Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.
Zunächst wiederholen wir das von Oberst i Gst Dieter Baumann erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.
Decision Game aus Leader’s Digest #3
Die Armee befindet sich im Aktivdienst in einer Verteidigungsoperation. Die gegnerischen Truppen haben zahlreiche Gebiete vermint.
Eine Ihrer Gruppen gerät in ein solches Minenfeld. Mehrere Minen explodieren; zwei Ihrer Soldaten sind auf der Stelle tot, ein Soldat und eine Soldatin werden schwer verletzt. Ohne sofortige Hilfe werden die beiden Verwundeten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Sie stellen ein Rettungsteam zusammen, um die Verwundeten zu bergen und die medizinische Erstversorgung sicherzustellen.
Als Sie Ihre Befehlsausgabe an das Team vorbereiten, sehen Sie einen gegnerischen Soldaten, der das Minenfeld durchquert. Offensichtlich weiss dieser Soldat, wo die Minen verlegt sind.
Es gelingt Ihnen, diesen Soldaten gefangenzunehmen. Der gefangene Soldat weigert sich jedoch, Ihnen den Weg zu zeigen.
Fragestellung
Was für Handlungsoptionen haben Sie in dieser Situation? Wie gewichten bzw. beurteilen Sie Ihre Handlungsoptionen? Wie entscheiden Sie sich und wie begründen Sie diese Entscheidung?
Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #3
Zum Decision Game vom März haben uns wiederum volle zehn Einsendungen erreicht. Es handelte sich um ein eigentliches Schulbuchszenario, welches auf das ethische Dilemma im Umgang mit dem Kriegsgefangenen fokussierte und dabei vieles zur taktischen Lage offenliess. Dies gestaltete nicht nur die Beurteilung der Lage durch die Teilnehmer, sondern auch die Beurteilung der Antworten durch den Redaktor als anspruchsvoll.
Kern der Aufgabenstellung ist das ethische Dilemma, dass gemäss Kriegsvölkerrecht die Androhung oder Anwendung von Gewalt an Kriegsgefangenen absolut verboten ist. Dieser kennt gemäss Szenario jedoch sichere Passagen durch ein Minenfeld, was das Leben eigener Soldaten retten könnte. Ihn zur Herausgabe dieser Information zu zwingen oder zu nötigen, die Gruppe sicher aus dem Feld zu führen, wäre jedoch ein Kriegsverbrechen.
Sämtliche Einsendungen haben dies erkannt und gehen unterschiedlich damit um. Viele sprechen sich für eine strikte Einhaltung aus und loten Alternativen aus. Konkret weist etwa jemand darauf hin, dass eine Befragung und Durchsuchung sehr wohl erlaubt ist – möglicherweise trägt der gegnerische Soldat Pläne auf sich. Andere hoffen auf die Kraft des Argumentes oder darauf, dass eine humane Behandlung mit einem Appell an die Menschlichkeit fruchten mag. Wiederum andere sind bereit, im Interesse ihrer Truppe bewusst widerrechtlichen Zwang auszuüben und sich in der Konsequenz auch dem Kriegsgericht zu stellen. Nicht zu Unrecht weist eine Antwort darauf hin, dass «tactical intelligence» auf Stufe Gruppe kaum Aussicht auf Erfolg hat und schon nur deshalb zu unterlassen sei; auch die negative Vorbildwirkung bei der künftigen Behandlung von Kriegsgefangenen oder Konsequenzen in der internationalen Wahrnehmung werden angesprochen. Zu urteilen, wie ein Individuum in so einer Situation tatsächlich handeln würde und welche Konsequenzen es zu tragen bereit wäre, kann wohl nur abschätzen, wer Vergleichbares im Krieg erlebt hat. Rechtlich ist die rote Linie jedenfalls gegeben und es wäre nicht statthaft, diese von einem friedlichen Redaktionssessel aus aufzuweichen.
Besonders erfreulich ist aber, dass eine Mehrheit der Einsendungen das ethische Dilemma nicht isoliert betrachtet. Vielmehr sollen Führungsentscheide ganzheitlich, d.h. auftragszentriert, menschenorientiert und organisationsbasiert, getroffen werden. So weisen die Einsendungen denn auch eine erfreuliche Breite an weitergehenden Überlegungen aus. Mehrere berücksichtigen, etwa mit Blick auf die Zeitverhältnisse, die im Tactical Combat Casualty Care (TCCC) vermittelten Grundkenntnisse zu von Minen verursachten Verwundungen (blast injuries). Eine Mehrheit der Einsendungen berücksichtigt auch gefechtstechnische Aspekte, von verschiedenen Sofortmassnahmen bis zur Notwendigkeit einer Windenrettung. Mehrere Antworten schliessen trotz spärlichen Informationen auch auf die taktischen Rahmenbedingungen («keine Sperre ohne Feuer») und treffen geeignete Annahmen über die eigenen Mittel, um daraus ein Vorgehen abzuleiten.
In Breite und Prägnanz hervorzuheben ist dabei die Einsendung von Oblt André Von Flüe. Er beurteilt aus medizinischer, gefechtstechnischer, taktischer und strategischer Perspektive, weist ein Spektrum von drei Handlungsvarianten aus und begründet sein gewähltes Vorgehen im ethischen Spannungsfeld. Damit unterstreicht er den Anspruch des Newsletters, dass gute Führung gleichermassen Command, Leadership und Management umfasst. Wir gratulieren ihm zu seiner durchdachten Eingabe und wünschen ihm viel Spass bei der Lektüre von «Team of Teams» von General (ret) Stanley McChrystal.