Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.
Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.
Decision Game aus Leader’s Digest #7
Szenario
In der Schweiz wird eine grosse Konferenz durchgeführt. Der militärische Einsatzleiter ist erkrankt und als sein Stellvertreter übernehmen Sie nun die Führungsverantwortung. Obwohl Sie in der Vorbereitung involviert sind, sind Sie mit der hierarchischen Organisation mit 27 Direktunterstellten nicht glücklich und überlegen sich, auch aufgrund der Informationen aus «Power to the Edge», einen neuen Ansatz.
Fragestellung
- Welche Struktur sehen Sie vor?
- Welche Grundüberlegungen sind wegweisend für ihre Entscheidung?
- Wie stellen Sie Führung und Kontrolle sicher?
- Wie müssen Sie kommunizieren und wie schaffen Sie es, dass Entscheidungen an den Rändern gefördert werden?
- Gibt es kurzfristige Änderungen im Mindset, die Sie provozieren müssen?
Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #7
Zum Decision Game vom Juli hat uns eine Einsendung erreicht. Sie sehen also, dass die Gewinnchance bis zu 100% betragen kann.
Die Einsendung ist anhand der gestellten Fragen strukturiert, weshalb ich (Patrick Hofstetter) sie auch entsprechend diskutiere.
Welche Struktur sehen Sie vor?
Der Einsender weist darauf hin, dass es im realen Leben wohl zu spät ist. Tatsächlich hängt die Frage, ob eine Transformation sich auszahlt, nicht nur davon ab, wie gross der finale Nutzen sein wird, sondern auch, für wie lange von diesem profitiert werden kann und wie gross der Transformationsaufwand ist. In einem laufenden Rennen sollte man selten die Pferde wechseln – es sei denn, das Pferd ist lahm, eine Alternative kann einfach eingewechselt werden und das Rennen dauert noch lange.
Davon abgesehen betont der Einsender, dass er am liebsten mit der flachen Hierarchie arbeiten würde, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass in den unteren (taktischen) Stufen hocherfahrene Kommandanten, zivile Chefs fest mit ihren Einheiten und Kompetenzen verankert sind. Auch dem ist nicht zu widersprechen. Tatsächlich weist es auf eine Schwäche in der Aufgabenstellung hin: Ob und welche Struktur (Management) erforderlich ist, hängt massgeblich davon ab, welcher Auftrag (Command) damit zu erfüllen ist und mit welchen Menschen (Leadership) ich das tun kann. Der Einsender führt das weiter aus in der Antwort auf die folgende Frage:
Welche Grundüberlegungen sind wegweisend für ihre Entscheidung?
Sein Urteil lautet, je komplexer die Aufgabe, desto flacher müsse die Hierarchie sein, denn «nur wenn sehr erfahrene Chefs […] so tief unten wie möglich und somit rasch Situationen lösen können und dürfen, generiert dies auf der oberen und obersten Führungsstufe die nötige Ruhe um sich um ihre Bereiche zu kümmern.» So formuliert ist dies ein Bekenntnis zu den Grundsätzen der Auftragstaktik, dem auch die Redaktion nur beipflichten kann. Dies kommt auch in der nächsten Antwort zur Geltung:
Wie stellen Sie Führung und Kontrolle sicher?
Hier verweist der Einsender erneut auf die Erfahrung der Direktunterstellten als Grundlage und stellt eine spannende Gegenthese zum vielgehörten Glaubenssatz auf: «Information ist Bringschuld». Er versteht das im Sinne einer dienenden Grundhaltung der Vorgesetzten, der ich mich voll und ganz anschliessen kann, mit einer Nuance: Ich würde darauf verzichten, diesbezüglich auf die inflationär verwendeten, modisch oszillierenden, inhaltlich irreführenden und empirisch widerlegten «Positive Leadership Styles» wie Servant (oder Authentic, Charismatic, etc) Leadership zu verweisen. Wichtig bleibt allerdings, dass gepaart mit flacher Hierarchie Chef und Stab ausreichend Zeit haben, um die Direktunterstellten und die Einsatzkräfte zu unterstützen.
Wie müssen Sie kommunizieren und wie schaffen Sie es, dass Entscheidungen an den Rändern gefördert werden?
Diese Antwort alleine hätte den Preis verdient: «Erfahrung ist nichts anderes als langjährige Funktion in derselben Stelle. Im Gegensatz zu den Blaulichtorganisationen wechseln wir in der Armee viel zu schnell unsere Verantwortungsbereiche. Ein Kommandant sollte mindestens acht Jahre in seiner Funktion verweilen. Die Kettenreaktion spiegelt sich in den Stäben.» Tatsächlich wurde ich schon gefragt, weshalb ich «erst» mit 40 Jahren Bataillonskommandant wurde. Generell scheint mir, dass wir vielerorts Laufbahnen mit Wettrennen verwechseln. Mit jedem zusätzlichen Jahr, dass ich auf der Führungsstufe (n-1) verbracht habe, werde ich in der Führungsstufe n automatisch besser sein. Dies gilt nicht nur für die Milizkader, sondern in ganz besonderem Masse für die Berufsmilitärs. Die Einsatz- und Laufbahnsteuerung denkt nach wie vor in Kategorien, als der Instruktor ein Zweitberuf war, der vielleicht von 30 bis 58 ausgeübt wurde. Heute verlassen Berufsmilitärs nicht nur MILAK und BUSA früher, sie werden auch (mindestens) bis 65 arbeiten. Diese Verlängerung der Laufbahn um rund 50% könnte zum Anlass genommen werden, die Verwendungen um mindestens 50% zu erstrecken – wobei es schon reichen würde, die angestrebten Kommandierungen zeitlich auszuschöpfen. Der Einsender weist die Vorteile vor, denen ich vollumfänglich zustimme: Fähigkeiten werden solider aufgebaut, mit steigender Erfahrung verringert sich der Aufwand, wächst das Vertrauen, stärkt sich die Bindung zu den Unterstellten, verbessert sich die Qualität der Arbeit und – vor allem: entsteht Ruhe im System.
Gibt es kurzfristige Änderungen im Mindset, die Sie provozieren müssen?
Auch hier stimme ich dem Einsender zu: «Kurzfristig geht das kaum. Der Wechsel von klassischer Karriere zu bedachtsamem Aufsteigen durch Bewährung braucht viel Zeit und enorme Überzeugungsarbeit.»
Auch das ist Führung, und zwar Personalführung sowohl auf organisatorischer Ebene (Human Resource Management) als auch auf zwischenmenschlicher Ebene (Leadership). Beides sind Voraussetzungen, damit wir unsere Lücken im Command schliessen können.
Fazit
Für seine Einsichten hat Maj Philipp Scherrer sein Buch wohlverdient: Ich freue mich, ihm ein Exemplar von «Power to the Edge: Militärische Führung im Informationszeitalter» von David S. Albert und Richard E.Hayes zukommen zu lassen. Alle Leserinnen und Leser sind herzlich eingeladen, für das laufende und weitere Decision Games von den exorbitanten Gewinnwahrscheinlichkeiten zu profitieren. Viel Spass!