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Leader's Digest Leader's Digest #6 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #6

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der diskussionswürdigsten Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #6

Szenario

Die Schweiz befindet sich im Krieg. Gegnerische mechanisierte Verbände haben die Landesgrenze überschritten, ein Oberbefehlshaber der Armee wurde von der Bundesversammlung gewählt. Ein erster Angriff wurde vor wenigen Wochen gestoppt, dem Gegner ist es jedoch gelungen, einen Brückenkopf in ST. GALLEN, W begrenzt durch die SITTER, zu sichern. Der Militärische Nachrichtendienst geht davon aus, dass in den nächsten Tagen ein Ausbruch entlang der Hauptstrasse 7, parallel zur zerstörten A1, erfolgen wird.

Durch einen raschen und teilweise improvisierten Aufwuchs wurden die Armeebestände in den letzten Monaten mehr als verdoppelt. Dazu wurden Freiwillige, in erster Linie ehemalige Armeeangehörige, in Leichten Bataillonen zusammengefasst, von denen jeweils zwei die bestehenden Infanteriebataillone zu Regimentern verstärken. So auch das neu gebildete Gebirgsinfanterieregiment 29, das den oben beschriebenen Ausbruch mit seinen drei Bataillonen verhindern soll.

Darin hat das Gebirgsinfanteriebataillon 29 den Auftrag erhalten, den gegnerischen Stoss durch GOSSAU zu verhindern. Das Leichte Infanteriebataillon 72 verzögert den Übertritt über die SITTER im Raum ABTWIL – WINKELN, das Leichte Infanteriebataillon 86 verhindert die Umgehung über HERISAU.

Gegner

Als Gegner der ersten Staffel wird mit einem Mechanisierten Infanterieregiment gerechnet, das aus drei Infanteriebataillonen (jeweils 41 BMP-2) und einem Panzerbataillon (31 T-80U) besteht.

Eigene Mittel

Sie sind Kompaniekommandant der Gebirgsinfanteriekompanie 29/1. Zusätzlich zu Ihren drei Gefechtszügen mit jeweils vier Gruppen, die mit dem üblichen Gerät (1 Mg 12.7mm pro Zug, zusätzlich pro Gruppe 2 LMg 5.6mm, 2 Granatwerferaufsätze, 2 Zielfernrohre) und hinreichend Munition ausgerüstet sind, wurden Ihnen vor einigen Wochen zwei «leichte Züge» unterstellt. Diese bestehen jeweils aus rund 30 Freiwilligen, mehrheitlich ehemalige Armeeangehörige, Durchschnittsalter 40 Jahre, gestandene Bürgerinnen und Bürger mit variierender Fitness und variierender Militärerfahrung – vom Zivildienstler bis zum ehemaligen Kommandanten einer Füsilierkompanie. Sie sind mehrheitlich mit dem Sturmgewehr 90 bewaffnet, häufig aber auch mit dem Sturmgewehr 57 und vereinzelt mit Maschinengewehren und Maschinenpistolen aus Privatbesitz. Ferner ist Ihnen ein Spähertrupp zugewiesen, der in 1. Priorität über die Feuerkompetenz eines 8.1cm Mörserzugs verfügt. 12cm Bogenfeuer kann angefordert werden, ist jedoch nur auf Stufe Regiment verfügbar. Die bataillonseigene Drohnenwerkstatt stellt täglich rund 10 Drohnen her, die auf die Kompanien verteilt werden.

An Fahrzeugen sind 4 Geschützte Mannschaftstransportfahrzeuge GMTF, 4 Radschützenpanzer 8×8 Piranha II, 4 Lastwagen DURO und 1 Kommandoradschützenpanzer 6×6 (ohne FIS HE) verfügbar. Die weitere Mobilität wird durch Zivilfahrzeuge (Minibusse, Pickups, aber auch Bagger) sichergestellt, deren Requisition der Bataillonskommandant als Ortskommandant bereits angeordnet hat.

Auftrag

Auftrag Gebirgsinfanteriekompanie 29/1: Verhindert gegnerischen Stoss durch GOSSAU nördlich des DORFBACHS.

Aufträge der Nachbarkompanien:

Gebirgsinfanteriekompanie 29/2: Verhindert gegnerischen Stoss durch GOSSAU südlich des DORFBACHS, hält sich bereit Flanke aus Richtung HERISAU zu schützen.

Gebirgsinfanteriepanzerabwehrkompanie 29/3: Nutzt Gegner im Raum METTENDORF – MOOSWIES ab und kanalisiert ihn.

Fragestellung

  • Wie bereiten Sie die Ortschaft vor, wenn Sie 72h haben?
  • Wie positionieren Sie Ihre 5 Züge?
  • Welche Anträge stellen Sie betreffend Kanalisierung im Vorgelände (Kompanie 3) im Rahmen des taktischen Dialogs mit dem Bataillonskommandanten?

Als Lösung genügt eine Skizze mit Stichworten. Dazu sei an Brigadegeneral Gideon Avidor (IDF) erinnert: «During the Yom Kippur War, I served as a G3 officer at 252nd Divison Headquarters. In the course of twenty-three days of fighting, not a single written command was issued. All the battles, including crossing the Suez Canal, were conducted by means of graphic orders or orders issued over the radio».

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #6

Zum Decision Game vom Juni haben uns zwei Einsendungen erreicht. Die beiden Lösungen zeigen, dass sowohl eine akribische Beurteilung der Lage als auch eine pragmatische Analyse im Tischset-Format zu brauchbaren taktischen Entschlüssen führen.

Das vorliegende Szenario zeigt erneut, dass taktische Fragestellungen eine höhere Eintrittshürde mit sich bringen als ethische. Dies mag an der Vielfalt der Möglichkeiten liegen oder daran, dass es um unsere taktische Handlungssicherheit schlecht gestellt ist. Trotzdem haben uns zwei Einsendungen erreicht, die zeigen, dass durch eine gründliche Analyse und taktisches Denken klare Handlungsempfehlungen entwickelt werden können und dass hierzu das Format eines Tischsets ausreichend ist. Im Folgenden werden wir die verschiedenen Ansätze betrachten und ihre Stärken sowie Schwächen herausarbeiten.

Croquis von Mitterer/Walser

Gemeinsam ist beiden Einsendungen, dass sie den Gegner auf der Hauptstrasse 7 kanalisieren und dort vernichten wollen – mit entsprechenden Begehren an die Geb Inf Pzaw Kp 29/3 im Vorabschnitt. Die beiden Einsendungen schlagen dazu zwei naheliegende, aber unterschiedliche Aufstellungen der drei regulären Infanteriezüge vor, ich nenne sie hier «HINTEREINANDER» und «NEBENEINANDER».

In der ersten Variante sollen entlang der Hauptachse zwei Züge hintereinander aufgestellt werden, mit einem dritten Zug in der nördlichen Flanke, der sich für Gegenangriffe vor die jeweiligen Sperren bzw. Stützpunkte bereithält. Stärke dieser Variante ist die Freiheit des Handelns mit einem gut positionierten Zug für offensive Aktionen, Schwäche ist die Sicherheit, da auf eine seitliche Flankierung nördlich oder südlich der Hauptachse schlechter reagiert werden kann sowie die Problematik, dass bei einer Aufstellung hintereinander der Frontverband aus psychologischen Gründen wohl zu einer weniger hartnäckigen Kampfführung neigen dürfte – schliesslich weiss man ja die Sicherheit der Kameraden hinter sich. Dennoch kann diese Lösung durchaus als innovativer Ansatz gelesen werden.

Die alternative Variante ist die Anwendung des Einsatzverfahrens der Infanterie «Kampf in einer Sperrstellung im überbauten Gelände». Hier sind durch zwei Züge nebeneinander Stützpunkte auf zwei benachbarten Kreuzungen zu platzieren, mit einem dritten Zug rückgelagert, der sich wahlweise für eine Schwergewichtsverlagerung Richtung Süden oder Norden sowie für offensive Aktionen bereithält. In sich scheint mir dieser Ansatz, basierend auf der Geländeanalyse, passender, da der Gegner mehrere Parallelstrassen zur Hauptstrasse nutzen kann, die alleine durch passive Hindernisse nicht zu halten wären.

Zusätzlich zu den 3 regulären Zügen waren 2 Leichte Züge aus Freiwilligen verfügbar. Beide Einsendungen bilden daraus Züge in Abhängigkeit der Fähigkeiten der Freiwilligen. Die Fitteren werden in der einen Lösung den bestehenden Zügen zur Verstärkung zugeteilt, in der anderen Lösung für den Flankenschutz HOFEGG sowie Aufklärung und Abnützung im Vorgelände. Die weniger Fitten werden jeweils für logistische Zwecke und Eigenschutz eingesetzt.

Interessant ist zudem der Hinweis einer Einsendung, dass die Anhöhe SONNENBERG ausserhalb des eigenen Raums dem Gegner Feuerpodeste für Panzer bietet, was einen Antrag zur Raumerweiterung zur Folge hätte. Damit müsste sogar die Regimentsabschnittsgrenze erweitert werden, was aber mit Blick auf das taktisch zusammenhängende Gelände tatsächlich angebracht ist.

Darüber hinaus wäre viel Gutes in beiden Varianten anzumerken und nur wenige Lücken. Auffällig ist etwa, dass beide darauf verzichten, die Brücken über den DORFBACH zu zerstören oder zumindest mit Hindernissen zu blockieren. Der Bataillonskommandant dürfte dabei allerdings mitschuldig sein, hat er doch die Kompanieabschnittsgrenze dem DORFBACH entlang gelegt, so dass sich keiner für die Übergänge verantwortlich fühlt. Dies müsste zwingend in der Bewegungs- und Hindernisführung auf Stufe Bataillon bereinigt werden.

Die Gesamtbeurteilung hängt nun von den Kriterien ab. Um das Engagement der wenigen taktisch Aktiven zu würdigen, entscheiden wir uns dieses Mal – und als Anreiz: wer weiss, vielleicht auch in Zukunft – zweierlei zu prämieren. Hptm Raphael Iselin gewinnt für den taktisch stärkeren und stringent begründeten Entschluss. Hptm Lukas Walser und Oblt Anna Mitterer haben mit Ihrer gemeinsamen Einsendung überzeugt, indem sie ihre prägnante und grafisch konzise Entschlussfassung auf dem Format «Tischset» konzentrierten. Damit soll unterstrichen werden, dass im Gefecht Einfachheit in Entschluss und Befehl ebenso relevant ist wie die taktische Güte. Wir gratulieren allen drei zum Gewinn des Tactical Decision Game #6 und wünschen ihnen viel Spass bei der Lektüre «Hammerstein oder der Eigensinn» von Hans Magnus Enzensberger. Unser Dank gilt auch all jenen Teilnehmern, die diese bei anderer Gelegenheit mit ihren Kameradinnen und Kameraden diskutiert haben.

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Leader's Digest Leader's Digest #5 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #5

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der diskussionswürdigsten Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #5

Szenario

Während einer aussenpolitisch angespannten Lage zwischen zwei Staaten lancieren unabhängige Terroristen eine umfangreiche False-Flag-Cyber-Operation: Politisch motiviert manipulieren sie Wahldaten, fluten soziale Medien mit Bots und führen GPS-Spoofing-Attacken durch.

Die Terroristen handeln so, um die Sensoren und Frühwarnsysteme beider Staaten zu stören. In beiden Staaten werden auf diese Weise Warnmeldungen ausgelöst, die nicht richtig zugeordnet und fälschlicherweise dem jeweils anderen Staat zugeschrieben werden. Es gibt keine zuverlässigen Belege, welche die zwischenstaatlichen Anschuldigungen widerlegen und eine Deeskalation bewirken könnten. Beide Staaten weisen jegliche Verantwortung von sich und sehen die jeweils andere Seite in der Verantwortung.

Die Vorgänge werden beiderseits als Auftakt präemptiver militärischer Massnahmen bewertet, weshalb beide Seiten Cyberattacken auf konventionelle C3-Netzwerke (Command, Control & Communications) durchführen. Die militärstrategischen Planungsvorgänge nutzen KI-basierte Expertensysteme zur Unterstützung. Diese Expertensystem schlagen dann aufgrund der Datenlage und mittels Vergleiche mit früheren bewaffneten Konflikten in anderen Ländern eine Reihe konventioneller militärischer Vorgehensweisen vor, um als konventionelle Erstschläge Abwehreinrichtungen, Kommunikations- und Rechenzentren im jeweils anderen Land anzugreifen. Um die eigene Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen, werden eine Reihe von Abwehrmassnahmen und konventionellen Vergeltungsschlägen gegen kritische Infrastrukturen der Gegner einem KI-Algorithmus übertragen, der diese Massnahmen bei gegnerischem Angriff koordiniert und autonom umsetzt.

Sie sind Kompaniekommandant. Gemeinsam mit Ihren Truppen sind Sie an der Grenze stationiert und haben den Auftrag, eine kritische Infrastruktur im grenznahen Ausland zu beobachten, und Belege für verdächtige Vorgänge zu sammeln. Aufgrund Ihrer etwas erhöhten Position haben Sie und Ihre Truppen Einsicht auf die Kritische Infrastruktur ohne die Grenze überschreiten zu müssen.

Es häufen sich die Hinweise auf eine bevorstehende Sabotageaktion von unbekannten Akteuren. Zudem häufen sich die Gerüchte in den sozialen Kanälen, welche in der Truppe weit verbreitet sind, dass der Konflikt ursprünglich von unabhängigen Terroristen angezettelt wurde und diese die Eskalation nun weiter vorantreiben wollen. Unter den Offizieren im ganzen Bataillon macht sich die Vermutung breit, dass solche unabhängigen Terroristen die Kritische Infrastruktur sabotieren wollen, um die Eskalation hin zum Krieg zu bewirken.

Mitten in der Nacht werden Sie als Kompaniekommandant von dem nun sichtlich aufgeregten Leutnant Hauser, Zugführer BIVIO, informiert, dass eine Sabotageaktion auf die beobachtete Kritische Infrastruktur im Nachbarstaat vorbereitet wird. Leutnant Hauser informiert, dass er mit seinem Zug bereit ist und schlägt vor, mit seinem Zug jetzt einzugreifen und somit den Sabotageversuch zu verhindern zu versuchen.

Seit einigen Stunden ist der Kontakt zur vorgesetzten Stufe abgebrochen. Dies ist in den vergangenen Monaten regelmässig passiert und sehr wahrscheinlich auf gegnerische Operationen zurückzuführen, die bis anhin allerdings ebenso wenig nachgewiesen werden konnten. Jedenfalls scheinen Sie keine Möglichkeit zu haben, die Ansicht Ihres vorgesetzten Kommandanten oder gar eine rechtliche Einschätzung des Grossen Verbandes zu erhalten

Fragestellung

  • Welche Gründe sprechen für und welche gegen ein Eingreifen von Ihnen als Kompaniekommandant?
  • Schätzen Sie, dass Ihr Eingreifen als regulärer Kriegseintritt gewertet werden könnte?
  • Wann wurde bzw. wird Ihrer Einschätzung nach die Schwelle hin zum regulären Krieg überschritten?
  • Wie handeln Sie im Anbetracht dieser Überlegungen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #5

Zum Ethical Decision Game vom Mai haben uns wiederum erfreuliche sechs Einsendungen erreicht, welche auf das Dilemma mit verschiedenen Herangehensweisen reagieren.

Kern des ethischen Dilemmas ist die Frage, ob von einem Auftrag und erhaltenen Auflagen abgewichen darf, um mutmasslich Schlimmeres zu verhindern. Verschärft wird die Situation einerseits durch die beschriebenen Automatismen aufgrund der Verwendung von Künstlicher Intelligenz und andererseits durch eine regelrechte Verschachtelung von Ungewissheiten: greifen die Terroristen die Kritische Infrastruktur im Nachbarland an, um zum Krieg zu eskalieren? Ist es das Nachbarland selbst, das mit einer False Flag Operation einen Vorwand zur Eskalation schaffen will? Handelt es sich um eine Falle, um uns zur Intervention zu verleiten, die wiederum als Vorwand zur Eskalation genutzt werden kann – oder verhindern wir durch unser Eingreifen gerade die Eskalation?

Der betroffene Kompaniekommandant muss aufgrund der unterbrochenen Verbindung zur vorgesetzten Stufe (ist das ein Hinweis für oder gegen eine False Flag-Operation?) auf Basis unvollständiger Informationen entscheiden. Die Ethik lehrt, dass er nicht nur für seine Handlungen, sondern auch für seine Unterlassungen verantwortlich ist. Aus dieser Perspektive ist das Argument «ich habe keinen Auftrag zur Intervention erhalten» nicht hinreichend. Dass solche Situationen keineswegs nur fiktiv sind, zeigt die Geschichte des sowjetischen Oberstleutnants Stanislaw Petrow, der 1983 möglicherweise einen Nuklearkrieg verhinderte.

Die Einsendungen listen gewissenhaft die Gründe für und gegen die Intervention auf: Eine solche könnte zum Spannungsabbau beitragen, als guter Wille gedeutet werden, vertrauensbildend wirken und gar – je nach Art der Infrastruktur – Schaden von der Zivilbevölkerung abwehren und schliesslich einen Krieg verhindern. Andererseits ist die kinetische Grenzüberschreitung als Verstoss gegen die territoriale Integrität des Nachbarstaates eine Provokation an sich, die eigene Truppe wird gefährdet, die eigenen Mittel sind womöglich nicht ausreichend, es besteht eine Irrtumswahrscheinlichkeit und, wie bereits erwähnt, ist die Intervention nicht Teil des Auftrags.

Entsprechend divers sind die Vorschläge: Ein Leser will sich nicht festlegen, einer greift ein, zwei greifen nicht ein, ein weiterer greift nicht ein, will aber einen Grenzposten im Nachbarland informieren. Was wollen wir daraus als Führungskräfte lernen – abwarten und auf die richtige Intuition hoffen?

Mehrere haben den Hinweis integriert, dass mittels Wargaming und Eventualplanungen vergleichbare Situationen durchaus antizipiert werden könnten und man solche Entwicklungen mit der vorgesetzten Stufe hätte besprechen müssen. Das ist sicher eine wichtige Lektion zum Mitnehmen, doch ein Konjunktiv reicht noch nicht für den ersten Platz.

Deshalb geht dieser an den Leser, der in kreativer Weise eingreift, indem er mit Beleuchtungsgranaten – «am besten Infrarot» – auf die drohende Sabotage aufmerksam macht. Für diesen Vorschlag mit der schlüssigen Begründung «Wenn meine Kompanie in solcher Grenznähe, nahe einer gegnerischen Kritischen Infrastruktur zur Überwachung eingesetzt wird, wird das auch der Gegner bereits wissen und beobachten, was wir tun.» gebührt Hptm Thierry Widmer der Sieg. Der Preis, das Buch «The AI Commander» von James Johnson, wird ihm persönlich überreicht.

Weiterführende Links

Falls Sie sich noch mit mehr Decision Games beschäftigen wollen, so finden Sie unter folgendem Link eine ausgiebige Sammlung von Tactical Decison Games: https://www.mca-marines.org/wp-content/uploads/Mastering-Tactics.pdf.

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Leader's Digest Leader's Digest #4 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #4

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Maj Philipp Scherrer erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #4

Szenario

Gegner

In der Schweiz ist es zu Kampfhandlungen im Verteidigungsraum gekommen. Im rückwärtigen Raum stören und binden irreguläre Kräfte unsere Verbände mit schweizweit täglich weit über 50 Anschlägen.

Die irregulären Kräfte sind auf Tageslicht angewiesen und wählen bewusst die «Hit and Run»-Taktik: Dabei werden unsere Kräfte auf grösstmögliche Distanz beschossen und der Gegner zieht sich zurück, bevor auf den Beschuss reagiert werden kann.

Das Hauptziel des Gegners ist dabei nebst dem Zufügen von Verlusten von Menschen und Material insbesondere das Untergraben der Moral der Truppen und somit die Aushöhlung deren Wehrwillens.

Als favorisierte Ziele solcher Anschläge gelten ungepanzerte Fahrzeuge und einzelne stehende Angehörige der Armee.

Zusätzlich zu den Anschlägen auf eigene Truppen wird auch zivile Infrastruktur vermehrt durch gegnerische weitreichende Artillerie beschossen.

Eigene Mittel

Sie sind seit einigen Monaten Gruppenführer und konnten in der Zeit ein starkes Team formen. Der Umgang ist kameradschaftlich und professionell zugleich. Es haben sich gradunabhängig echte Freundschaften entwickelt; etwa zwischen Ihnen und Fabio, einem Ihrer Soldaten.

Ihre Gruppe verfügt über einen gepanzerten Personentransporter (GMTF). Nebst der Besatzung des Gefechtsfahrzeugs und fünf Sturmgewehr (Stgw)-Schützen verfügen Sie über einen Stgw-Zielfernrohr (ZF)-Schützen und einen Leichten Maschinengewehr (LMg)-Schützen.

Auftrag

Sie haben den Auftrag, das Abladen von Verpflegung und Sanitätsmaterial am Bahnhof WALENSTADT zu sichern. Mit diesem Material soll die notleidende Bevölkerung der umliegenden Dörfer versorgt werden.

Zur Sicherung haben Sie den ZF-Schützen zusammen mit dem LMg-Schützen im Dachstock des Restaurants Churfirsten Stellung beziehen lassen. Die Verbindung steht. Das Binom hat mit den Restlichtverstärkern gut Einblick über das taktisch zusammenhängende Gelände. Insbesondere der Zu- und Austritt nach Osten (die von Ihnen als am gefährlichsten beurteilte Geländekammer), kann gut eingesehen werden. Sie sitzen mit Fabio gemeinsam im GMTF. Alle weiteren AdA stehen gut geschützt in Rufweite und sichern die näheren Zu- und Austritte.

Umwelt

Das Abladen der dringend benötigten Güter hätte bis 1h vor Beginn der Dämmerung abgeschlossen sein sollen (0545). Doch die Einfahrt des Zuges verzögerte sich aufgrund von Artilleriebeschuss.

Es ist jetzt 0715 und hell. Mehrere Passanten flehten Sie schon zu Beginn an, das Abladen nicht abbrechen zu lassen, so wie es in den letzten Wochen vermehrt geschah. Ihr Kommandant gab Ihnen freie Hand, selber und situativ über die Durchführung des Auftrags zu entscheiden.

Unmittelbare Situation

Sie haben sich bereits an diese seltsame Mischung aus Anspannung und Routine, Aufmerksamkeit und Müdigkeit – es ist das Ende einer Nachtschicht – gewöhnt. Wahrscheinlich deshalb sprechen Sie nur Weniges und Belangloses. Fabio meint, dass er das GMTF jetzt unbedingt für ein kurzes persönliches Bedürfnis verlassen müsse. Sie denken sich nichts dabei, schliesslich ist das Abladen bis jetzt ruhig verlaufen. Wenige Meter vor dem Busch bricht ein Schuss und Fabio fällt aufschreiend zu Boden. Der Bereich seiner Schulter färbt sich sofort rot. Er liegt ca. 17m vor Ihnen. Fabio kann sich kriechend noch etwas in Ihre Richtung bewegen, bleibt aber dann kraftlos liegen. Ihre Blicke treffen sich…

Der Beschuss kam eindeutig von Osten. Ihr ZF-Schütze meldet über Funk, dass kein Ziel erkennbar sei.

Fragestellung

  • Welche Möglichkeiten sehen sie, diese Situation zu bewältigen?
  • Wie helfen Sie Fabio am schnellsten und am sichersten?
  • Rückblickend (im Sinne einer AAR): Was sind die für Sie wesentlichsten Parameter, die Ihre Beurteilung der Lage hätten beeinflussen müssen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #4

Zum Decision Game vom April haben uns vier Einsendungen erreicht, was uns besonders freut, nachdem das erste Tactical Game nur eine Antwort erhielt. Es ging entsprechend schwergewichtig um Command:

Führungssituationen können danach kategorisiert werden, ob sie einfach, kompliziert, komplex oder chaotisch sind. Beim vorliegenden Szenario handelt es sich wohl eindeutig um letzteres. Ist der Schütze fort? Sind es mehrere? Lebt Fabio noch? Die Zeit für detaillierte Analysen oder gar eine Aktionsplanung fehlt, Handeln ist entscheidend. Ein naheliegender erster Schritt ist das Wiedererlangen der Feuerüberlegenheit, sei es mittels Zielfernrohr oder mittels 12.7mm Maschinengewehr. Der Schutz für das weitere Handeln ist entscheidend, etwa durch eine Anpassung des Dispositivs (Ausrichtung auf vermutete Beschussrichtung) in Feuer und Beobachtung – ein Wärmebildgerät kann auch ausserhalb der Dunkelheit hilfreich sein. Der Einsatz von Nebel, wie auf dem GMTF verfügbar, und die Verschiebung desselben als Deckung sind weitere Schritte.

Erst jetzt ist an Kameradenhilfe zu denken, wobei der Verwundete situativ zu bergen oder auch nur zu stabilisieren ist. Parallel dazu erfolgt die Meldung an die vorgesetzte Stufe – in einem funktionierenden Verband sollte das ohne Zutun des Chefs erfolgen. Einzelne meinten, der eigentliche Auftrag – das Abladen – sollte weiterhin erfüllt werden, da der Gegner ja typischerweise mittels Hit-and-run agiere und nun keine Störung mehr zu erwarten sei. Das scheint mir angesichts des geänderten Fokus des Gruppenführers doch fraglich, kann aber wohl nur vor Ort eingeschätzt werden.

Auch zur After-Action-Review (AAR; weshalb konnte das passieren?) wurden zahlreiche Aussagen gemacht. Im Command-Bereich ist es wenig konsequent, einen Auftrag, der bewusst im Schutze der Dunkelheit durchgeführt wird, bei Tageslicht fortzusetzen. Gegen die negativen Folgen von Routine anzukämpfen, ist zudem eine Aufgabe der Leadership. Schaffe ich es, eine professionelle Kultur zu entwickeln und zu erhalten, die auch unter Belastung und Ermüdung nicht ins Bequeme und Unvorsichtige abdriftet? Das ist eine anspruchsvolle und permanente Führungsaufgabe. Im Management schliesslich stellen sich rückblickend organisatorische Fragen: hätte der verspätete Verlad verhindert werden können? Funktionieren die Alarmierung und Auslösung der Reserve? Sind die Rettungsprozesse bekannt? Einiges ist nicht nur Taktik und Kultur, sondern schlicht und einfach Organisation. Letztlich geht es dann in der AAR nicht nur darum, die Fehler zu erkennen, sondern Konsequenzen für die Zukunft abzuleiten – von Command (Gefechtstechnische Standards) über Leadership (Professionelle Kultur) bis hin zum Management (Einsatzplanung).

Von den Einsendungen hat Hptm Flurin Jossen alle diese Punkte am prägnantesten zusammengestellt. Wir gratulieren ihm zum Gewinn des Tactical Decision Games #4, wünschen viel Spass bei der Lektüre von «Concrete Hell» von Louis A. DiMarco und bedanken uns bei all jenen, die sich die Mühe genommen haben eine Lösung einzureichen oder sie bei anderer Gelegenheit, mit Kameradinnen und Freunden, diskutiert hatten.

Weiterführende Links

Falls Sie sich noch mit mehr Decision Games beschäftigen wollen, so finden Sie unter folgendem Link eine ausgiebige Sammlung von Tactical Decison Games: https://www.mca-marines.org/wp-content/uploads/Mastering-Tactics.pdf.

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Leader's Digest Leader's Digest #3 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #3

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberst i Gst Dieter Baumann erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #3

Die Armee befindet sich im Aktivdienst in einer Verteidigungsoperation. Die gegnerischen Truppen haben zahlreiche Gebiete vermint.

Eine Ihrer Gruppen gerät in ein solches Minenfeld. Mehrere Minen explodieren; zwei Ihrer Soldaten sind auf der Stelle tot, ein Soldat und eine Soldatin werden schwer verletzt. Ohne sofortige Hilfe werden die beiden Verwundeten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Sie stellen ein Rettungsteam zusammen, um die Verwundeten zu bergen und die medizinische Erstversorgung sicherzustellen.

Als Sie Ihre Befehlsausgabe an das Team vorbereiten, sehen Sie einen gegnerischen Soldaten, der das Minenfeld durchquert. Offensichtlich weiss dieser Soldat, wo die Minen verlegt sind.

Es gelingt Ihnen, diesen Soldaten gefangenzunehmen. Der gefangene Soldat weigert sich jedoch, Ihnen den Weg zu zeigen.

Fragestellung

Was für Handlungsoptionen haben Sie in dieser Situation? Wie gewichten bzw. beurteilen Sie Ihre Handlungsoptionen? Wie entscheiden Sie sich und wie begründen Sie diese Entscheidung?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #3

Zum Decision Game vom März haben uns wiederum volle zehn Einsendungen erreicht. Es handelte sich um ein eigentliches Schulbuchszenario, welches auf das ethische Dilemma im Umgang mit dem Kriegsgefangenen fokussierte und dabei vieles zur taktischen Lage offenliess. Dies gestaltete nicht nur die Beurteilung der Lage durch die Teilnehmer, sondern auch die Beurteilung der Antworten durch den Redaktor als anspruchsvoll.

Kern der Aufgabenstellung ist das ethische Dilemma, dass gemäss Kriegsvölkerrecht die Androhung oder Anwendung von Gewalt an Kriegsgefangenen absolut verboten ist. Dieser kennt gemäss Szenario jedoch sichere Passagen durch ein Minenfeld, was das Leben eigener Soldaten retten könnte. Ihn zur Herausgabe dieser Information zu zwingen oder zu nötigen, die Gruppe sicher aus dem Feld zu führen, wäre jedoch ein Kriegsverbrechen.

Sämtliche Einsendungen haben dies erkannt und gehen unterschiedlich damit um. Viele sprechen sich für eine strikte Einhaltung aus und loten Alternativen aus. Konkret weist etwa jemand darauf hin, dass eine Befragung und Durchsuchung sehr wohl erlaubt ist – möglicherweise trägt der gegnerische Soldat Pläne auf sich. Andere hoffen auf die Kraft des Argumentes oder darauf, dass eine humane Behandlung mit einem Appell an die Menschlichkeit fruchten mag. Wiederum andere sind bereit, im Interesse ihrer Truppe bewusst widerrechtlichen Zwang auszuüben und sich in der Konsequenz auch dem Kriegsgericht zu stellen. Nicht zu Unrecht weist eine Antwort darauf hin, dass «tactical intelligence» auf Stufe Gruppe kaum Aussicht auf Erfolg hat und schon nur deshalb zu unterlassen sei; auch die negative Vorbildwirkung bei der künftigen Behandlung von Kriegsgefangenen oder Konsequenzen in der internationalen Wahrnehmung werden angesprochen. Zu urteilen, wie ein Individuum in so einer Situation tatsächlich handeln würde und welche Konsequenzen es zu tragen bereit wäre, kann wohl nur abschätzen, wer Vergleichbares im Krieg erlebt hat. Rechtlich ist die rote Linie jedenfalls gegeben und es wäre nicht statthaft, diese von einem friedlichen Redaktionssessel aus aufzuweichen.

Besonders erfreulich ist aber, dass eine Mehrheit der Einsendungen das ethische Dilemma nicht isoliert betrachtet. Vielmehr sollen Führungsentscheide ganzheitlich, d.h. auftragszentriert, menschenorientiert und organisationsbasiert, getroffen werden. So weisen die Einsendungen denn auch eine erfreuliche Breite an weitergehenden Überlegungen aus. Mehrere berücksichtigen, etwa mit Blick auf die Zeitverhältnisse, die im Tactical Combat Casualty Care (TCCC) vermittelten Grundkenntnisse zu von Minen verursachten Verwundungen (blast injuries). Eine Mehrheit der Einsendungen berücksichtigt auch gefechtstechnische Aspekte, von verschiedenen Sofortmassnahmen bis zur Notwendigkeit einer Windenrettung. Mehrere Antworten schliessen trotz spärlichen Informationen auch auf die taktischen Rahmenbedingungen («keine Sperre ohne Feuer») und treffen geeignete Annahmen über die eigenen Mittel, um daraus ein Vorgehen abzuleiten.

In Breite und Prägnanz hervorzuheben ist dabei die Einsendung von Oblt André Von Flüe. Er beurteilt aus medizinischer, gefechtstechnischer, taktischer und strategischer Perspektive, weist ein Spektrum von drei Handlungsvarianten aus und begründet sein gewähltes Vorgehen im ethischen Spannungsfeld. Damit unterstreicht er den Anspruch des Newsletters, dass gute Führung gleichermassen Command, Leadership und Management umfasst. Wir gratulieren ihm zu seiner durchdachten Eingabe und wünschen ihm viel Spass bei der Lektüre von «Team of Teams» von General (ret) Stanley McChrystal.

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Leader's Digest Leader's Digest #2 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #2

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberstlt i Gst Olaf Niederberger erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #2

Gegner

Die Nacht brachte Klarheit. Das Unmögliche ist eingetroffen. Es ist Krieg. Um 0300 wurde die Bevölkerung durch Sirenenalarm in Angst und Schrecken versetzt. In der Ferne waren dutzende Explosionen zu vernehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass Abstandswaffen gegen Schlüsselziele eingesetzt werden. Während das Internet und der Mobilfunk seit Mitternacht einen Totalausfall erleiden, reissen Funkverbindungen ständig ab. Letzten, unbestätigten Berichten zufolge sollen mehrere Kilometer nördlich des Grenzflusses gegnerische mechanisierte Kräfte einen Bereitstellungsraum bezogen haben. Vor Sonnenaufgang überflogen mehrere Transport- und Kampfhelikopter im Tiefflug unseren Sektor in Richtung Autobahn-Drehscheibe nach Südwesten. Die EKF (Elektronische Kriegsführung)-Einrichtung auf dem Hügel Z brennt. Der eigentliche Nichtraucher Hptm Honsberger drückt seine Zigarette aus, verflucht in Gedanken den Generalstab und sagt seiner Gefechtsordonanz: «Man hat es offenbar verpasst dem Feind mitzuteilen, dass dies hier eine Nebenzone ist».

Eigene Mittel

Die Territorialverteidigungskompanie (Miliz) von Hptm Honsberger hat sich im Bestand in den letzten Wochen auf rund 100 Angehörige verdreifacht. An noch mehr Freiwilligen aus der Umgebung hätte es nicht gemangelt, allerdings fehlte die Ausrüstung. Honsberger war zufrieden mit seiner Auswahl. Als Gemeinderat und Lehrer kannte er viele der Kandidaten persönlich. Er wählte die Leute nach militärischen Vorkenntnissen, charakterlichen Eigenschaften und im Einzelfall auch nach speziellen Kenntnissen aus wie bspw. der Erfahrung mit Drohnen oder das Besitzen einer erweiterten Sanitätsausbildung. Er hatte ein gutes Gefühl bei seiner Kompanie, insbesondere da sämtliche Schlüsselfunktionen durch die «alten Hasen» besetzt waren. Das Einzige, das ihm Bauchschmerzen verursachte, war der Umstand, dass aufgrund der laufenden Einsätze und dem administrativen Aufwand für den «Aufwuchs» kaum Zeit für die Überprüfung der Ausbildung vorhanden war.

Die Kompanie von Hptm Honsberger gliedert sich in drei leichte Infanterie-Züge mit je drei Gruppen. Die Mobilität ist durch requirierte Geländewagen, Motorräder und E-Bikes sichergestellt.

Der Unterstützungs-Zug von Hptm Honsberger besteht aus zwei Panzerabwehr-Gruppen (je 1x Radschützenpanzer 93 & NLAW Panzerabwehrlenkwaffen), einem Späher Trupp mit vier MOTS Mini-UAV, ein Feuerunterstützungs-Trupp mit 8.6mm Scharfschützengewehr und 6cm Mörser, einem Logistik-Element bestehend aus je einem Ns (Nachschub)-, Ih (Instandhaltungs)- und San (Sanitäts)-Trupp sowie einem Kommando-Element. Im Munitions-Magazin der Kompanie im Wald Y (Siehe Karte) liegt seit zwei Tagen zusätzliche Munition eingelagert (u.a. 12x NLAW, 24x RGW 90, beides Panzerabwehrwaffen, 48x 6cm Wurfgranaten, 3x Trichter-Sprengladung 88).

Neben der Ausbildung der Neueingeteilten nahm die Kompanie seit Tagen ebenfalls Sicherungsaufgaben wahr. Nebst Patrouillen und Beobachtungsposten in Grenznähe sicherte die Kompanie den einzigen, mittlerweile geschlossenen Grenzübergang und hat diesen zur Sprengung vorbereitet. Zudem wurde Hptm Honsberger beauftragt, eine teil-mobile taktische EKF-Einrichtung auf dem Hügel Z zu schützen. Sämtliche Soldaten von Hptm Honsberger stammten aus der Umgebung und verbrachten die Ruhezeit zuhause. Ebenfalls im Einsatzraum von Hptm Honsberger war eine ihm nicht unterstellte Stinger-Gruppe, welche sich auf dem Hügel X eingerichtet hat.

Zwischen 0545 und 0600 trafen die «Melder» der Züge auf ihren E-Bikes beim Kommandoposten der Kompanie ein (Standardverhalten bei Kommunikationsabbruch).

  • Melder AMBOS: Kein Kontakt zu Gruppe UNO. Ein Schusswechsel aus Richtung Grenzübergang war hörbar. Rund ein Dutzend Ortsansässige sind mit privaten Waffen beim Rathaus versammelt. Mittlerweile wird im Dorfzentrum geschossen, unklar ist gegen wen. Zugführer AMBOS beantragt mit zwei Gruppen zum Grenzübergang durchzubrechen und die Sprengung der Brücke vorzunehmen.
  • Melder BIVIO: Es liegt eine künstliche Nebelwand am nördlichen Ufer. Schwere Motorengeräusche aus nördlicher Richtung. Zwei unserer privaten Mini-UAV sind abgestürzt. Die Gruppe UNO überwacht das Gelände, sieht allerdings nicht viel. Gruppe DUE und TRE sind komplett am Sammelpunkt eingetroffen. Wir hätten ein Boot, der Zugführer fragt, ob er die Grenze überschreiten kann, um die gegnerischen Aktivitäten aufzuklären. Darüber hinaus scheint die Stinger-Gruppe einen Helikopter abgeschossen zu haben. Offenbar gab es Überlebende, welche flüchtig sind, bewaffnete Einheimische aus Dorf B durchsuchen mit Hunden den Wald U.
  • Melder CANALE: Es gab einen Einschlag bei der EKF Einrichtung. Keine Verbindung zur Gruppe UNO vor Ort. Der Zugführer hat einen Trupp losgeschickt, um allenfalls erste Hilfe zu leisten, drei Zivilisten aus dem Samariterverein haben sich dem Trupp angeschlossen. Der Rest des Zuges ist am Sammelplatz und wartet auf deinen Befehl.

Auftrag

Hptm Honsberger zerbricht sich den Kopf. Eigentlich lautet sein Auftrag: «Präsenz markieren, Aufklärung in deinem Raum betreiben, irreguläre Kräfte binden und damit günstige Voraussetzungen für den Einsatz der Interventionskräfte zu schaffen». Für den Fall, dass wider Erwarten die regulären gegnerischen Streitkräfte die Landesgrenze in seinem Abschnitt überschreiten, wird lediglich in einer übergeordneten Einsatzplanung beschrieben, dass die Territorialkräfte in der Nebenzone den Gegner ab Landesgrenze «bekämpfen» sollen, um auf operativer Stufe eine Schwergewichts-Verlagerung zu ermöglichen. Weiter sagt die Doktrin, dass Territorialkräfte im Falle eines gegnerischen Durchbruchs den Kampf «selbständig über eine längere Zeit mittels nadelstichartiger Aktionen» führen sollen.

Umwelt

Dorf A hat rund 4000 Einwohner und einen historischen Ortskern. Dörfer B, C, D & E haben zwischen 1000 und 2000 Einwohner. Die Gebäude sind eine Mischung aus soliden, teilweise historischen Wohngebäuden und teilweise leichteren gewerblichen Bauten. Das Zwischengelände ist durchzogen mit Hecken, vereinzelten Bäumen, vereinzelten Trockenmauern und vereinzelten Bauernhöfen. Es weist nur selten Schussdistanzen grösser als 400m auf. Der Grenzfluss weist westlich der Brücke zwei Stellen auf, welche nach rund einer Stunde Vorbereitung zum Furten geeignet wären. Zwischen dem Hügel W und X befindet sich ein Panzerhindernis, die Stahlspinnen zur Schliessung der Strasse befinden sich in bei Zug BIVIO in Dorf C.

Fragestellung

Wie handeln Sie in diesem Szenario als Hptm Honsberger?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #2

Nachdem auf das Ethical Decision Game im Januar zwölf Einsendungen eingegangen waren, hat uns im Februar auf das Tactical Decision Game nur eine einzige Handlungsempfehlung erreicht, obwohl die Anzahl Abonnenten erfreulicherweise auf über 900 gestiegen ist. In der Redaktion hat das drei Überlegungen provoziert:

  • Die Kür des Siegers fällt dieses Mal deutlich leichter, und da es sich um eine durchdachte mögliche Lösung handelt, scheint sie uns auch gerechtfertigt.
  • Es bestätigt uns in unserer Ansicht, dass wir in der Schweizer Armee viel zu wenig über taktische Führung sprechen und die Führungsausbildung zu stark auf Verfahrenssicherheit (Management) und zu wenig auf Handlungssicherheit (Command) ausgerichtet ist.
  • Das heisst nicht, dass wir zu viel über Verhaltenssicherheit (Leadership) sprechen. Deshalb werden wir weiterhin wie beabsichtigt Ethical Decision Games und Tactical Decision Games im Wechsel aufwerfen. Um verteidigungsfähig zu werden, müssen wir beide Aspekte stärken.

Nachfolgend die vorgeschlagene Lösung inklusive Skizze des Gewinners, kommentiert von Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter:

Die Kommentare sind nicht umfassend gedacht, sondern heben beispielshaft einzelne Punkte hervor. Die Lösung wurde als Fünf-Punkte-Befehl eingereicht, was absolut zielführend ist. Die Skizze ist dabei Teil der Befehlsgebung – jeder Zugführer soll eine Kopie erhalten.

In der Orientierung legt der Kompaniekommandant die möglichen gegnerischen Stösse über die Brücke und über die möglichen Stellen zum Furten (zwischen U und Q) aus. Offensichtlich kennt der Gewinner den Ablauf eines mechanisierten Angriffs und legt ihn den Zugführern verständlich aus. Er weist aber auch auf mögliche irreguläre gegnerische Kräfte hin, was mir wichtig scheint, einerseits als mögliche Erklärung für den Schiesslärm in Dorf A und damit als Aufklärungsbedarf («besonderes nachrichtendienstliches Bedürfnis»), andererseits als Sensibilisierung.

Die Absicht ist in zwei Phasen gegliedert: eine Vorbereitungsphase von 60 Minuten und eine anschliessende Kampfphase von mindestens 270 Minuten. Dies scheint mir zweckmässig und angesichts des Zeitbedarfs zum Furten realistisch. Die erste Phase ist für meinen Geschmack viel zu ausführlich. Sie umfasst sieben Punkte, die eher Einzelaufträgen entsprechen und die Zugführer teilweise übersteuern. Beispiel: Wenn ich als Kompaniekommandant beabsichtige, «mit einer Gruppe die Brücke zu sprengen», nehme ich dem betroffenen Zugführer die Handlungsfreiheit, dies mit zwei Gruppen zu tun. Aufgrund des Schiesslärms im Raum A könnte es angezeigt sein, dies mittels zwei Gruppen in Feuer und Bewegung zu tun – bei der Brücke handelt es sich zweifelsfrei um Schlüsselgelände, was ein Schwergewicht berechtigen würde. Die zweite Phase ist hingegen in der Kombination Wort und Bild knapp und klar.

Die Aufträge an die Gefechtszüge sind schlicht gehalten. Im Wesentlichen erhält jeder Zug einen Verzögerungsauftrag mit zusätzlichen Nebenaufträgen (AMBOS: Zerstörung der Brücke; BIVIO: Untersuchen des Helikopterwracks; CANALE: EKF-Element retten). Beim Unterstützungszug sieht es mit neun Aufträgen etwas anders aus. Es ist fraglich, ob ein Unterstützungszug – in Analogie zum Sensor-Wirkungsverbund, den die Unterstützungskompanie in der Infanteriedoktrin sicherstellen muss – tatsächlich über alle Zugssektoren hinweg wirken kann und soll. So würde ich etwa die Sprengung der Nebenachsen den Zügen den jeweiligen Sektoren zum Auftrag geben und den Unterstützungszug eher zur Schwergewichtsbildung im westlichen Verteidigungsstreifen konzentrieren. Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass der Zugführer ein Organisationstalent ist.

Bei den besonderen Anordnungen betont der Gewinner die Bedeutung der Autonomie, was angesichts der kommunikativen und koordinativen Herausforderung sicher berechtigt ist. Bei den Standorten erwähnt er neben des Kompaniegefechtsstands (Hügel X) auch die Verteilpunkte für die Munition, sicher eine entscheidende Koordinationsmassnahme.

Zusammengefasst handelt es sich bei der Einsendung um eine durchdachte und fundierte mögliche Lösung. Natürlich können – und sollen – Kritikpunkte angebracht werden. Entscheidend ist, dass ein Kompaniekommandant in so einer Lage seinen Unterstellten Orientierung bietet und seine Absicht vermittelt, was dem Gewinner gelungen ist.

Wir danken Herrn Hauptmann Nicolas Penseyres und gratulieren ihm zum Gewinn des Buchs des Monats. Wir werden ihm «About Face: Odyssey of An American Warrior» von David H. Hackworth bald zustellen.

Darüber hinaus ermutigen wir alle Leserinnen und Leser, sich auch einmal in einem tactical decision game zu versuchen. Die Gewinnchancen dürften relativ hoch bleiben.

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Leader's Digest Leader's Digest #1 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #1

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberstlt i Gst Reto Wegmann erstelle Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der diskussionswürdigsten Handlungsempfehlungen durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #1

Sie sind als Kommandant einer Infanteriekompanie Teil des SWISSBAT (Swiss Bataillon) im Friedensförderungsdienst in DANUBIEN. Sie arbeiten in vier Zügen mit den Aufgaben «Schutz, Ruhe, Eingreifreserve und Training / Reorganisation» in einer 8h-Rotation. Der Auftrag stellt explizit und unmissverständlich klar, dass keine weiteren Aufgaben wahrgenommen werden dürfen, weil die Durchhaltefähigkeit über Monate aufrechterhalten werden muss.

Aus Schweizer Sicht ist klar, dass der Schweizer Beitrag nicht primär militärischer Natur ist und die Infanteriekompanie ausschliesslich dem Selbstschutz des SWISSBAT dient. Um zu verhindern, dass die Schweiz zur Eskalation der Lage beiträgt, ist es darum in den Einsatzregeln explizit untersagt, in Konflikte von Drittparteien einzugreifen (vgl. 51.007.04d RVE, Art. 39). Der Schutzauftrag gilt für eigene Personen und Objekte. Die klaren und engen Einsatzregeln wurden von allen Angehörigen des SWISSBAT in der einsatzbezogenen Ausbildung mittels Szenario-Trainings eingeübt. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage zunehmend verschärft. Verschiedene Gruppierungen bekämpfen sich gegenseitig, einige wehren sich auch explizit gegen jede ausländische Präsenz in DANUBIEN.

Zug RUTISHAUSER befindet sich momentan in der Phase «Training» und ist deshalb mit dem ganzen Zug und vier GMTF im Gelände, um Patrouillentätigkeiten und Kontaktdrills zu festigen. Lt RUTISHAUSER hat vor 20 Minuten auf dem Führungsnetz gemeldet, dass der Zug aus dem kleinen Dörflein EGSEMPLICE laut und deutlich Gefechtslärm vernehme.

Gerade eben meldet sich Lt RUTISHAUSER noch einmal. Der bei ihm eingebettete Übersetzer IDRIS hat sich telefonisch bei Freunden der EGSEMPLICE Municipality Police erkundigt und offenbar leisten sich bewaffnete Gruppen ein Feuergefecht um das Hotel CENTRAL. Lt RUTISHAUSER berichtet, dass er auch telefonischen Kontakt mit PETER hatte, einem Mitarbeiter des Schweizer Hilfswerks AYUTAS vor Ort. PETER befindet sich im Hotel CENTRAL mit seinem Team von fünf Schweizerinnen und Schweizern, alles Wasseringenieurinnen und Programmleiter, welche Projekte an den lokalen Abwassersystemen vorwärtsbringen sollen. Die Funkverbindung ist klar genug, sodass Sie in der Stimme von Lt RUTISHAUSER einen seltsamen Unterton verspüren: «Schau, Kadi, PETER hat mir erklärt, dass fünf mit Sturmgewehren bewaffnete Extremisten das Hotel stürmen wollen.» Ihr Atem stockt – Sie wissen, dass die lokale Untergrundarmee in der Vergangenheit schon einmal Entwicklungshelfer exekutiert hatte, um alle ausländischen Akteure zum Abzug zu zwingen. AYUTAS war eine der wenigen, die sich davon nicht einschüchtern liessen.

Lt RUTISHAUSER scheint kurz zu zögern, dann setzt er noch einmal an: «Das sind Schweizer, Zivilisten. Heute Abend sind die entweder Geiseln – oder tot». Lt RUTISHAUSER informiert Sie in klaren Worten, dass er seine Entschlussfassung abgeschlossen hat und er eingreifen werde. Derzeit reorganisiere sich der Zug. In 15 Minuten werde er den Zug in Bewegung setzen, um den Schweizerinnen und Schweizern helfen.

Auf die Einsatzregeln, den offensichtlichen Bruch der rechtlichen Grundlage, die Bedeutung im Gesamtrahmen und das fehlende Mandat angesprochen meint Lt RUTISHAUSER bloss «wie gesagt, Hauptmann, meine Entschlussfassung ist abgeschlossen – ich gehe». Sie sind mit Lt RUTISHAUSER seit Beginn der EBA Duzis. Wenn er ausnahmsweise die formale Anrede «Hauptmann» wählte, klang meist ein ironischer Unterton mit. Jetzt meinte er es aber offensichtlich todernst. Er will nicht nur die Einsatzregeln brechen, er will dies auch im Vorsatz tun und kündigt das sogar an.

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #1

Wir haben auf das erste Decision Game erfreuliche zwölf Handlungsempfehlungen erhalten. Besonders gefällt die Autorenvielfalt: Aktive und ehemalige Armeeangehörige sowie interessierte Zivilpersonen, Männer und Frauen, Deutsch- und Französischsprachige, Berufsmilitärs und Milizkader vom Wachtmeister bis zum Obersten haben sich die Zeit genommen, ihre Überlegungen zu formulieren. Wir danken an dieser Stelle für den Effort und auch für das Verständnis, dass wir nicht jede Einsendung inhaltlich beantworten können.

«Ein klassisches Dilemma!», schrieb ein Leser. Eine Auswahl soll zeigen, dass bei solchen weder eindeutige noch einfache Lösungen existieren:

  • Einige Leser betonen, dass die Einsatzregeln als Produkt der Politik nicht einfach so übergangen werden können, auch wenn die eigenen moralischen Vorstellungen dies nahelegen würden. Die Einsatzregeln seien aus der politischen und militärischen Zusammenarbeit der Schweiz und der Gastgebernation entstanden, womit deren Bruch diese ganze Kooperation in Frage stellte; dies dürfe nicht riskiert und in keiner Form unterstützt werden. Diese Einsendungen fokussieren meist darauf, mit welchen Argumenten Lt Rutishauser von seinem Vorhaben abzubringen sei und erläutern, wie mit ihm nach der Rückkehr zu verfahren sei.
  • Mehrere Einsendungen haben sich vertieft mit den möglichen psychologischen Gründen für das Verhalten von Lt Rutishauser auseinandergesetzt und in seiner Person ein inakzeptables Risiko für eine solche Krisensituation erkannt. Das deplatzierte Verwenden von Ironie in einer solchen Krise, fehlende Loyalität und mangelndes Verständnis für den Gesamtrahmen wurden dabei als Indikatoren genannt.
  • Ein österreichischer Autor beurteilt den Fall (unter Bezugnahme auf das Dienstreglement und weitere Reglemente der Schweizer Armee) aus rechtlicher Sicht, bevor er zur taktischen Analyse übergeht. Darin findet sich ein Argument, weshalb ROE nicht absolut gelten können: «Obgleich Lt RUTISHAUSER dem Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten, welche die ROE festgelegt haben, verpflichtet ist, legitimiert die drohende Gefahr (möglicher Tod von Schweizer Staatsangehörigen) in Kombination mit der gegebenen Offiziersausbildung des Leutnants die Neubeurteilung der Situation unter Einbeziehung der gegebenen Umstände».
  • Die Fürsorgepflicht für die Angehörigen des Zugs Rutishauser, aber auch für die weiteren Angehörigen einer allenfalls einzusetzenden Reserve wurde immer wieder betont. Einige Autoren stellen dem aber auch die zwingende Risikobereitschaft von Soldaten, deren Anwesenheit als freiwillig vorausgesetzt wird, gegenüber und merken mehrfach an, dass dies auch für Mitarbeiter ziviler Hilfsorganisationen gelte.
  • Die Mehrheit der Einsendungen basiert aber auf der Annahme, dass Lt Rutishauser nicht mehr von seinem Entschluss abzubringen sei. In der Konsequenz würden einige als Kommandanten die Reserve zu aktivieren, um ihn zu unterstützen: etwa, indem sie die Zufahrtswege und Anhöhen besetzen, um günstige Voraussetzungen zu schaffen für die Aktion des Zugs Rutishauser.
  • Andere betonen, dass die Reserve gerade nicht ausgelöst werden soll, um die Durchhaltefähigkeit für den Hauptauftrag sowie den Eigenschutz zu gewährleisten. Es wurde auch das Risiko erwähnt, dass die Geiselnahme ein Ablenkungsmanöver das Camp des SWISSBAT das eigentliche Ziel der Terroristen darstellen könnte.
  • Mehrfach wurde auch an mögliche Nachbartruppen gedacht, die zudem vielfältig eingesetzt werden können. So wollte jemand die Militärpolizei avisieren, um Lt Rutishauser festnehmen zu lassen – während jemand anderes ihn überzeugen wollte, seine Absicht so zu korrigieren, dass er mit einer gestaltenden Aktion günstige Voraussetzungen schafft, um dann die entscheidende Intervention von der Militärpolizei oder einer anderen geeigneten Formation durchführen zu lassen.
  • Verschiedene Begründungen werden aufgeführt, weshalb Lt Rutishauser trotz offensichtlichem Regelbruch zu unterstützen sei: entweder, weil mit seinem Entscheid schlicht neue Tatsachen geschaffen wurden, oder aber schlicht aus Loyalität gegenüber dem Entscheid eines unterstellten Offiziers, im Vertrauen auf dessen Urteilsvermögen vor Ort.
  • Hierzu eine exemplarische Begründung: «Es ist offensichtlich, dass ich als Kdt meinen Zfhr nicht umstimmen kann. (…) Ich gehe davon aus, dass die Konsequenzen (…) weit weniger schlimm ausfallen, wenn diese Aktion von Erfolg gekrönt ist. (…) Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich wider den Schutzauftrag und die Einsatzregeln handle. (…) Wenn es hart auf hart kommt, sollen sich meine Unterstellten darauf verlassen können, dass ich sie unterstütze – vor allem in schwierigen Situationen. Aufträge und Situationen sind veränderbare Variablen, die mir anvertrauten Unterstellten bilden eine Konstante.»

An dieser Stelle die «richtige» Lösung bekannt zu geben, wäre nicht nur eine Anmassung für die Newsletter-Redaktion, es widerspräche auch allen Grundzügen der militärethischen Bildung: Ethische Dilemmata sind Spannungen, die nicht einfach auflösbar sind. Führungskräfte und insbesondere Kommandanten haben sich diesen zu stellen und sie letztlich persönlich, im jeweiligen Kontext, zu bewältigen. Um sich dennoch nicht ethisch im Nebel des Krieges zu verstecken, heben wir eine Einsendung hervor, die uns in der Stringenz besonders positiv aufgefallen ist, umfassend geschrieben und dennoch prägnant auf weniger als zwei Seiten Platz gefunden hat.

Diese Einsendung

  • fasst in einer Tabelle die Sofortmassnahmen zusammen: Taktischer Dialog Lt Rutishauser, anschliessend vier Aufträge an den Stellvertreter, den Kommandogruppenführer und zwei Führungsgehilfen;
  • weist darin als zentrale Aussage den folgenden Satz auf: «Mentaler Switch von ‹Kann ich verhindern› zu ‹müssen wir gewinnen›»;
  • ergänzt in drei Sätzen eine nachvollziehbare persönliche Einschätzung;
  • sieht für den weiteren Verlauf drei alternative taktische Vorgehen vor, in Abhängigkeit der Verfügbarkeit von Unterstützungskräften, etwa der örtlichen Polizei und/oder die Eingreifreserve einer anderen Nation, die anderen ROE unterworfen sein könnte;
  • schliesst trotz aktiver, taktischer Unterstützung in jedem Fall mit der Eröffnung eines Strafverfahrens.

Der Beitrag stammt aus der Feder von Hptm Camilla Setz1 – wir gratulieren zum Gewinn eines Exemplars von «The Mission, The Men, And Me» von Pete Blaber, das in den kommenden Wochen persönlich übergeben wird.

  1. Der Transparenz halber: Hptm Camilla Setz war bis 31.12.2022 Kompaniekommandant bei Oberstlt i Gst Reto Wegmann, dem Autoren des Decision Games. Letzterer war entsprechend nicht in die Gewinnerwahl involviert. ↩︎