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Leader's Digest Leader's Digest #3 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #3

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberst i Gst Dieter Baumann erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #3

Die Armee befindet sich im Aktivdienst in einer Verteidigungsoperation. Die gegnerischen Truppen haben zahlreiche Gebiete vermint.

Eine Ihrer Gruppen gerät in ein solches Minenfeld. Mehrere Minen explodieren; zwei Ihrer Soldaten sind auf der Stelle tot, ein Soldat und eine Soldatin werden schwer verletzt. Ohne sofortige Hilfe werden die beiden Verwundeten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Sie stellen ein Rettungsteam zusammen, um die Verwundeten zu bergen und die medizinische Erstversorgung sicherzustellen.

Als Sie Ihre Befehlsausgabe an das Team vorbereiten, sehen Sie einen gegnerischen Soldaten, der das Minenfeld durchquert. Offensichtlich weiss dieser Soldat, wo die Minen verlegt sind.

Es gelingt Ihnen, diesen Soldaten gefangenzunehmen. Der gefangene Soldat weigert sich jedoch, Ihnen den Weg zu zeigen.

Fragestellung

Was für Handlungsoptionen haben Sie in dieser Situation? Wie gewichten bzw. beurteilen Sie Ihre Handlungsoptionen? Wie entscheiden Sie sich und wie begründen Sie diese Entscheidung?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #3

Zum Decision Game vom März haben uns wiederum volle zehn Einsendungen erreicht. Es handelte sich um ein eigentliches Schulbuchszenario, welches auf das ethische Dilemma im Umgang mit dem Kriegsgefangenen fokussierte und dabei vieles zur taktischen Lage offenliess. Dies gestaltete nicht nur die Beurteilung der Lage durch die Teilnehmer, sondern auch die Beurteilung der Antworten durch den Redaktor als anspruchsvoll.

Kern der Aufgabenstellung ist das ethische Dilemma, dass gemäss Kriegsvölkerrecht die Androhung oder Anwendung von Gewalt an Kriegsgefangenen absolut verboten ist. Dieser kennt gemäss Szenario jedoch sichere Passagen durch ein Minenfeld, was das Leben eigener Soldaten retten könnte. Ihn zur Herausgabe dieser Information zu zwingen oder zu nötigen, die Gruppe sicher aus dem Feld zu führen, wäre jedoch ein Kriegsverbrechen.

Sämtliche Einsendungen haben dies erkannt und gehen unterschiedlich damit um. Viele sprechen sich für eine strikte Einhaltung aus und loten Alternativen aus. Konkret weist etwa jemand darauf hin, dass eine Befragung und Durchsuchung sehr wohl erlaubt ist – möglicherweise trägt der gegnerische Soldat Pläne auf sich. Andere hoffen auf die Kraft des Argumentes oder darauf, dass eine humane Behandlung mit einem Appell an die Menschlichkeit fruchten mag. Wiederum andere sind bereit, im Interesse ihrer Truppe bewusst widerrechtlichen Zwang auszuüben und sich in der Konsequenz auch dem Kriegsgericht zu stellen. Nicht zu Unrecht weist eine Antwort darauf hin, dass «tactical intelligence» auf Stufe Gruppe kaum Aussicht auf Erfolg hat und schon nur deshalb zu unterlassen sei; auch die negative Vorbildwirkung bei der künftigen Behandlung von Kriegsgefangenen oder Konsequenzen in der internationalen Wahrnehmung werden angesprochen. Zu urteilen, wie ein Individuum in so einer Situation tatsächlich handeln würde und welche Konsequenzen es zu tragen bereit wäre, kann wohl nur abschätzen, wer Vergleichbares im Krieg erlebt hat. Rechtlich ist die rote Linie jedenfalls gegeben und es wäre nicht statthaft, diese von einem friedlichen Redaktionssessel aus aufzuweichen.

Besonders erfreulich ist aber, dass eine Mehrheit der Einsendungen das ethische Dilemma nicht isoliert betrachtet. Vielmehr sollen Führungsentscheide ganzheitlich, d.h. auftragszentriert, menschenorientiert und organisationsbasiert, getroffen werden. So weisen die Einsendungen denn auch eine erfreuliche Breite an weitergehenden Überlegungen aus. Mehrere berücksichtigen, etwa mit Blick auf die Zeitverhältnisse, die im Tactical Combat Casualty Care (TCCC) vermittelten Grundkenntnisse zu von Minen verursachten Verwundungen (blast injuries). Eine Mehrheit der Einsendungen berücksichtigt auch gefechtstechnische Aspekte, von verschiedenen Sofortmassnahmen bis zur Notwendigkeit einer Windenrettung. Mehrere Antworten schliessen trotz spärlichen Informationen auch auf die taktischen Rahmenbedingungen («keine Sperre ohne Feuer») und treffen geeignete Annahmen über die eigenen Mittel, um daraus ein Vorgehen abzuleiten.

In Breite und Prägnanz hervorzuheben ist dabei die Einsendung von Oblt André Von Flüe. Er beurteilt aus medizinischer, gefechtstechnischer, taktischer und strategischer Perspektive, weist ein Spektrum von drei Handlungsvarianten aus und begründet sein gewähltes Vorgehen im ethischen Spannungsfeld. Damit unterstreicht er den Anspruch des Newsletters, dass gute Führung gleichermassen Command, Leadership und Management umfasst. Wir gratulieren ihm zu seiner durchdachten Eingabe und wünschen ihm viel Spass bei der Lektüre von «Team of Teams» von General (ret) Stanley McChrystal.

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Leader's Digest Leader's Digest #2 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #2

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberstlt i Gst Olaf Niederberger erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #2

Gegner

Die Nacht brachte Klarheit. Das Unmögliche ist eingetroffen. Es ist Krieg. Um 0300 wurde die Bevölkerung durch Sirenenalarm in Angst und Schrecken versetzt. In der Ferne waren dutzende Explosionen zu vernehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass Abstandswaffen gegen Schlüsselziele eingesetzt werden. Während das Internet und der Mobilfunk seit Mitternacht einen Totalausfall erleiden, reissen Funkverbindungen ständig ab. Letzten, unbestätigten Berichten zufolge sollen mehrere Kilometer nördlich des Grenzflusses gegnerische mechanisierte Kräfte einen Bereitstellungsraum bezogen haben. Vor Sonnenaufgang überflogen mehrere Transport- und Kampfhelikopter im Tiefflug unseren Sektor in Richtung Autobahn-Drehscheibe nach Südwesten. Die EKF (Elektronische Kriegsführung)-Einrichtung auf dem Hügel Z brennt. Der eigentliche Nichtraucher Hptm Honsberger drückt seine Zigarette aus, verflucht in Gedanken den Generalstab und sagt seiner Gefechtsordonanz: «Man hat es offenbar verpasst dem Feind mitzuteilen, dass dies hier eine Nebenzone ist».

Eigene Mittel

Die Territorialverteidigungskompanie (Miliz) von Hptm Honsberger hat sich im Bestand in den letzten Wochen auf rund 100 Angehörige verdreifacht. An noch mehr Freiwilligen aus der Umgebung hätte es nicht gemangelt, allerdings fehlte die Ausrüstung. Honsberger war zufrieden mit seiner Auswahl. Als Gemeinderat und Lehrer kannte er viele der Kandidaten persönlich. Er wählte die Leute nach militärischen Vorkenntnissen, charakterlichen Eigenschaften und im Einzelfall auch nach speziellen Kenntnissen aus wie bspw. der Erfahrung mit Drohnen oder das Besitzen einer erweiterten Sanitätsausbildung. Er hatte ein gutes Gefühl bei seiner Kompanie, insbesondere da sämtliche Schlüsselfunktionen durch die «alten Hasen» besetzt waren. Das Einzige, das ihm Bauchschmerzen verursachte, war der Umstand, dass aufgrund der laufenden Einsätze und dem administrativen Aufwand für den «Aufwuchs» kaum Zeit für die Überprüfung der Ausbildung vorhanden war.

Die Kompanie von Hptm Honsberger gliedert sich in drei leichte Infanterie-Züge mit je drei Gruppen. Die Mobilität ist durch requirierte Geländewagen, Motorräder und E-Bikes sichergestellt.

Der Unterstützungs-Zug von Hptm Honsberger besteht aus zwei Panzerabwehr-Gruppen (je 1x Radschützenpanzer 93 & NLAW Panzerabwehrlenkwaffen), einem Späher Trupp mit vier MOTS Mini-UAV, ein Feuerunterstützungs-Trupp mit 8.6mm Scharfschützengewehr und 6cm Mörser, einem Logistik-Element bestehend aus je einem Ns (Nachschub)-, Ih (Instandhaltungs)- und San (Sanitäts)-Trupp sowie einem Kommando-Element. Im Munitions-Magazin der Kompanie im Wald Y (Siehe Karte) liegt seit zwei Tagen zusätzliche Munition eingelagert (u.a. 12x NLAW, 24x RGW 90, beides Panzerabwehrwaffen, 48x 6cm Wurfgranaten, 3x Trichter-Sprengladung 88).

Neben der Ausbildung der Neueingeteilten nahm die Kompanie seit Tagen ebenfalls Sicherungsaufgaben wahr. Nebst Patrouillen und Beobachtungsposten in Grenznähe sicherte die Kompanie den einzigen, mittlerweile geschlossenen Grenzübergang und hat diesen zur Sprengung vorbereitet. Zudem wurde Hptm Honsberger beauftragt, eine teil-mobile taktische EKF-Einrichtung auf dem Hügel Z zu schützen. Sämtliche Soldaten von Hptm Honsberger stammten aus der Umgebung und verbrachten die Ruhezeit zuhause. Ebenfalls im Einsatzraum von Hptm Honsberger war eine ihm nicht unterstellte Stinger-Gruppe, welche sich auf dem Hügel X eingerichtet hat.

Zwischen 0545 und 0600 trafen die «Melder» der Züge auf ihren E-Bikes beim Kommandoposten der Kompanie ein (Standardverhalten bei Kommunikationsabbruch).

  • Melder AMBOS: Kein Kontakt zu Gruppe UNO. Ein Schusswechsel aus Richtung Grenzübergang war hörbar. Rund ein Dutzend Ortsansässige sind mit privaten Waffen beim Rathaus versammelt. Mittlerweile wird im Dorfzentrum geschossen, unklar ist gegen wen. Zugführer AMBOS beantragt mit zwei Gruppen zum Grenzübergang durchzubrechen und die Sprengung der Brücke vorzunehmen.
  • Melder BIVIO: Es liegt eine künstliche Nebelwand am nördlichen Ufer. Schwere Motorengeräusche aus nördlicher Richtung. Zwei unserer privaten Mini-UAV sind abgestürzt. Die Gruppe UNO überwacht das Gelände, sieht allerdings nicht viel. Gruppe DUE und TRE sind komplett am Sammelpunkt eingetroffen. Wir hätten ein Boot, der Zugführer fragt, ob er die Grenze überschreiten kann, um die gegnerischen Aktivitäten aufzuklären. Darüber hinaus scheint die Stinger-Gruppe einen Helikopter abgeschossen zu haben. Offenbar gab es Überlebende, welche flüchtig sind, bewaffnete Einheimische aus Dorf B durchsuchen mit Hunden den Wald U.
  • Melder CANALE: Es gab einen Einschlag bei der EKF Einrichtung. Keine Verbindung zur Gruppe UNO vor Ort. Der Zugführer hat einen Trupp losgeschickt, um allenfalls erste Hilfe zu leisten, drei Zivilisten aus dem Samariterverein haben sich dem Trupp angeschlossen. Der Rest des Zuges ist am Sammelplatz und wartet auf deinen Befehl.

Auftrag

Hptm Honsberger zerbricht sich den Kopf. Eigentlich lautet sein Auftrag: «Präsenz markieren, Aufklärung in deinem Raum betreiben, irreguläre Kräfte binden und damit günstige Voraussetzungen für den Einsatz der Interventionskräfte zu schaffen». Für den Fall, dass wider Erwarten die regulären gegnerischen Streitkräfte die Landesgrenze in seinem Abschnitt überschreiten, wird lediglich in einer übergeordneten Einsatzplanung beschrieben, dass die Territorialkräfte in der Nebenzone den Gegner ab Landesgrenze «bekämpfen» sollen, um auf operativer Stufe eine Schwergewichts-Verlagerung zu ermöglichen. Weiter sagt die Doktrin, dass Territorialkräfte im Falle eines gegnerischen Durchbruchs den Kampf «selbständig über eine längere Zeit mittels nadelstichartiger Aktionen» führen sollen.

Umwelt

Dorf A hat rund 4000 Einwohner und einen historischen Ortskern. Dörfer B, C, D & E haben zwischen 1000 und 2000 Einwohner. Die Gebäude sind eine Mischung aus soliden, teilweise historischen Wohngebäuden und teilweise leichteren gewerblichen Bauten. Das Zwischengelände ist durchzogen mit Hecken, vereinzelten Bäumen, vereinzelten Trockenmauern und vereinzelten Bauernhöfen. Es weist nur selten Schussdistanzen grösser als 400m auf. Der Grenzfluss weist westlich der Brücke zwei Stellen auf, welche nach rund einer Stunde Vorbereitung zum Furten geeignet wären. Zwischen dem Hügel W und X befindet sich ein Panzerhindernis, die Stahlspinnen zur Schliessung der Strasse befinden sich in bei Zug BIVIO in Dorf C.

Fragestellung

Wie handeln Sie in diesem Szenario als Hptm Honsberger?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #2

Nachdem auf das Ethical Decision Game im Januar zwölf Einsendungen eingegangen waren, hat uns im Februar auf das Tactical Decision Game nur eine einzige Handlungsempfehlung erreicht, obwohl die Anzahl Abonnenten erfreulicherweise auf über 900 gestiegen ist. In der Redaktion hat das drei Überlegungen provoziert:

  • Die Kür des Siegers fällt dieses Mal deutlich leichter, und da es sich um eine durchdachte mögliche Lösung handelt, scheint sie uns auch gerechtfertigt.
  • Es bestätigt uns in unserer Ansicht, dass wir in der Schweizer Armee viel zu wenig über taktische Führung sprechen und die Führungsausbildung zu stark auf Verfahrenssicherheit (Management) und zu wenig auf Handlungssicherheit (Command) ausgerichtet ist.
  • Das heisst nicht, dass wir zu viel über Verhaltenssicherheit (Leadership) sprechen. Deshalb werden wir weiterhin wie beabsichtigt Ethical Decision Games und Tactical Decision Games im Wechsel aufwerfen. Um verteidigungsfähig zu werden, müssen wir beide Aspekte stärken.

Nachfolgend die vorgeschlagene Lösung inklusive Skizze des Gewinners, kommentiert von Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter:

Die Kommentare sind nicht umfassend gedacht, sondern heben beispielshaft einzelne Punkte hervor. Die Lösung wurde als Fünf-Punkte-Befehl eingereicht, was absolut zielführend ist. Die Skizze ist dabei Teil der Befehlsgebung – jeder Zugführer soll eine Kopie erhalten.

In der Orientierung legt der Kompaniekommandant die möglichen gegnerischen Stösse über die Brücke und über die möglichen Stellen zum Furten (zwischen U und Q) aus. Offensichtlich kennt der Gewinner den Ablauf eines mechanisierten Angriffs und legt ihn den Zugführern verständlich aus. Er weist aber auch auf mögliche irreguläre gegnerische Kräfte hin, was mir wichtig scheint, einerseits als mögliche Erklärung für den Schiesslärm in Dorf A und damit als Aufklärungsbedarf («besonderes nachrichtendienstliches Bedürfnis»), andererseits als Sensibilisierung.

Die Absicht ist in zwei Phasen gegliedert: eine Vorbereitungsphase von 60 Minuten und eine anschliessende Kampfphase von mindestens 270 Minuten. Dies scheint mir zweckmässig und angesichts des Zeitbedarfs zum Furten realistisch. Die erste Phase ist für meinen Geschmack viel zu ausführlich. Sie umfasst sieben Punkte, die eher Einzelaufträgen entsprechen und die Zugführer teilweise übersteuern. Beispiel: Wenn ich als Kompaniekommandant beabsichtige, «mit einer Gruppe die Brücke zu sprengen», nehme ich dem betroffenen Zugführer die Handlungsfreiheit, dies mit zwei Gruppen zu tun. Aufgrund des Schiesslärms im Raum A könnte es angezeigt sein, dies mittels zwei Gruppen in Feuer und Bewegung zu tun – bei der Brücke handelt es sich zweifelsfrei um Schlüsselgelände, was ein Schwergewicht berechtigen würde. Die zweite Phase ist hingegen in der Kombination Wort und Bild knapp und klar.

Die Aufträge an die Gefechtszüge sind schlicht gehalten. Im Wesentlichen erhält jeder Zug einen Verzögerungsauftrag mit zusätzlichen Nebenaufträgen (AMBOS: Zerstörung der Brücke; BIVIO: Untersuchen des Helikopterwracks; CANALE: EKF-Element retten). Beim Unterstützungszug sieht es mit neun Aufträgen etwas anders aus. Es ist fraglich, ob ein Unterstützungszug – in Analogie zum Sensor-Wirkungsverbund, den die Unterstützungskompanie in der Infanteriedoktrin sicherstellen muss – tatsächlich über alle Zugssektoren hinweg wirken kann und soll. So würde ich etwa die Sprengung der Nebenachsen den Zügen den jeweiligen Sektoren zum Auftrag geben und den Unterstützungszug eher zur Schwergewichtsbildung im westlichen Verteidigungsstreifen konzentrieren. Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass der Zugführer ein Organisationstalent ist.

Bei den besonderen Anordnungen betont der Gewinner die Bedeutung der Autonomie, was angesichts der kommunikativen und koordinativen Herausforderung sicher berechtigt ist. Bei den Standorten erwähnt er neben des Kompaniegefechtsstands (Hügel X) auch die Verteilpunkte für die Munition, sicher eine entscheidende Koordinationsmassnahme.

Zusammengefasst handelt es sich bei der Einsendung um eine durchdachte und fundierte mögliche Lösung. Natürlich können – und sollen – Kritikpunkte angebracht werden. Entscheidend ist, dass ein Kompaniekommandant in so einer Lage seinen Unterstellten Orientierung bietet und seine Absicht vermittelt, was dem Gewinner gelungen ist.

Wir danken Herrn Hauptmann Nicolas Penseyres und gratulieren ihm zum Gewinn des Buchs des Monats. Wir werden ihm «About Face: Odyssey of An American Warrior» von David H. Hackworth bald zustellen.

Darüber hinaus ermutigen wir alle Leserinnen und Leser, sich auch einmal in einem tactical decision game zu versuchen. Die Gewinnchancen dürften relativ hoch bleiben.

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Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #1

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberstlt i Gst Reto Wegmann erstelle Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der diskussionswürdigsten Handlungsempfehlungen durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #1

Sie sind als Kommandant einer Infanteriekompanie Teil des SWISSBAT (Swiss Bataillon) im Friedensförderungsdienst in DANUBIEN. Sie arbeiten in vier Zügen mit den Aufgaben «Schutz, Ruhe, Eingreifreserve und Training / Reorganisation» in einer 8h-Rotation. Der Auftrag stellt explizit und unmissverständlich klar, dass keine weiteren Aufgaben wahrgenommen werden dürfen, weil die Durchhaltefähigkeit über Monate aufrechterhalten werden muss.

Aus Schweizer Sicht ist klar, dass der Schweizer Beitrag nicht primär militärischer Natur ist und die Infanteriekompanie ausschliesslich dem Selbstschutz des SWISSBAT dient. Um zu verhindern, dass die Schweiz zur Eskalation der Lage beiträgt, ist es darum in den Einsatzregeln explizit untersagt, in Konflikte von Drittparteien einzugreifen (vgl. 51.007.04d RVE, Art. 39). Der Schutzauftrag gilt für eigene Personen und Objekte. Die klaren und engen Einsatzregeln wurden von allen Angehörigen des SWISSBAT in der einsatzbezogenen Ausbildung mittels Szenario-Trainings eingeübt. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage zunehmend verschärft. Verschiedene Gruppierungen bekämpfen sich gegenseitig, einige wehren sich auch explizit gegen jede ausländische Präsenz in DANUBIEN.

Zug RUTISHAUSER befindet sich momentan in der Phase «Training» und ist deshalb mit dem ganzen Zug und vier GMTF im Gelände, um Patrouillentätigkeiten und Kontaktdrills zu festigen. Lt RUTISHAUSER hat vor 20 Minuten auf dem Führungsnetz gemeldet, dass der Zug aus dem kleinen Dörflein EGSEMPLICE laut und deutlich Gefechtslärm vernehme.

Gerade eben meldet sich Lt RUTISHAUSER noch einmal. Der bei ihm eingebettete Übersetzer IDRIS hat sich telefonisch bei Freunden der EGSEMPLICE Municipality Police erkundigt und offenbar leisten sich bewaffnete Gruppen ein Feuergefecht um das Hotel CENTRAL. Lt RUTISHAUSER berichtet, dass er auch telefonischen Kontakt mit PETER hatte, einem Mitarbeiter des Schweizer Hilfswerks AYUTAS vor Ort. PETER befindet sich im Hotel CENTRAL mit seinem Team von fünf Schweizerinnen und Schweizern, alles Wasseringenieurinnen und Programmleiter, welche Projekte an den lokalen Abwassersystemen vorwärtsbringen sollen. Die Funkverbindung ist klar genug, sodass Sie in der Stimme von Lt RUTISHAUSER einen seltsamen Unterton verspüren: «Schau, Kadi, PETER hat mir erklärt, dass fünf mit Sturmgewehren bewaffnete Extremisten das Hotel stürmen wollen.» Ihr Atem stockt – Sie wissen, dass die lokale Untergrundarmee in der Vergangenheit schon einmal Entwicklungshelfer exekutiert hatte, um alle ausländischen Akteure zum Abzug zu zwingen. AYUTAS war eine der wenigen, die sich davon nicht einschüchtern liessen.

Lt RUTISHAUSER scheint kurz zu zögern, dann setzt er noch einmal an: «Das sind Schweizer, Zivilisten. Heute Abend sind die entweder Geiseln – oder tot». Lt RUTISHAUSER informiert Sie in klaren Worten, dass er seine Entschlussfassung abgeschlossen hat und er eingreifen werde. Derzeit reorganisiere sich der Zug. In 15 Minuten werde er den Zug in Bewegung setzen, um den Schweizerinnen und Schweizern helfen.

Auf die Einsatzregeln, den offensichtlichen Bruch der rechtlichen Grundlage, die Bedeutung im Gesamtrahmen und das fehlende Mandat angesprochen meint Lt RUTISHAUSER bloss «wie gesagt, Hauptmann, meine Entschlussfassung ist abgeschlossen – ich gehe». Sie sind mit Lt RUTISHAUSER seit Beginn der EBA Duzis. Wenn er ausnahmsweise die formale Anrede «Hauptmann» wählte, klang meist ein ironischer Unterton mit. Jetzt meinte er es aber offensichtlich todernst. Er will nicht nur die Einsatzregeln brechen, er will dies auch im Vorsatz tun und kündigt das sogar an.

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #1

Wir haben auf das erste Decision Game erfreuliche zwölf Handlungsempfehlungen erhalten. Besonders gefällt die Autorenvielfalt: Aktive und ehemalige Armeeangehörige sowie interessierte Zivilpersonen, Männer und Frauen, Deutsch- und Französischsprachige, Berufsmilitärs und Milizkader vom Wachtmeister bis zum Obersten haben sich die Zeit genommen, ihre Überlegungen zu formulieren. Wir danken an dieser Stelle für den Effort und auch für das Verständnis, dass wir nicht jede Einsendung inhaltlich beantworten können.

«Ein klassisches Dilemma!», schrieb ein Leser. Eine Auswahl soll zeigen, dass bei solchen weder eindeutige noch einfache Lösungen existieren:

  • Einige Leser betonen, dass die Einsatzregeln als Produkt der Politik nicht einfach so übergangen werden können, auch wenn die eigenen moralischen Vorstellungen dies nahelegen würden. Die Einsatzregeln seien aus der politischen und militärischen Zusammenarbeit der Schweiz und der Gastgebernation entstanden, womit deren Bruch diese ganze Kooperation in Frage stellte; dies dürfe nicht riskiert und in keiner Form unterstützt werden. Diese Einsendungen fokussieren meist darauf, mit welchen Argumenten Lt Rutishauser von seinem Vorhaben abzubringen sei und erläutern, wie mit ihm nach der Rückkehr zu verfahren sei.
  • Mehrere Einsendungen haben sich vertieft mit den möglichen psychologischen Gründen für das Verhalten von Lt Rutishauser auseinandergesetzt und in seiner Person ein inakzeptables Risiko für eine solche Krisensituation erkannt. Das deplatzierte Verwenden von Ironie in einer solchen Krise, fehlende Loyalität und mangelndes Verständnis für den Gesamtrahmen wurden dabei als Indikatoren genannt.
  • Ein österreichischer Autor beurteilt den Fall (unter Bezugnahme auf das Dienstreglement und weitere Reglemente der Schweizer Armee) aus rechtlicher Sicht, bevor er zur taktischen Analyse übergeht. Darin findet sich ein Argument, weshalb ROE nicht absolut gelten können: «Obgleich Lt RUTISHAUSER dem Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten, welche die ROE festgelegt haben, verpflichtet ist, legitimiert die drohende Gefahr (möglicher Tod von Schweizer Staatsangehörigen) in Kombination mit der gegebenen Offiziersausbildung des Leutnants die Neubeurteilung der Situation unter Einbeziehung der gegebenen Umstände».
  • Die Fürsorgepflicht für die Angehörigen des Zugs Rutishauser, aber auch für die weiteren Angehörigen einer allenfalls einzusetzenden Reserve wurde immer wieder betont. Einige Autoren stellen dem aber auch die zwingende Risikobereitschaft von Soldaten, deren Anwesenheit als freiwillig vorausgesetzt wird, gegenüber und merken mehrfach an, dass dies auch für Mitarbeiter ziviler Hilfsorganisationen gelte.
  • Die Mehrheit der Einsendungen basiert aber auf der Annahme, dass Lt Rutishauser nicht mehr von seinem Entschluss abzubringen sei. In der Konsequenz würden einige als Kommandanten die Reserve zu aktivieren, um ihn zu unterstützen: etwa, indem sie die Zufahrtswege und Anhöhen besetzen, um günstige Voraussetzungen zu schaffen für die Aktion des Zugs Rutishauser.
  • Andere betonen, dass die Reserve gerade nicht ausgelöst werden soll, um die Durchhaltefähigkeit für den Hauptauftrag sowie den Eigenschutz zu gewährleisten. Es wurde auch das Risiko erwähnt, dass die Geiselnahme ein Ablenkungsmanöver das Camp des SWISSBAT das eigentliche Ziel der Terroristen darstellen könnte.
  • Mehrfach wurde auch an mögliche Nachbartruppen gedacht, die zudem vielfältig eingesetzt werden können. So wollte jemand die Militärpolizei avisieren, um Lt Rutishauser festnehmen zu lassen – während jemand anderes ihn überzeugen wollte, seine Absicht so zu korrigieren, dass er mit einer gestaltenden Aktion günstige Voraussetzungen schafft, um dann die entscheidende Intervention von der Militärpolizei oder einer anderen geeigneten Formation durchführen zu lassen.
  • Verschiedene Begründungen werden aufgeführt, weshalb Lt Rutishauser trotz offensichtlichem Regelbruch zu unterstützen sei: entweder, weil mit seinem Entscheid schlicht neue Tatsachen geschaffen wurden, oder aber schlicht aus Loyalität gegenüber dem Entscheid eines unterstellten Offiziers, im Vertrauen auf dessen Urteilsvermögen vor Ort.
  • Hierzu eine exemplarische Begründung: «Es ist offensichtlich, dass ich als Kdt meinen Zfhr nicht umstimmen kann. (…) Ich gehe davon aus, dass die Konsequenzen (…) weit weniger schlimm ausfallen, wenn diese Aktion von Erfolg gekrönt ist. (…) Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich wider den Schutzauftrag und die Einsatzregeln handle. (…) Wenn es hart auf hart kommt, sollen sich meine Unterstellten darauf verlassen können, dass ich sie unterstütze – vor allem in schwierigen Situationen. Aufträge und Situationen sind veränderbare Variablen, die mir anvertrauten Unterstellten bilden eine Konstante.»

An dieser Stelle die «richtige» Lösung bekannt zu geben, wäre nicht nur eine Anmassung für die Newsletter-Redaktion, es widerspräche auch allen Grundzügen der militärethischen Bildung: Ethische Dilemmata sind Spannungen, die nicht einfach auflösbar sind. Führungskräfte und insbesondere Kommandanten haben sich diesen zu stellen und sie letztlich persönlich, im jeweiligen Kontext, zu bewältigen. Um sich dennoch nicht ethisch im Nebel des Krieges zu verstecken, heben wir eine Einsendung hervor, die uns in der Stringenz besonders positiv aufgefallen ist, umfassend geschrieben und dennoch prägnant auf weniger als zwei Seiten Platz gefunden hat.

Diese Einsendung

  • fasst in einer Tabelle die Sofortmassnahmen zusammen: Taktischer Dialog Lt Rutishauser, anschliessend vier Aufträge an den Stellvertreter, den Kommandogruppenführer und zwei Führungsgehilfen;
  • weist darin als zentrale Aussage den folgenden Satz auf: «Mentaler Switch von ‹Kann ich verhindern› zu ‹müssen wir gewinnen›»;
  • ergänzt in drei Sätzen eine nachvollziehbare persönliche Einschätzung;
  • sieht für den weiteren Verlauf drei alternative taktische Vorgehen vor, in Abhängigkeit der Verfügbarkeit von Unterstützungskräften, etwa der örtlichen Polizei und/oder die Eingreifreserve einer anderen Nation, die anderen ROE unterworfen sein könnte;
  • schliesst trotz aktiver, taktischer Unterstützung in jedem Fall mit der Eröffnung eines Strafverfahrens.

Der Beitrag stammt aus der Feder von Hptm Camilla Setz1 – wir gratulieren zum Gewinn eines Exemplars von «The Mission, The Men, And Me» von Pete Blaber, das in den kommenden Wochen persönlich übergeben wird.

  1. Der Transparenz halber: Hptm Camilla Setz war bis 31.12.2022 Kompaniekommandant bei Oberstlt i Gst Reto Wegmann, dem Autoren des Decision Games. Letzterer war entsprechend nicht in die Gewinnerwahl involviert. ↩︎