Es geht darum, die Transferleistung militärischer Führung in das zivile Umfeld zu erbringen. Dabei veranschaulicht das Buch verschiedenste Elemente der militärischen Führung wie die Auftragstaktik, die Führung durch Vorbild oder das systematische Vorgehen in der Entscheidungsfindung, und legt einen besonderen Wert auf das Konzept der Absicht, nach der zu handeln ist. Während Negativbeispiele aus der Privatwirtschaft die Kapitel einleiten, werden diese durch praktische Tipps für das eigene Führungshandeln abgerundet.
Was gefällt Ihnen an diesem Buch am besten?
Wie anschaulich die militärische Entscheidungsfindung erklärt werden kann und wie sehr unsere Verfahren mit den deutschen und NATO-Verfahren kompatibel sind.
Gibt es Punkte, in welchen Sie die Argumentation des Buches nicht unterstützen, oder Bereiche, die Ihrer Meinung nach zu kurz kommen?
Dieses sehr süffig geschriebene Buch stellt einen gelungenen Parforce-Ritt durch die Welt einer militärischen Führungskraft dar, dem ich nichts hinzuzufügen habe.
An wen richtet sich Ihre Empfehlung?
Insbesondere an die Milizangehörigen, die eine kurze Übersetzung ihrer Führungswerkzeuge auf «Zivil» brauchen.
Wie hat Ihnen dieses Buch im militärischen Führungsalltag geholfen?
In der Zusammenarbeit mit zivilen Leistungsbezügern, aber auch beim einfachen Erklären der militärischen Führungsmethode und des Planungsprozesses während der Kaderschulen.
Welchem Teilaspekt des Command-Leadership-Management-Modells ordnen Sie dieses Buch zu?
Alle Aspekte werden abgedeckt, aber das Buch ist als Transfer zum zivilen Management gedacht, und diesen Zweck erfüllt es trefflich.
Wo sehen Sie zukünftig die grössten Herausforderungen für die Führung in der Schweizer Armee?
Wir dürfen die taktische Leistung der Unteroffiziere nicht ausser Acht lassen. Sie treffen als Erste die Entscheidungen im Gefecht, sie sind mit komplexen Entschlüssen konfrontiert. Nicht umsonst spricht man vom «strategic corporal» und dem «three block war», denn auf dieser Stufe findet ein Grossteil des urbanen Kampfes statt.
Und wo sehen Sie diesbezüglich die grössten Chancen?
Wir können gerade mit unserer in der Industrie verankerten Milizarmee von den Transferleistungen der Milizkader profitieren – ist die Armee doch die grösste Kaderschmiede des Landes.
Über den Rezensenten
Nach über zehn Jahren als Fachberufsoffizier im Kommando Spezialkräfte hat Hptm Jonas Ch. Frey die Militärschule absolviert und arbeitet nun als Einheitsberufsoffizier an der Richtstrahlschule 62 in Kloten. Milizmässig ist er seit 2019 Kommandant der KSK Stabskompanie. Nebst seinem Podcast zu verschiedensten Themen, welche ihn beruflich und privat beschäftigen, liest und schreibt er zu sicherheitspolitischen und militärischen Themen.
Über das «Buch des Monats»
Das «Buch des Monats» ist eine wiederkehrende Rubrik des Newsletters Leader’s Digest. Dieser Newsletter entsteht in Kooperation des Leadership Campus der Schweizer Armee und der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich. Wenn Sie Leader’s Digest noch nicht abonniert haben, finden Sie unter folgendem Link weitere Informationen sowie das Formular zur Anmeldung.
Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.
Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss würdigt Oberstlt Patrick Hofstetter, Dozent für Führung und Kommunikation an der ETH Zürich, die diskussionswürdigste Handlungsempfehlung.
Decision Game aus Leader’s Digest #15
Szenario
Die Lage in der Region verschlechtert sich nun schon seit einigen Wochen. Vor zwei Wochen haben die paramilitärischen Kräfte des Gegners mehrere Dörfer entlang der Schweizer Grenze unter ihre Kontrolle gebracht und zwei schwere Divisionen verstreut in Entfernung zu unserer Artillerie (>20km) positioniert. Der Druck ist spürbar. Die erste Staffel der für den Aktivdienst zur Verfügung gestellten Kräfte (Task Force JOMINI), die seit zwei Monaten mobilisiert sind, trat vor vier Tagen in Aktion und durchkämmte die Grenze, um die paramilitärischen Kräfte von allen logistischen Verbindungen zum Ausland abzuschneiden.
Gegner
Ein halber Zug (<20 Personen) hat sich im Hauptdorf des Raums verschanzt. Er ist mit Infanterie- und Panzerabwehrwaffen bewaffnet und hatte in den letzten drei Tagen Zeit, seine Stellungen deutlich zu verstärken. Es scheint, dass der Gegner die Keller und das Kanalnetz entlang der Hauptstrassen ausnutzen kann. Es ist nicht möglich dieses Netz mit Artillerie zu zerstören. Des Weiteren hat der Gegner sehr wahrscheinlich die lange Vorbereitungszeit genutzt und die Gebäude dort, wo er uns aufzuhalten erhofft, mit Sprengfallen versehen und die Struktur der Gebäude, die er halten will, zusätzlich verstärkt.
Eigene Mittel
Die Kompanie ALFA gehört zu den Bataillonen der zweiten Staffel der für den Aktivdienst zur Verfügung gestellten Kräfte (Task Force JOMINI), die vor einem Monat mobilisiert wurden. Die Stimmung während des Dienstantritts war freundlich, da die Soldaten ihre Kameraden zum ersten Mal seit einem Jahr wiedersahen. Die Gemüter waren jedoch von der Ernsthaftigkeit der Situation geprägt. Ein Krieg, wirklich? Es fällt jedem noch immer schwer, daran zu glauben. Und obwohl niemand je einen Krieg erlebt hat, sieht es ganz danach aus. Der Aktivdienst wurde schliesslich tatsächlich angeordnet. Aufgrund der grossen Entfernungen zwischen den einzelnen Einsatzräumen, des Mangels an verfügbaren Kräften und der Notwendigkeit, grosse Truppenansammlungen zu vermeiden (Bedrohung durch Drohnen aus der Luft), erfolgt der Einsatz der Bataillone der zweiten Staffel dezentral. Die Kräfte der ersten Staffel sichern die Grenze und sind dabei, die nächsten Aktionen zu planen. Die FOXTROT-Kompanie hat die Zu- und Ausgänge des Dorfes in unserem Raum abgeriegelt. Die ALFA-Kompanie gehört zu den Elementen der zweiten Staffel, die zur Säuberung der gegnerischen Widerstandsnester bestimmt wurden. Die Kompanie hat ihre Ausbildung abgeschlossen und hält sich für die Planung ihres ersten Einsatzes bereit.
Auftrag
Sie sind Kompaniekommandant ALFA und haben soeben den Auftrag erhalten das Dorf in Ihrem Einsatzgebiet einzunehmen und zu säubern. Die Aktion muss in 72 Stunden abgeschlossen sein. Die ALFA-Kompanie muss sich für einen weiteren Einsatz in T+6 Tagen bereithalten. Die Angriffsrichtung können Sie dem Bataillonskommandanten im Rahmen des taktischen Dialogs beantragen.
Umwelt
Das Dorf besteht aus festen Bauten, wie sie in der Schweiz bekannt sind. Alle Gebäude sind bekannt, der Grad der Befestigung ist jedoch nicht bekannt. Die Zivilbevölkerung hat das Dorf grösstenteils verlassen, vereinzelte Elemente können sich noch im Dorf befinden. Die Flüchtlinge sind bereit, Ihnen Informationen über das Dorf zu geben.
Zeitverhältnisse
Die Mission muss spätestens in 72 Stunden erfüllt sein. Die Sofortmassnahmen müssen innerhalb von 30 Minuten eingeleitet werden und dann die Aktion mit den Zugführern geplant werden, der Zeitplan liegt in der Verantwortung des Kompaniekommandanten.
Fragestellung
Was sind die Sofortmassnahmen?
Was ist die allgemeine Absicht bei der Durchführung des Angriffs?
Wie bereite ich meine Kompanie auf den Einsatz vor?
Wie setze ich indirektes Feuer und EOD-Spezialisten ein?
Wie manövriere ich ober- und unterirdisch?
Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #15
Das letzte TDG hat durchaus den Charakter einer Schulbuchübung – mir ist zumindest keine Siedlung namens A-Dorf mit der gegebenen Ortsstruktur bekannt. Schulbuchübungen dienen häufig dazu, Grundsatzfragen zu diskutieren. Aus meiner Sicht bieten sich hier fünf Fragen an, die ich mit Blick auf die eingereichten drei Lösungsvarianten zu beantworten suche.
Die Einsatzgrundsätze (TF 17, Ziff 5008) können helfen, die Angriffsform zu bestimmen, das heisst hier zwischen linearem und konzentrischem Angriff auszuwählen. Alle drei eingereichten Lösungen gehen linear vor. Ich würde dem zustimmen. Insbesondere der Grundsatz der «Einfachheit» spricht dafür, aber auch das «Ausrichten auf das Ziel»: wir wollen nicht ein bestimmtes Gebäude unter Besitz bringen, auf das wir uns konzentrisch ausrichten oder mit dem Zweck der «Überraschung» von verschiedenen Seiten kommen. Unser Auftrag ist es, das ganze Dorf zu säubern.
Im Falle des linearen Angriffs stellt sich die Frage nach der Angriffsrichtung. Das Reglement sieht vor, dass über eine schmale Seite angegriffen wird, was dem Verteidiger das «Auflockern und Zusammenwirken der Mittel» erschwert und dem Angreifer das «Abriegeln und Teilen» erleichtert (TF 17, Ziff 5046). Hier sind die Lösungen uneinheitlich: einer greift von Süden an und schwenkt danach nach rechts, was ich als unkonventionell bezeichnen würde. Das muss in der Taktik kein Nachteil sein, sind es doch Vorgehensweisen, auf die ein Gegner sich kaum vorbereitet hat. Gleichzeitig dürfte aber die Koordination und insbesondere das Vermeiden von Friendly Fire anspruchsvoll sein. Eine Lösung greift von Nordosten an. Die gedeckte Annäherung im Schutz des Waldes scheint zwar attraktiv, aber ist dabei auch der Fluss zu überqueren, was ich persönlich vermeiden würde. Der dritte schliesslich greift entlang der Strasse von Osten an, mit je einem Zug südlich und nördlich der Strasse. Gewiss die einfachste und auch die schnellste Variante, die ich deshalb auch bevorzuge. Allerdings hätte ein Angriff von Westen die Verteidigung wohl noch mehr erschwert.
Im Umgang der Kanalisation sprechen alle Einsendungen davon, diese zu meiden. Nicht nur mit Blick auf Gaza scheint es auf der Hand zu liegen, dass hier der Verteidiger in einem krassen Vorteil steht. Zwei der drei Einsendungen schlagen jedoch vor, die Kanalisation zu fluten, etwa unter Einsatz der zivilen Feuerwehr. Dies scheint mir eine kreative Lösung, die den Gegner wirkungsvoll einschränken könnte. Technisch müsste die Machbarkeit wohl noch mit einem Feuerwehrkundigen besprochen werden, aber schon nur ein teilweise unter Wasser setzen dürfte den Gegner beeinträchtigen.
Der vorgeschlagene Einsatz der Unterstützungsmittel kann genutzt werden, um mit einem verbreiteten Missverständnis aufzuräumen. Eine Einsendung bemerkt, «Sobald aber der erste Zug im Dorf ist kann der Mindestabstand von 600m kaum mehr eingehalten werden». Dies ist klar zurückzuweisen; diese Sicherheitsabstände gelten für Gefechtsschiessen. Im Kriegsfall ist aber ein Einsatz des 8.1cm Mörserfeuer deutlich näher zur eigenen Truppe hinzunehmen; insbesondere, wenn diese splittergeschützt unterwegs ist. Hier gilt, dass so lange mit dem indirekten Bogenfeuer gewirkt werden soll, bis die 12.7mm Maschinengewehr direkt wirken können – getreu dem Grundsatz «das Feuer in das Angriffsziel darf niemals abreissen». Hier sollten wir dringend die Sicherheitsvorschriften für Friedenszeiten als solche erkennen und für taktische Entscheide realitätsnahe Referenzdistanzen in den Reglementen ausweisen.
Unter den weiteren Punkten, insbesondere den Sofortmassnahmen, wurden zahlreiche Vorschläge eingebracht. Erwähnenswert scheint mir etwa die Überlegung, Ortskundige im Vorfeld zu Rate zu ziehen, die Bevölkerung zur Flucht und den Gegner zur Aufgabe aufzurufen, Flüchtende (im Gegensatz zu Flüchtlingen bezeichnet das unsere eigene Bevölkerung) zu befragen, Baupläne auf Ämtern zu beschaffen.
Ich konnte jeder der drei Einsendungen positive Elemente entnehmen, doch keiner würde ich in allen Punkten zustimmen. Entscheidend ist für mich im Zweifelsfall der Grundentschluss und hier stimme bevorzuge ich den Ansatz von Hauptmann Robin Wehrle mit dem Stoss je eines Zuges nördlich und südlich der Strasse von Osten her. Wenn er nun noch – gerade als Feuerunterstützungsoffizier – der Unterschreitung der Sicherheitsregeln für Gefechtsschiessen in Kauf nimmt, kann ich ihm in jeder Hinsicht zustimmen. Vorher schon gratuliere ich ihm aber zum Gewinn des Buches «Combattre et Vaincre en Ville» von Frédéric Chamaud und Pierre Santoni.