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Leader's Digest Leader's Digest #9 Newsletter

Update Führung: Oktober 2024

Ukraine and the Problem of Restoring Maneuver in Contemporary War

[ISW Press, 12.08.2024, Frederick W. Kagan, Kimberly Kagan and others]

A new analysis of Ukraine’s ongoing Kursk Campaign reveals how this war is setting the stage for future conflicts. Despite Russia’s capacity to observe Ukrainian forces, Ukraine managed to achieve operational surprise, underscoring that maneuver warfare remains viable even in highly monitored battlefields. The report highlights Ukraine’s ability to capitalize on technological innovation and exploit gaps in Russian defenses, offering key strategies for breaking stalemates. It explores the broader implications of emerging technologies like drones, electronic warfare, and missile defense systems, which are quickly evolving and will probably shape future warfare.

Link: https://www.understandingwar.org/backgrounder/ukraine-and-problem-restoring-maneuver-contemporary-war

How Russia and Ukraine Tracks Mobile Phones on the Battlefield

[Commsrisk, 26.02.2024, Eric Priezkalns, Cathal Mc Daid]

A report by Cathal Mc Daid, VP of Technology at Enea, explores the various methods Russia and Ukraine are using to track mobile phones on the battlefield. The report identifies three key tracking techniques—radio, network, and device-enabled—each broken down into several subtypes. It highlights the significant risks mobile phones pose to soldiers in war zones, offering crucial advice on how to minimize exposure. Additionally, the study emphasizes the broader implications for military communication, pointing out that even advanced nations may not have invested enough in secure systems to protect their forces.

Link: https://commsrisk.com/how-russia-and-ukraine-tracks-mobile-phones-on-the-battlefield/

Wolfgang Bauer – Kriegsreporter: «Ich bin ein totaler Angsthase.»

[Im Gespräch, 27.06.2024, Katrin Heise, Wolfgang Bauer]

Der Journalist Wolfgang Bauer berichtet aus Ländern wie Afghanistan, Syrien und der Ukraine. Für ihn ist es essenziell, als direkter Augenzeuge aus Krisen- und Kriegsgebieten zu berichten. Er spricht über persönliche Erkenntnisse, liefert faszinierende Einblicke und zeigt eine etwas andere Perspektive auf. Der Podcast eignet sich ideal, um den eigenen Horizont zu erweitern und sich intensiver mit den komplexen Themen rund um Krisengebiete auseinanderzusetzen.

Link: https://open.spotify.com/episode/66QisjyxXnJFhwK2r3RHuQ

How to avoid groupthink on your team

[Atlassian, 02.11.2023, Kat Boogaard]

This article is great introduction to the concept of groupthink and allows one to reflect on its potential consequences. It provides valuable insights on how to recognize groupthink and offers strategies to counteract it, promoting a culture of critical thinking. Understanding this phenomenon can be beneficial for leaders, especially in organizations with traditionally strong hierarchies, such as the armed forces.

Link: https://www.atlassian.com/blog/teamwork/groupthink


Über das «Update Führung»

Das Update Führung ist eine wiederkehrende Rubrik des Newsletters Leader’s Digest. Dieser Newsletter entsteht in Kooperation des Leadership Campus der Schweizer Armee und der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich. Wenn Sie Leader’s Digest noch nicht abonniert haben, finden Sie unter folgendem Link weitere Informationen sowie das Formular zur Anmeldung.

Falls Sie Lesenswertes zu Command, Leadership oder Management entdecken, würden wir uns freuen, wenn Sie dies mit uns teilen. Gerne nehmen wir Tipps für die kommende Ausgabe von Leader’s Digest via entgegen.

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Leader's Digest Leader's Digest #9 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #9

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Dr. phil. Florian Demont, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich mit einem Schwerpunkt in Militärethik.

Decision Game aus Leader’s Digest #9

Szenario

Glauben und Wissen

Der Oberleutnant Güldenstern sass kurz vor Mittag geduckt auf dem staubigen Boden des Hinterhofs, eingeschlossen von der Fassade eines stillgelegten Cafés und der schlichten Mauer einer Bäckerei. Seit drei Monaten, seit die Kampfhandlungen das Dorf erreicht haben, lag das Viertel im Stillstand, gehüllt in die Schatten einer Vergangenheit, die der ausländische Besitzer des Cafés mit sich in seine Heimat genommen hatte. Der Oberleutnant, die Beine eng an sich gezogen, die Ellbogen schwer auf seinen Knien, verbarg sein Gesicht in den Händen. Sein Haar, obwohl noch halbwegs gekämmt, zeigte Spuren der Verwahrlosung – ein stilles Zeugnis der verlorenen Normalität.

In seiner Versunkenheit bemerkte er nicht, wie sich die junge Frau, eine Angestellte der Bäckerei, leise in den Hof schlich, eine Zigarette zwischen den Lippen. Das plötzliche Knacken eines Zippo-Feuerzeugs durchschnitt die Stille. Überrascht hob er den Kopf, sein Blick fiel auf die Frau, die mit einer unbeschwerten Geste ihm eine Zigarette anbot. «Willst du mit mir eins rauchen?», fragte sie, ihre Stimme ein sanfter Kontrast zu dem Gewicht seiner Gedanken. Müde, erschöpft winkte er ab, doch ihre nächste Frage, ob es ihn störe, wenn sie sich zu ihm setze, bejahte er mit einem müden Nicken.

Während sie sich neben ihn niederliess, entbrannte ein Gespräch über die Kriegslage, ihre Worte flossen mit einer Mischung aus Hoffnung und Resignation. «Nach fünf Tagen ohne Kämpfe, Bomben und Minenfeuer – vielleicht ist das Schlimmste vorbei. Ich glaube, dass das Schlimmste vorbei ist” sinnierte sie, während sie tief an ihrer Zigarette zog. «Ich überlege, ins Landesinnere zu fliehen, wie so viele andere. Doch mein Chef will die Bäckerei weiter betreiben. Ihr habt die letzten Angriffe abgewehrt, das gibt mir Hoffnung.»

Der Oberleutnant, seine Augen weit geöffnet in der Dunkelheit des Hofs, schüttelte langsam den Kopf. «Ich weiss es nicht», gestand er, seine Stimme rauh vor Sorge. «Ich befürchte, dass der nächste Schlag bevorsteht. Unsere Kampfkraft ist auf dreissig Prozent gesunken. Wir haben zu viele verloren… zu viele gefallen… und die Munition ist fast aufgebraucht.»

Die junge Frau zog nachdenklich an ihrer Zigarette, strich sich das Haar aus dem Gesicht und liess dann beiläufig fallen, dass Frau Leuzinger, die Kindergärtnerin, gestern nach fünf Tagen an ihren Verletzungen erlegen ist. «Sie wollte Material aus dem Kindergarten holen, als der Angriff kam. Eine Mörsergranate…» Ihre Stimme brach. «Es ist schlimm, was wir erleben.»

«Frau Leuzinger?», wiederholte der Oberleutnant leise. Als sie nickte, liess er den Kopf sinken. «Ja, es ist schlimm. Manchmal frage ich mich, ob das alles noch einen Sinn hat.»

Sie sah ihn direkt an, ihre Augen fest entschlossen. «Ihr habt bis jetzt tapfer gekämpft. Wir müssen an uns glauben.»

Er starrte ins Leere. «Je grösser der Glaube, desto geringer das Wissen», murmelte er schliesslich. «Und ich weiss wirklich nicht, ob wir den Feind noch aufhalten können.»

In diesem Hinterhof, umgeben von den Geistern eines ruhenden Cafés und der Düsternis des Krieges, schwelte nicht nur die Glut ihrer Zigaretten, sondern auch die letzte Glut der Hoffnung – düster und ungewiss.

Mensch sein

Oberleutnant Güldenstern sass in seinem düsteren Zimmer im Gasthof zum Weissen Kreuz, umgeben von verstreuten Papieren und dem zerbrochenen iPad, das ihm als letztes Bindeglied zur Aussenwelt diente. Das Display, durchzogen von Rissen, spiegelte die zersplitterte Realität seines Kommandos wider. Die Nachrichten, die er mühselig entzifferte, waren vom Chef Operationen des Bataillons, Major Kramer, der keine Milde in seiner Stimme kannte, als er Güldenstern in einem kürzlichen scharfen Telefonat zurechtwies.

«Güldenstern, hinterfrag jetzt nicht deinen Auftrag. Du hast einen Befehl und der Befehl ist, deine Kompanie sperrt die Achse. Und das bis zum letzten Mann. Verdammt nochmal! Keinen Schritt zurück!», hatte Kramer forsch befohlen, als wäre die Entschlossenheit seiner Worte allein genug, um die Wirklichkeit zu biegen. «Sei etwas kreativ, verdammt nochmal!» Dieser Befehl hallte nun in Güldensterns Gedanken wider, während er aus dem Fenster auf die verlassenen Strassen blickte.

Draussen ging das Leben weiter, auch wenn es für manche ein Leben auf der Flucht war. Ein Vater packte seinen Skoda mit Koffern, während ein kleines Mädchen einen grossen Teddybär herbeitrug, ein stummer Zeuge der Zerrissenheit, die diesen Ort beherrschte. Die Mutter, das Gesicht vom Weinen gezeichnet, trug ein weiteres Kind. Güldenstern beobachtete sie, wie sie schliesslich davonzogen, Richtung einer vermeintlich sichereren Umgebung im Landesinnern.

Zurück in der Einsamkeit seines Zimmers begann Güldenstern, den Sinn seiner Mission zu hinterfragen. Die Forderungen von Major Kramer, die Achse um jeden Preis zu halten, klangen in seinen Ohren nach, während er die letzte Korrespondenz nochmals durchging. Die Aussichten waren düster; der Feind schien sich zu verstärken, und die eigenen Ressourcen schwanden zusehends. «Alles andere ist mir scheissegal», hatte Kramer gesagt. Aber für Güldenstern war es das nicht. Die Opfer, die Kämpfe, die kleinen und grossen Tragödien – sie waren nicht egal.

In einem Moment der Stille, unterbrochen nur durch das Knistern des alten Holzbodens unter seinen Füssen, spürte Güldenstern die Last der Verantwortung. Er wusste, dass jeder Befehl, den er gab, das Potenzial hatte, Leben zu kosten oder zu retten. Die Zweifel, die langsam in ihm aufkeimten, waren subtil, doch in der Stille seines Zimmers wurden sie lauter. Wie lange noch konnte er einen sinnvollen Kampf führen, wenn die Bedingungen so hoffnungslos waren? Wann war der Punkt erreicht, an dem die Verteidigung nicht mehr nur eine militärische Aufgabe, sondern eine Frage der Menschlichkeit wurde?

Er griff nach dem Telefon, entschlossen, noch einmal mit Kramer zu sprechen, obwohl er wusste, dass es wenig ändern würde. Doch in diesem Moment zögerte er. Sein Blick fiel erneut auf das Fenster, durch das er die Familie hatte fortziehen sehen. Die Entscheidung, zu kämpfen oder nicht, war mehr als eine taktische Überlegung; es war eine ethische Frage, die tief in das Herz dessen schnitt, was es bedeutete, Befehle zu befolgen und zugleich Mensch zu sein.

Mit einem tiefen Atemzug legte Güldenstern den Hörer wieder auf. Die Nacht zog auf, und mit ihr kam die Ungewissheit. Aber in dieser Ungewissheit lag auch eine Art Klarheit. Vielleicht, dachte er, lag die wahre Herausforderung nicht darin, die Achse zu halten, sondern zu entscheiden, wann der Preis für die Verteidigung zu hoch wurde.

Wahrheit

Genau um 06.00 Uhr, wie jeden Morgen, sofern nicht die Umstände des Krieges es verhinderten, nahm Oberleutnant Güldenstern eine kalte Dusche. Vor dieser morgendlichen Erfrischung absolvierte er jedoch einen 45-minütigen Lauf und einige körperliche Übungen im Morgengrauen. Diese täglichen Rituale waren für ihn nicht nur eine Frage der Körperhygiene, sondern bildeten ein festes Bollwerk gegen das umgebende Chaos. Sie verliehen ihm das Gefühl einer gewissen Normalität, einer Ordnung, die er dringend benötigte, um die Zerrissenheit der Welt ausserhalb seines Kommandopostens zu bewältigen. Mit dieser Routine gab er sich die Kraft, dem Unvorhersehbaren des Tages entgegenzutreten.

Nach dem Laufen und den Übungen, noch unter der kalten Dusche stehend, überdachte Güldenstern, was er beim Kompanierapport, der in knapp zwei Stunde anstand, verkünden sollte. Er hoffte inständig auf gute Nachrichten von Major Kramer, darauf, dass endlich die versprochene Verstärkung unterwegs sei. Doch als er, nach dem Duschen, in sein Zimmer zurückkehrte, um dort sein spartanisches Frühstück zu sich zu nehmen – drei leicht gekochte Eier und eine Tasse Filterkaffee –, fand er auf seinem iPad nichts Ermutigendes. Keine neuen Nachrichten vom Bataillon, nur die düstere Bestätigung der Aufklärer und Nachrichtendienste, dass ein gegnerischer Angriff innerhalb der nächsten 36 Stunden erwartet wurde. Die Befehle waren unverändert, der Druck ungemindert.

Widerstrebend öffnete er einige Online-Zeitungen, ein Ritual, das er sich fast abgewöhnt hatte. Die Schlagzeilen sprachen von der Flucht der Zivilbevölkerung ins Landesinnere, von bevorstehenden Angriffen und mutmasslichen Kriegsverbrechen des Feindes. Politiker warfen Durchhalteparolen in den Raum, und es gab die üblichen heroischen Geschichten von tapfer kämpfenden Schweizer Soldaten – Erzählungen, die Güldenstern mittlerweile mehr zynisch als inspirierend empfand.

Er schloss das iPad mit einer fast resignierenden Geste. Die Nachrichten änderten nichts an der Realität seiner Kompanie, nichts an dem unmittelbaren Druck, den seine Männer spürten, und nichts an der schwindenden Hoffnung, die er täglich in ihren Augen sah. Güldenstern war klar geworden, dass seine Welt, der kleine Ausschnitt an Realität, für den er verantwortlich war, der einzige Bereich war, den er beeinflussen konnte. Alles andere war nur Rauschen, das ihn von seiner eigentlichen Aufgabe ablenkte.

Mit festem Schritt und einer schweren Last auf seinen Schultern machte er sich auf den Weg zum Rapport. Dort würde er seinen Männern gegenübertreten, die auf Führung und Hoffnung warteten, auch wenn beides immer schwerer zu vermitteln war. Güldenstern wusste, dass er ihnen die Wahrheit schuldete, so düster sie auch sein mochte.

Pflicht gegenüber wem?

Pünktlich um 8 Uhr begann der Rapport der Infanteriekompanie in dem behelfsmässig eingerichteten Kommandoposten, tief im Keller einer alten Giesserei. Der Besitzer, selbst ehemaliger Feldwebel, hatte diesen Ort zur Verfügung gestellt und unterstützte, wo er nur konnte. In den kalten, mit Echos gefüllten Hallen richtete Oberleutnant Güldenstern das Wort an seine Offiziere. «Nehmen Sie Platz, meine Herren», sagte er mit einer Stimme, die Stärke projizieren sollte, jedoch von der Last der Verantwortung gezeichnet war.

Er berichtete über die Lage, während die tristen Blicke seiner Zugführer ihm gegenübersassen. «Der Auftrag bleibt derselbe. Wir müssen die Achse sperren und einen gegnerischen Durchbruch hier verhindern», erklärte Güldenstern, doch die Skepsis in den Augen seiner Männer war unübersehbar.

Leutnant Rohner, sichtlich angespannt, brach das Schweigen. «Güldenstern, bekommen wir Munition? Bekommen wir Verstärkung? Wie sollen wir hier verteidigen, wie sollen wir hier sperren? Ich habe keine Männer mehr. Mein Zug besteht noch aus neun Soldaten.»

Güldenstern überlegte kurz, ein schwerer Seufzer entwich ihm. «Ja, wir werden die Soldaten etwas aufteilen. Wir müssen die Züge ausgleichen.» Doch als er begann, seine Pläne darzulegen, wie die verbliebenen Soldaten umverteilt werden sollten, erkannten alle die Absurdität der Situation. Steffen, einer der erfahreneren Offiziere, schüttelte resigniert den Kopf. «Das ist absurd, Güldenstern. Wir können noch so viel hin und her schieben. Wir könnten sogar die Küchenmannschaft bewaffnen, aber was bringt das?»

Leutnant Zysset fügte hinzu, halb im Scherz, halb in Verzweiflung: «Vielleicht finden wir ja noch ein paar Leute im Dorf, die uns helfen, sich zu verteidigen. Vielleicht hat noch jemand ein Sturmgewehr zu Hause.»

Güldenstern strich sich mit Daumen und Zeigfinger über die geschlossenen Augen und schwieg einen Moment. «Wir haben einen Befehl, einen Auftrag», sagte er schliesslich, die Worte schmeckten bitter in seinem Mund.

Steffen antwortete darauf, die Stimme voller Sorge: «Aber was bringt es, wenn wir den Auftrag nicht erfüllen können? Wenn wir wissen, dass wir den Auftrag nicht erfüllen können? Alles was wir tun, ist Leben zu vergeuden. Für was?”

In diesem Moment ergriff der jüngste der Offiziere, Leutnant Bregi, das Wort. Seine Stimme war fest, durchdrungen von einer fast naiven Entschlossenheit. «Meine Herren, wir haben eine Pflicht. Es ist unsere Pflicht, zu kämpfen. Was immer es heissen will. Bis zu jedem letzten Blutstropfen. Das sind wir unserem Vaterland schuldig.»

Die Stille, die darauffolgte, war erdrückend. Alle Augen richteten sich auf Güldenstern, der nach den richtigen Worten rang. Schliesslich stellte er eine Frage in den Raum, eine Frage, die mehr an sich selbst oder an eine höhere Macht gerichtet schien als an seine Männer. «Bis wann ist Verteidigung ethisch noch vertretbar? Bis wann ist der Kampf ethisch noch vertretbar? Bis wann ist es ethisch vertretbar Opfer zu erbringen? Wem sind wir verpflichtet? Unseren Vorgesetzten? Unseren Mitmenschen? Unserem Gewissen?»

Dann stand er auf, seine Gestalt etwas gebeugt unter der Last der unsichtbaren Bürde. «Meine Herren, ich muss mich zurückziehen. Lassen Sie uns in einer Stunde noch einmal zusammenkommen. Ich brauche Zeit für mich.» Mit diesen Worten verliess er den Raum, hinterliess seine Offiziere in einer Atmosphäre der Unsicherheit und des Zweifels.

Fragestellung

  • Bis wann ist Verteidigung ethisch noch vertretbar?
  • Bis wann ist der Kampf ethisch noch vertretbar?
  • Bis wann ist es ethisch vertretbar Opfer zu erbringen?
  • Wem sind wir verpflichtet? Unseren Vorgesetzten? Unseren Mitmenschen? Unserem Gewissen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #9

Zum Decision Game vom September haben uns vier Einsendungen erreicht. Die eingereichten Lösungen zeigen eine intensive Auseinandersetzung mit der moralischen und politischen Fragestellung und verdeutlichen die vielschichtige Komplexität der hier vorliegenden Problematik.

Oberleutnant Güldenstern steht vor einem klassischen moralischen Dilemma, bei dem er entscheiden muss, ob er einen militärischen Befehl ausführt, der das Leben seiner Soldaten aufs Spiel setzt, oder ob er den Befehl verweigert, was ihn persönlich (Kriegsgericht, Schande) sowie kollektiv (militärischer Misserfolg) in erhebliche Schwierigkeiten bringt. Es geht um die Abwägung von Gehorsam und moralischer Verantwortung, besonders im Hinblick auf die ethischen Prinzipien, die den Schutz des Lebens und die Pflicht zur Durchführung eines militärischen Auftrags betreffen.

Ethische Prinzipien und Theorien

Die ethische Analyse kann auf verschiedene theoretische Grundlagen zurückgreifen, wobei zwei Hauptansätze von Bedeutung sind:

  • Die traditionelle Theorie des gerechten Krieges und das darauf basierende Völkerrecht bieten klare normative Rahmenbedingungen für den Krieg, wobei Prinzipien wie Verhältnismässigkeit, letzte Möglichkeit und legitime Autorität eine zentrale Rolle spielen. Nach diesem Ansatz hat Güldenstern die Pflicht, den Befehl seiner Vorgesetzten zu befolgen, solange diese Prinzipien nicht offensichtlich verletzt werden.
  • Revisionistische Ansätze wie die von Jeff McMahan stellen diese herkömmlichen Annahmen in Frage und betonen, dass individuelle Soldaten die moralische Pflicht haben, Aufträge und Befehle zu hinterfragen und zu beurteilen, ob sie gerechtfertigt sind. Hier wird die individuelle moralische Verantwortung betont, selbst in hierarchischen Strukturen, was bedeutet, dass Güldenstern trotz seines Ranges und seiner Pflichten möglicherweise zu der Schlussfolgerung gelangen könnte, dass die Verweigerung ethisch geboten ist.

Moralische und politische Legitimität

Ein zentrales ethisches Spannungsfeld besteht zwischen moralischer und politischer Legitimität. Politische Legitimität verweist auf die Anerkennung von Befehlen und Strukturen, die von einem politischen Mandat abgeleitet werden, das nach legitimen demokratischen Prozessen ins Leben gerufen wurde. Moralische Legitimität stellt den Schutz grundlegender ethischer Werte wie Menschenwürde ins Zentrum. Für Güldenstern stellt sich die Frage, ob sein Befehl, die Achse um jeden Preis zu verteidigen, moralisch legitim ist, selbst wenn er politisch und institutionell gedeckt ist. Hat Güldenstern das moralische Recht oder sogar die Pflicht, seine eigene Autonomie über die Aufträge und Befehle der Institution zu stellen, um das Leben seiner Soldaten zu schützen?

Militärische Hierarchie und Disziplin

Die militärische Hierarchie stellt eine strukturelle Einschränkung der individuellen Autonomie dar. Güldenstern ist in einem System, das Disziplin und Auftragstreue verlangt. Er muss möglicherweise unmoralische Handlungen ausführen, weil das System sie von ihm verlangt. Doch eine bewusste Entscheidung, einen Befehl zu missachten, setzt ihn erheblichen persönlichen Konsequenzen aus, wie dem Risiko eines Kriegsgerichts.

Hypothetisch betrachtet: Was passiert, wenn Güldenstern den Befehl verweigert?

  • Szenario 1: Die Kompanie zieht sich zurück, was viele (Soldaten-) Leben retten könnte, aber dies könnte zu einem militärischen Misserfolg führen und Güldenstern könnte wegen Befehlsverweigerung verurteilt werden.
  • Szenario 2: Güldenstern folgt dem Befehl, was zu schweren Verlusten unter den Soldaten führt. Zudem wird der militärische Auftrag wahrscheinlich nicht erfüllt. Die Frage bleibt, ob so ein Himmelfahrtskommando moralisch vertretbar wäre.

Moralischer Mut

Eine weitere Dimension ist der Mut. Güldenstern könnte die Entscheidung treffen, aus moralischem Mut den Befehl zu verweigern, obwohl er weiss, dass dies schwerwiegende Konsequenzen für ihn haben könnte. Die Frage ist, ob es vertretbar ist, persönliches Risiko einzugehen, um das Richtige zu tun, wenn dies das Leben anderer schützen kann. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass das kein ethisches Dilemma ist, sondern schlicht eine Frage der Persönlichkeit und des Vorbilds.

Perspektive der Soldaten

Die Soldaten von Güldenstern, wie Leutnant Bregi, stehen vor ähnlichen ethischen Fragen. Sollen sie ihm folgen, auch wenn sie die Sinnhaftigkeit des Befehls von Güldenstern in Frage stellen? Die revisionistische Theorie des gerechten Krieges betont, dass auch niedrigere Ränge eine moralische Verantwortung haben, Befehle zu prüfen. Dies wirft die Frage auf, wie realistisch es ist, dass Soldaten in stressbeladenen Situationen diese ethischen Überlegungen tatsächlich umsetzen können. Ausserdem ist es fraglich, ob sich Soldaten an Befehle von Vorgesetzten halten werden, die sich selber nicht an Aufträge und Befehle halten.

Stress, Emotionen und Unsicherheit

Die praktischen Herausforderungen bei der Anwendung ethischer Prinzipien in extrem stressigen militärischen Situationen sind nicht zu unterschätzen. Emotionen, Stress und die Unsicherheit der Lage können die Fähigkeit zur rationalen ethischen Reflexion erheblich beeinträchtigen. In einem militärischen Kontext, in dem Entscheidungen in Extremsituationen getroffen werden müssen, kann die Umsetzung abstrakter ethischer Theorien wie der des gerechten Krieges schwierig bis unmöglich sein – und zwar selbst dann, wenn das bis zu einem gewissen Grad trainiert wurde.

Einfluss der öffentlichen Meinung

Güldenstern und seine Soldaten könnten durch zivile Medien und die öffentliche Meinung beeinflusst werden. Der Druck, als «Helden» wahrgenommen zu werden, oder die Erwartung, das Vaterland zu verteidigen, könnte die Entscheidungsfindung erheblich beeinflussen. Diese externen Einflüsse erschweren die Abgrenzung zwischen ethisch richtigen Entscheidungen und solchen, die durch soziale Erwartungen verzerrt werden. Ausserdem hat die öffentliche Meinung in einer Demokratie auch in Kriegszeiten Einfluss darauf, was als politisch legitim gelten darf und was nicht. Es muss bedacht werden, dass Güldenstern und seine Soldaten Bürger in Uniform sind.

Langfristige Konsequenzen: Moralische Verletzungen und Traumata

Unabhängig davon, wie Güldenstern entscheidet, könnte seine Wahl langfristige moralische Verletzungen (moral injuries) und Traumata sowohl für ihn selbst als auch für seine Soldaten mit sich bringen. Wenn er den Befehl befolgt und viele seiner Männer sterben, könnte dies zu tiefgreifenden Verletzungen führen. Aber auch die Entscheidung, den Befehl zu verweigern, könnte schwerwiegende Konsequenzen für die Möglichkeit einer psychologischen und sozialen Wiedereingliederung nach dem Krieg haben, da Soldaten oft mit Schuldgefühlen und inneren Konflikten zu kämpfen haben, wenn sie den Erwartungen nicht gerecht werden oder den Eindruck haben, von vorgesetzter Stufe verlassen worden zu sein.

Offene Schlussbetrachtung

Die ethische Analyse dieses Dilemmas führt zu keiner einfachen oder klaren Handlungsempfehlung. Güldensterns Entscheidung wird letztlich zwischen der Einhaltung militärischer Disziplin, der Wahrung seiner moralischen Integrität und dem Schutz des Lebens seiner Soldaten abgewogen. Die moralischen Theorien bieten Orientierung, doch ihre Anwendung in realen, stressbeladenen militärischen Kontexten wie diesem bleibt eine Herausforderung. Konkret müssen sich militärische Entscheidungsträger der Tatsache stellen, dass es Situationen gibt, in denen sie nur schlechte Optionen haben. Und in Extremsituationen zwischen schlechten Optionen entscheiden zu müssen, führt an die Grenzen des Menschseins.

Oblt Wehrles Handlungsempfehlung hebt sich dabei von den anderen Analysen ab, da er nicht nur die ethischen Dilemmata differenziert beleuchtet, sondern auch konkrete Handlungsanweisungen gibt, die sowohl ethisch als auch praktisch durchdacht sind. Während andere Analysen zwar fundierte ethische Überlegungen anstellen, bleibt Wehrle der Einzige, der eine klare Lösung präsentiert. Er schlägt vor, dass Güldenstern die Situation erneut analysiert, mit dem Bataillonskommandanten Kontakt aufnimmt und, wenn nötig, den Rückzug vorbereitet. Diese Handlungsanweisung berücksichtigt die übergeordneten ethischen Verpflichtungen gegenüber Vorgesetzten, Untergebenen und Zivilisten gleichermassen, was seine Lösung besonders überzeugend macht. Im Vergleich dazu bleiben die anderen Empfehlungen zu sehr auf die Analyse der Problematik beschränkt, ohne einen konkreten Ausweg zu bieten.

Wehrles Ansatz glänzt inhaltlich durch seine realistische Einschätzung der Lage und die klare Verknüpfung ethischer Prinzipien mit praktischer Machbarkeit. Besonders hervorzuheben ist, dass er die verschiedenen Verantwortlichkeiten Güldensterns – gegenüber den Vorgesetzten, der Kompanie und der Zivilbevölkerung – gleichwertig und verantwortungsbewusst in den Entscheidungsprozess einbindet. Seine Vorschläge zur Kommunikation mit den Vorgesetzten und zur Vorbereitung eines geordneten Rückzugs zeigen eine hohe Sensibilität gegenüber den möglichen Konsequenzen der Entscheidung. Dadurch ist Wehrles Lösung nicht nur ethisch fundiert, sondern auch realistisch und praktisch umsetzbar, was sie von den anderen Analysen unterscheidet. Gerne zeichnen wir ihn mit einem Exemplar «Xenophon’s Cyrus the Great – The Arts of Leadership and War» von Xenophon, mit Editor Larry Hedrick aus und möchten uns bei allen Teilnehmenden für ihre angeregten Einsendungen bedanken.

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Update Führung: September 2024

Preliminary Lessons from Ukraine’s Offensive Operations, 2022–23

[RUSI, 18.07.2024, Jack Watling, Oleksandr V Danylyuk, Nick Reynolds]

The 2023 Ukrainian offensive, initially grounded in a solid strategy, failed due to critical errors and missed opportunities by both Ukraine and its international partners. Delays in equipment, inadequate training, and flawed assumptions about Russian forces led to a breakdown in execution. This report is essential reading for military leaders, offering crucial lessons on modern warfare, including the importance of counter-reconnaissance, electronic protection, and the need for adaptable strategies in regenerating combat power. Understanding these failures is key to avoiding similar mistakes and enhancing future NATO operations.

Link: https://www.rusi.org/explore-our-research/publications/special-resources/preliminary-lessons-ukraines-offensive-operations-2022-23

Panzer statt Bullerbü: Nach dem Überfall auf die Ukraine rüsten die skandinavischen Länder auf. So geht Zeitenwende

[NZZ, 20.08.2024, Marco Kaufmann Bossart]

Dieser Artikel bietet wertvolle Einblicke für militärische Führungskräfte, indem er die drastischen sicherheitspolitischen Umbrüche in den skandinavischen Ländern nach dem russischen Überfall auf die Ukraine beleuchtet. Er zeigt, wie entschlossene Aufrüstung und die Abkehr von langjähriger Neutralitätspolitik die Verteidigungsstrategien in Nordeuropa aktuell nachhaltig verändern.

Link: https://www.nzz.ch/meinung/skandinavien-zeigt-wie-zeitenwende-geht-ld.1840980

What is psychological safety?

[McKinsey & Company, 7/2023, McKinsey]

Psychological safety—the absence of interpersonal fear— is critical for peak performance in all areas of life, from work to home. This article delves into why creating environments where people feel safe to speak up, share ideas, and admit mistakes without fear of judgment or retaliation is essential for fostering innovation, productivity, and team effectiveness. Backed by McKinsey’s research, it offers valuable insights for leaders on how to cultivate psychological safety through specific leadership behaviors and development strategies. Military and business leaders alike will find this a compelling read for understanding how to build stronger, more resilient teams.

Link: https://www.mckinsey.com/featured-insights/mckinsey-explainers/what-is-psychological-safety

The Hidden War in Gaza and the West Bank

[Bellingcat, 29.04.2024, Bellingcat Investigation Team]

As Israel gears up for its Rafah offensive, the humanitarian crisis in Gaza deepens, yet restricted media access obscures the full extent of the devastation. In this article, Bellingcat and Scripps News utilize open-source imagery to expose the widespread destruction and deteriorating conditions in Gaza. Simultaneously, the escalating conflict in the West Bank is also highlighted, with satellite imagery revealing continued settlement expansions and rising tensions. This analysis provides a crucial, underreported perspective on the ongoing conflicts, making it a must-read for those seeking to understand the full scope of the crisis.

Link: https://www.bellingcat.com/news/2024/04/29/the-hidden-war-in-gaza-and-the-west-bank/

Wer ist schuld an der Sicherheitslücke beim Trump-Auftritt? Eine Videoanalyse

[NZZ, 18.07.2024, Isabelle Pfister, Jasmine Jacot-Descombes]

Wer trägt die Verantwortung für die Sicherheitslücke bei Donald Trumps Auftritt, bei dem er nur knapp dem Tod entging? Diese Videoanalyse beleuchtet, wie es zu diesem gefährlichen Vorfall kommen konnte. Dabei wird unter anderem das Sicherheitsdispositiv des Secret Service erläutert. Hat der Secret Service versagt, oder liegt die Schuld bei der Polizei? Der Artikel untersucht die gemachten Fehler und gibt spannende Einblicke in die Abläufe hinter den Kulissen. Eine aufschlussreiche Analyse für alle, die an Sicherheitsfragen und den Hintergründen solcher Ereignisse interessiert sind.

Link: https://www.nzz.ch/international/wer-ist-schuld-an-der-sicherheitsluecke-in-butler-eine-videoanalyse-ld.1839679

Deviance and Innovation: Change in a «Society of Saints»

[Joint Force Quarterly, 25.07.2024, Thaddeus V. Drake, Derrick L. McClain]

This article is a must-read for military leaders who seek to balance order and discipline with the need for innovation. It challenges conventional wisdom by proposing that controlled deviance within a rigid structure can be a driving force for change and improvement, offering valuable insights into how military organizations can adapt in rapidly changing environments.

Link: https://digitalcommons.ndu.edu/joint-force-quarterly/vol114/iss2/5/


Über das «Update Führung»

Das Update Führung ist eine wiederkehrende Rubrik des Newsletters Leader’s Digest. Dieser Newsletter entsteht in Kooperation des Leadership Campus der Schweizer Armee und der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich. Wenn Sie Leader’s Digest noch nicht abonniert haben, finden Sie unter folgendem Link weitere Informationen sowie das Formular zur Anmeldung.

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Buch des Monats: «Xenophon’s Cyrus the Great – The Arts of Leadership and War» von Xenophon, Editor Larry Hedrick

Was ist die Kernaussage des Buches?

Die zentrale Botschaft von Xenophons «Cyrus the Great – The Arts of Leadership and War» (bearbeitet von Larry Hedrick) ist, dass effektive Führung eine ausgewogene Mischung aus Weisheit, Gerechtigkeit, strategischem Denken und der Fähigkeit ist, Loyalität und Respekt bei den Geführten zu inspirieren. Xenophon stellt Kyros den Grossen als das Idealbild eines Leaders dar—jemand, der militärische Stärke mit moralischer Integrität, strategisches Geschick mit Mitgefühl und Autorität mit Demut vereint. Durch Kyros’ Leben zeigt Xenophon, dass die wahre Kunst der Führung nicht nur im Erobern von Ländern liegt, sondern in der gerechten Herrschaft und dem Gewinn des dauerhaften Respekts und der Loyalität der Regierten. Dabei werden die Schlüsselthemen der moralischen Führung, strategischen Weisheit, der Bedeutung von Bildung, des Gleichgewichts zwischen Macht und Wohlwollen sowie der Loyalität und des Respekts miteinander verknüpft, um das Idealbild eines grossartigen Führers zu zeichnen.

Was gefällt Ihnen an diesem Buch am besten?

Was dieses Buch ausmacht, ist die lebendige Erzählweise Xenophons, die Geschichte und Philosophie geschickt miteinander verwebt und den Leser tief in die Welt von Kyros dem Grossen eintauchen lässt. Es bietet zeitlose Weisheiten über Führung und Moral, die auch heute noch relevant sind. Die Darstellung von Kyros als idealem Leader inspiriert und regt zum Nachdenken an. Die Verschmelzung von historischem Bericht und philosophischer Reflexion sowie die zugängliche Bearbeitung machen das Werk sowohl intellektuell bereichernd als auch emotional ansprechend.

Gibt es Punkte, in welchen Sie die Argumentation des Buches nicht unterstützen, oder Bereiche, die Ihrer Meinung nach zu kurz kommen?

Nein, das Buch ist für mich wirklich in sich geschlossen.

An wen richtet sich Ihre Empfehlung?

Dieses Buch richtet sich an alle Führungskräfte – sei es im militärischen, politischen oder wirtschaftlichen Bereich. Ich empfehle es allen, die nicht nur effektiv führen, sondern auch das Richtige tun wollen. Xenophons Darstellung von Kyros dem Grossen zeigt, dass wahre Führungsstärke nicht nur in strategischem Geschick, sondern vor allem in Integrität, Grossmütigkeit und Menschlichkeit liegt. Kyros’ humanistischer Führungsstil, der auf Einfühlungsvermögen und moralischer Grösse basiert, ist seiner Zeit weit voraus und bietet wertvolle Lektionen, die heute oft verloren gehen. Diese zeitlose Weisheit macht das Buch zu einer unverzichtbaren Lektüre für alle, die nicht nur erfolgreich, sondern auch ethisch führen wollen.

Wie hat Ihnen dieses Buch im militärischen Führungsalltag geholfen?

Dieses Buch hat mir als Führungskraft entscheidend geholfen, insbesondere in Situationen, in denen ich mit Dilemmata konfrontiert war. Oft steht man vor der Herausforderung, zwischen moralisch korrekten Entscheidungen und möglicherweise kurzfristig vorteilhaften, aber weniger ethischen Optionen zu wählen. Kyros der Grosse inspiriert dazu, integer und ethisch korrekt zu handeln, und zeigt auf, dass dieser Weg nicht nur moralisch richtig, sondern auch langfristig erfolgreich ist. Es bestärkt darin, sich selbst treu zu bleiben und die humanistische Seite der Führung zu betonen, ohne sich von äusseren Zwängen zu unethischem Handeln verleiten zu lassen. Ich konnte mir dann auch manchmal die Frage stellen: «Was würde Kyros in dieser Situation tun?» Dadurch wurde das Buch zu einer wertvollen Entscheidungshilfe in meinem Führungsalltag.

Welchem Teilaspekt des Command-Leadership-Management-Modells ordnen Sie dieses Buch zu?

Das Buch zeigt eindrücklich, wie Command und Leadership sich gegenseitig bedingen und bestärken. In der heutigen Zeit geht es nicht primär darum, Teams zu managen, sondern darum, sie zu inspirieren, zu motivieren und gemeinsam mit ihnen die gesteckten Ziele zu erreichen – und das stets im Einklang mit humanistisch-moralischen Grundsätzen. Genau hier setzt Kyros der Grosse an. Das Buch bietet wertvolle Einsichten, wie man als Führungskraft nicht nur effektiv und erfolgreich sein kann, sondern auch moralisch integer handelt. Es zeigt, dass wahre Führungsstärke darin liegt, Ethik und Menschlichkeit in den Mittelpunkt des eigenen Handelns zu stellen, ohne den Auftrag zu vernachlässigen und dadurch das Vertrauen und die Loyalität der Teams zu gewinnen.

Wo sehen Sie zukünftig die grössten Herausforderungen für die Führung in der Schweizer Armee?

Die grösste Herausforderung für die Führung in der Schweizer Armee sehe ich in der Deregulierung: wegzukommen von stark hierarchisch regulierten Systemen hin zu einer Erweiterung der Handlungsfreiheit. Es geht darum, technokratisch-bürokratische, prozessorientierte Führung aufzulösen und stattdessen mündige, engagierte Soldaten zu fördern, die auf jeder Stufe Verantwortung übernehmen und als Leader und Kommandanten agieren können – ohne durch übermässige Regulation eingeschränkt zu werden.

Und wo sehen Sie diesbezüglich die grössten Chancen?

Die grosse Chance ist das Wesen unserer Milizarmee, nämlich, dass wir Bürgersoldaten haben, die von Natur aus Überregulation nicht zulassen. Als kritisch denkende Bürger bringen sie eine Unabhängigkeit mit, die sie davor bewahrt, sich zu stark in hierarchische Systeme einzwängen zu lassen. Diese Soldaten, die vorwiegend im zivilen Umfeld tätig sind, sind flexibler und offener für Veränderungen, was unserer Armee einen klaren Vorteil gegenüber anderen Streitkräften verschafft.


Über den Rezensenten

Oberst i Gst Mathias Müller ist 54 Jahre alt und hat Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Kommunikations- und Medienwissenschaften studiert. Seine Karriere begann als Journalist. Seit 25 Jahren dient er als Berufsoffizier und bekleidet heute den Rang eines Obersts im Generalstab, wo er im Stab des Chefs der Armee tätig ist. In seiner militärischen Laufbahn war er unter anderem als Kommandant der Rekrutierung, der Infanterieoffiziersschule und des Kompetenzzentrums Sport in Magglingen tätig. Neben seiner militärischen Tätigkeit ist er auch als Buchautor und Politiker aktiv und gehört seit zehn Jahren dem Grossrat des Kantons Bern an. Mathias Müller ist verheiratet und Vater von drei Kindern, die 15, 17 und 19 Jahre alt sind.

Über das «Buch des Monats»

Das «Buch des Monats» ist eine wiederkehrende Rubrik des Newsletters Leader’s Digest. Dieser Newsletter entsteht in Kooperation des Leadership Campus der Schweizer Armee und der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich. Wenn Sie Leader’s Digest noch nicht abonniert haben, finden Sie unter folgendem Link weitere Informationen sowie das Formular zur Anmeldung.