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Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #4

Zum Decision Game aus Leader’s Digest #4 haben uns vier Handlungsempfehlungen erreicht. Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich, hat alle Einsendungen gesichtet und die prägnante Handlungsempfehlung von Hptm Flurin Jossen mit einem Exemplar des Buchs des Monats prämiert.

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Maj Philipp Scherrer erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #4

Szenario

Gegner

In der Schweiz ist es zu Kampfhandlungen im Verteidigungsraum gekommen. Im rückwärtigen Raum stören und binden irreguläre Kräfte unsere Verbände mit schweizweit täglich weit über 50 Anschlägen.

Die irregulären Kräfte sind auf Tageslicht angewiesen und wählen bewusst die «Hit and Run»-Taktik: Dabei werden unsere Kräfte auf grösstmögliche Distanz beschossen und der Gegner zieht sich zurück, bevor auf den Beschuss reagiert werden kann.

Das Hauptziel des Gegners ist dabei nebst dem Zufügen von Verlusten von Menschen und Material insbesondere das Untergraben der Moral der Truppen und somit die Aushöhlung deren Wehrwillens.

Als favorisierte Ziele solcher Anschläge gelten ungepanzerte Fahrzeuge und einzelne stehende Angehörige der Armee.

Zusätzlich zu den Anschlägen auf eigene Truppen wird auch zivile Infrastruktur vermehrt durch gegnerische weitreichende Artillerie beschossen.

Eigene Mittel

Sie sind seit einigen Monaten Gruppenführer und konnten in der Zeit ein starkes Team formen. Der Umgang ist kameradschaftlich und professionell zugleich. Es haben sich gradunabhängig echte Freundschaften entwickelt; etwa zwischen Ihnen und Fabio, einem Ihrer Soldaten.

Ihre Gruppe verfügt über einen gepanzerten Personentransporter (GMTF). Nebst der Besatzung des Gefechtsfahrzeugs und fünf Sturmgewehr (Stgw)-Schützen verfügen Sie über einen Stgw-Zielfernrohr (ZF)-Schützen und einen Leichten Maschinengewehr (LMg)-Schützen.

Auftrag

Sie haben den Auftrag, das Abladen von Verpflegung und Sanitätsmaterial am Bahnhof WALENSTADT zu sichern. Mit diesem Material soll die notleidende Bevölkerung der umliegenden Dörfer versorgt werden.

Zur Sicherung haben Sie den ZF-Schützen zusammen mit dem LMg-Schützen im Dachstock des Restaurants Churfirsten Stellung beziehen lassen. Die Verbindung steht. Das Binom hat mit den Restlichtverstärkern gut Einblick über das taktisch zusammenhängende Gelände. Insbesondere der Zu- und Austritt nach Osten (die von Ihnen als am gefährlichsten beurteilte Geländekammer), kann gut eingesehen werden. Sie sitzen mit Fabio gemeinsam im GMTF. Alle weiteren AdA stehen gut geschützt in Rufweite und sichern die näheren Zu- und Austritte.

Umwelt

Das Abladen der dringend benötigten Güter hätte bis 1h vor Beginn der Dämmerung abgeschlossen sein sollen (0545). Doch die Einfahrt des Zuges verzögerte sich aufgrund von Artilleriebeschuss.

Es ist jetzt 0715 und hell. Mehrere Passanten flehten Sie schon zu Beginn an, das Abladen nicht abbrechen zu lassen, so wie es in den letzten Wochen vermehrt geschah. Ihr Kommandant gab Ihnen freie Hand, selber und situativ über die Durchführung des Auftrags zu entscheiden.

Unmittelbare Situation

Sie haben sich bereits an diese seltsame Mischung aus Anspannung und Routine, Aufmerksamkeit und Müdigkeit – es ist das Ende einer Nachtschicht – gewöhnt. Wahrscheinlich deshalb sprechen Sie nur Weniges und Belangloses. Fabio meint, dass er das GMTF jetzt unbedingt für ein kurzes persönliches Bedürfnis verlassen müsse. Sie denken sich nichts dabei, schliesslich ist das Abladen bis jetzt ruhig verlaufen. Wenige Meter vor dem Busch bricht ein Schuss und Fabio fällt aufschreiend zu Boden. Der Bereich seiner Schulter färbt sich sofort rot. Er liegt ca. 17m vor Ihnen. Fabio kann sich kriechend noch etwas in Ihre Richtung bewegen, bleibt aber dann kraftlos liegen. Ihre Blicke treffen sich…

Der Beschuss kam eindeutig von Osten. Ihr ZF-Schütze meldet über Funk, dass kein Ziel erkennbar sei.

Fragestellung

  • Welche Möglichkeiten sehen sie, diese Situation zu bewältigen?
  • Wie helfen Sie Fabio am schnellsten und am sichersten?
  • Rückblickend (im Sinne einer AAR): Was sind die für Sie wesentlichsten Parameter, die Ihre Beurteilung der Lage hätten beeinflussen müssen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #4

Zum Decision Game vom April haben uns vier Einsendungen erreicht, was uns besonders freut, nachdem das erste Tactical Game nur eine Antwort erhielt. Es ging entsprechend schwergewichtig um Command:

Führungssituationen können danach kategorisiert werden, ob sie einfach, kompliziert, komplex oder chaotisch sind. Beim vorliegenden Szenario handelt es sich wohl eindeutig um letzteres. Ist der Schütze fort? Sind es mehrere? Lebt Fabio noch? Die Zeit für detaillierte Analysen oder gar eine Aktionsplanung fehlt, Handeln ist entscheidend. Ein naheliegender erster Schritt ist das Wiedererlangen der Feuerüberlegenheit, sei es mittels Zielfernrohr oder mittels 12.7mm Maschinengewehr. Der Schutz für das weitere Handeln ist entscheidend, etwa durch eine Anpassung des Dispositivs (Ausrichtung auf vermutete Beschussrichtung) in Feuer und Beobachtung – ein Wärmebildgerät kann auch ausserhalb der Dunkelheit hilfreich sein. Der Einsatz von Nebel, wie auf dem GMTF verfügbar, und die Verschiebung desselben als Deckung sind weitere Schritte.

Erst jetzt ist an Kameradenhilfe zu denken, wobei der Verwundete situativ zu bergen oder auch nur zu stabilisieren ist. Parallel dazu erfolgt die Meldung an die vorgesetzte Stufe – in einem funktionierenden Verband sollte das ohne Zutun des Chefs erfolgen. Einzelne meinten, der eigentliche Auftrag – das Abladen – sollte weiterhin erfüllt werden, da der Gegner ja typischerweise mittels Hit-and-run agiere und nun keine Störung mehr zu erwarten sei. Das scheint mir angesichts des geänderten Fokus des Gruppenführers doch fraglich, kann aber wohl nur vor Ort eingeschätzt werden.

Auch zur After-Action-Review (AAR; weshalb konnte das passieren?) wurden zahlreiche Aussagen gemacht. Im Command-Bereich ist es wenig konsequent, einen Auftrag, der bewusst im Schutze der Dunkelheit durchgeführt wird, bei Tageslicht fortzusetzen. Gegen die negativen Folgen von Routine anzukämpfen, ist zudem eine Aufgabe der Leadership. Schaffe ich es, eine professionelle Kultur zu entwickeln und zu erhalten, die auch unter Belastung und Ermüdung nicht ins Bequeme und Unvorsichtige abdriftet? Das ist eine anspruchsvolle und permanente Führungsaufgabe. Im Management schliesslich stellen sich rückblickend organisatorische Fragen: hätte der verspätete Verlad verhindert werden können? Funktionieren die Alarmierung und Auslösung der Reserve? Sind die Rettungsprozesse bekannt? Einiges ist nicht nur Taktik und Kultur, sondern schlicht und einfach Organisation. Letztlich geht es dann in der AAR nicht nur darum, die Fehler zu erkennen, sondern Konsequenzen für die Zukunft abzuleiten – von Command (Gefechtstechnische Standards) über Leadership (Professionelle Kultur) bis hin zum Management (Einsatzplanung).

Von den Einsendungen hat Hptm Flurin Jossen alle diese Punkte am prägnantesten zusammengestellt. Wir gratulieren ihm zum Gewinn des Tactical Decision Games #4, wünschen viel Spass bei der Lektüre von «Concrete Hell» von Louis A. DiMarco und bedanken uns bei all jenen, die sich die Mühe genommen haben eine Lösung einzureichen oder sie bei anderer Gelegenheit, mit Kameradinnen und Freunden, diskutiert hatten.

Weiterführende Links

Falls Sie sich noch mit mehr Decision Games beschäftigen wollen, so finden Sie unter folgendem Link eine ausgiebige Sammlung von Tactical Decison Games: https://www.mca-marines.org/wp-content/uploads/Mastering-Tactics.pdf.

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