültiges Reglement wie beispielsweise das Reglement «Organisation der Ausbildungsdienste» (ODA) unter diesem Blickwinkel zu lesen.

Literaturverzeichnis

Bass, B. (1984). Leadership and performance beyond expectations. New York: Free Press.

Bass, B. M., & Riggio, R. E. (2006). Transformational Leadership. 2nd edition. New Jersey: Lawrence Erlbaum.

Boyd, J. (1986). A discourse on winning and losing: Patterns of conflict. Lecture notes. Washington, DC: US Department of Defense.

Bungay, S. (2011). The executive’s trinity: management, leadership—and command. The Ashridge Journal, 35-39.

Dienstreglement der Armee (DR 95) vom 22. Juni 1994, Stand am 1. Januar 1995. SR 510.107.0.

Dienstreglement der Armee (DR 04) vom 22. Juni 1994, Stand am 1. Januar 2004. SR 510.107.0.

Dienstreglement der Armee (DRA) vom 22. Juni 1994, Stand am 1. Januar 2022. SR 510.107.0.

Kern, Z. & Adabala, S. (2023). PeaceBot: ChatGPT’s Role in Conflict Prevention & Resolution. Georgetown Security Studies Review.

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Rütti, N. (2023). Warum Führungskräfte sich gerne an Management-Ratgeber klammern. Zürich: NZZ online vom 20.06.2023.

Soeters, J. (2021). Militaries’ organizational cultures in a globalizing world. In: Oxford Research Encyclopedia of Politics.

Zaleznik, A. (1977). Managers and Leaders: Are They Different? Harvard Business Review 22(3).

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