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Leader's Digest Leader's Digest #9 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #9

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Dr. phil. Florian Demont, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich mit einem Schwerpunkt in Militärethik.

Decision Game aus Leader’s Digest #9

Szenario

Glauben und Wissen

Der Oberleutnant Güldenstern sass kurz vor Mittag geduckt auf dem staubigen Boden des Hinterhofs, eingeschlossen von der Fassade eines stillgelegten Cafés und der schlichten Mauer einer Bäckerei. Seit drei Monaten, seit die Kampfhandlungen das Dorf erreicht haben, lag das Viertel im Stillstand, gehüllt in die Schatten einer Vergangenheit, die der ausländische Besitzer des Cafés mit sich in seine Heimat genommen hatte. Der Oberleutnant, die Beine eng an sich gezogen, die Ellbogen schwer auf seinen Knien, verbarg sein Gesicht in den Händen. Sein Haar, obwohl noch halbwegs gekämmt, zeigte Spuren der Verwahrlosung – ein stilles Zeugnis der verlorenen Normalität.

In seiner Versunkenheit bemerkte er nicht, wie sich die junge Frau, eine Angestellte der Bäckerei, leise in den Hof schlich, eine Zigarette zwischen den Lippen. Das plötzliche Knacken eines Zippo-Feuerzeugs durchschnitt die Stille. Überrascht hob er den Kopf, sein Blick fiel auf die Frau, die mit einer unbeschwerten Geste ihm eine Zigarette anbot. «Willst du mit mir eins rauchen?», fragte sie, ihre Stimme ein sanfter Kontrast zu dem Gewicht seiner Gedanken. Müde, erschöpft winkte er ab, doch ihre nächste Frage, ob es ihn störe, wenn sie sich zu ihm setze, bejahte er mit einem müden Nicken.

Während sie sich neben ihn niederliess, entbrannte ein Gespräch über die Kriegslage, ihre Worte flossen mit einer Mischung aus Hoffnung und Resignation. «Nach fünf Tagen ohne Kämpfe, Bomben und Minenfeuer – vielleicht ist das Schlimmste vorbei. Ich glaube, dass das Schlimmste vorbei ist” sinnierte sie, während sie tief an ihrer Zigarette zog. «Ich überlege, ins Landesinnere zu fliehen, wie so viele andere. Doch mein Chef will die Bäckerei weiter betreiben. Ihr habt die letzten Angriffe abgewehrt, das gibt mir Hoffnung.»

Der Oberleutnant, seine Augen weit geöffnet in der Dunkelheit des Hofs, schüttelte langsam den Kopf. «Ich weiss es nicht», gestand er, seine Stimme rauh vor Sorge. «Ich befürchte, dass der nächste Schlag bevorsteht. Unsere Kampfkraft ist auf dreissig Prozent gesunken. Wir haben zu viele verloren… zu viele gefallen… und die Munition ist fast aufgebraucht.»

Die junge Frau zog nachdenklich an ihrer Zigarette, strich sich das Haar aus dem Gesicht und liess dann beiläufig fallen, dass Frau Leuzinger, die Kindergärtnerin, gestern nach fünf Tagen an ihren Verletzungen erlegen ist. «Sie wollte Material aus dem Kindergarten holen, als der Angriff kam. Eine Mörsergranate…» Ihre Stimme brach. «Es ist schlimm, was wir erleben.»

«Frau Leuzinger?», wiederholte der Oberleutnant leise. Als sie nickte, liess er den Kopf sinken. «Ja, es ist schlimm. Manchmal frage ich mich, ob das alles noch einen Sinn hat.»

Sie sah ihn direkt an, ihre Augen fest entschlossen. «Ihr habt bis jetzt tapfer gekämpft. Wir müssen an uns glauben.»

Er starrte ins Leere. «Je grösser der Glaube, desto geringer das Wissen», murmelte er schliesslich. «Und ich weiss wirklich nicht, ob wir den Feind noch aufhalten können.»

In diesem Hinterhof, umgeben von den Geistern eines ruhenden Cafés und der Düsternis des Krieges, schwelte nicht nur die Glut ihrer Zigaretten, sondern auch die letzte Glut der Hoffnung – düster und ungewiss.

Mensch sein

Oberleutnant Güldenstern sass in seinem düsteren Zimmer im Gasthof zum Weissen Kreuz, umgeben von verstreuten Papieren und dem zerbrochenen iPad, das ihm als letztes Bindeglied zur Aussenwelt diente. Das Display, durchzogen von Rissen, spiegelte die zersplitterte Realität seines Kommandos wider. Die Nachrichten, die er mühselig entzifferte, waren vom Chef Operationen des Bataillons, Major Kramer, der keine Milde in seiner Stimme kannte, als er Güldenstern in einem kürzlichen scharfen Telefonat zurechtwies.

«Güldenstern, hinterfrag jetzt nicht deinen Auftrag. Du hast einen Befehl und der Befehl ist, deine Kompanie sperrt die Achse. Und das bis zum letzten Mann. Verdammt nochmal! Keinen Schritt zurück!», hatte Kramer forsch befohlen, als wäre die Entschlossenheit seiner Worte allein genug, um die Wirklichkeit zu biegen. «Sei etwas kreativ, verdammt nochmal!» Dieser Befehl hallte nun in Güldensterns Gedanken wider, während er aus dem Fenster auf die verlassenen Strassen blickte.

Draussen ging das Leben weiter, auch wenn es für manche ein Leben auf der Flucht war. Ein Vater packte seinen Skoda mit Koffern, während ein kleines Mädchen einen grossen Teddybär herbeitrug, ein stummer Zeuge der Zerrissenheit, die diesen Ort beherrschte. Die Mutter, das Gesicht vom Weinen gezeichnet, trug ein weiteres Kind. Güldenstern beobachtete sie, wie sie schliesslich davonzogen, Richtung einer vermeintlich sichereren Umgebung im Landesinnern.

Zurück in der Einsamkeit seines Zimmers begann Güldenstern, den Sinn seiner Mission zu hinterfragen. Die Forderungen von Major Kramer, die Achse um jeden Preis zu halten, klangen in seinen Ohren nach, während er die letzte Korrespondenz nochmals durchging. Die Aussichten waren düster; der Feind schien sich zu verstärken, und die eigenen Ressourcen schwanden zusehends. «Alles andere ist mir scheissegal», hatte Kramer gesagt. Aber für Güldenstern war es das nicht. Die Opfer, die Kämpfe, die kleinen und grossen Tragödien – sie waren nicht egal.

In einem Moment der Stille, unterbrochen nur durch das Knistern des alten Holzbodens unter seinen Füssen, spürte Güldenstern die Last der Verantwortung. Er wusste, dass jeder Befehl, den er gab, das Potenzial hatte, Leben zu kosten oder zu retten. Die Zweifel, die langsam in ihm aufkeimten, waren subtil, doch in der Stille seines Zimmers wurden sie lauter. Wie lange noch konnte er einen sinnvollen Kampf führen, wenn die Bedingungen so hoffnungslos waren? Wann war der Punkt erreicht, an dem die Verteidigung nicht mehr nur eine militärische Aufgabe, sondern eine Frage der Menschlichkeit wurde?

Er griff nach dem Telefon, entschlossen, noch einmal mit Kramer zu sprechen, obwohl er wusste, dass es wenig ändern würde. Doch in diesem Moment zögerte er. Sein Blick fiel erneut auf das Fenster, durch das er die Familie hatte fortziehen sehen. Die Entscheidung, zu kämpfen oder nicht, war mehr als eine taktische Überlegung; es war eine ethische Frage, die tief in das Herz dessen schnitt, was es bedeutete, Befehle zu befolgen und zugleich Mensch zu sein.

Mit einem tiefen Atemzug legte Güldenstern den Hörer wieder auf. Die Nacht zog auf, und mit ihr kam die Ungewissheit. Aber in dieser Ungewissheit lag auch eine Art Klarheit. Vielleicht, dachte er, lag die wahre Herausforderung nicht darin, die Achse zu halten, sondern zu entscheiden, wann der Preis für die Verteidigung zu hoch wurde.

Wahrheit

Genau um 06.00 Uhr, wie jeden Morgen, sofern nicht die Umstände des Krieges es verhinderten, nahm Oberleutnant Güldenstern eine kalte Dusche. Vor dieser morgendlichen Erfrischung absolvierte er jedoch einen 45-minütigen Lauf und einige körperliche Übungen im Morgengrauen. Diese täglichen Rituale waren für ihn nicht nur eine Frage der Körperhygiene, sondern bildeten ein festes Bollwerk gegen das umgebende Chaos. Sie verliehen ihm das Gefühl einer gewissen Normalität, einer Ordnung, die er dringend benötigte, um die Zerrissenheit der Welt ausserhalb seines Kommandopostens zu bewältigen. Mit dieser Routine gab er sich die Kraft, dem Unvorhersehbaren des Tages entgegenzutreten.

Nach dem Laufen und den Übungen, noch unter der kalten Dusche stehend, überdachte Güldenstern, was er beim Kompanierapport, der in knapp zwei Stunde anstand, verkünden sollte. Er hoffte inständig auf gute Nachrichten von Major Kramer, darauf, dass endlich die versprochene Verstärkung unterwegs sei. Doch als er, nach dem Duschen, in sein Zimmer zurückkehrte, um dort sein spartanisches Frühstück zu sich zu nehmen – drei leicht gekochte Eier und eine Tasse Filterkaffee –, fand er auf seinem iPad nichts Ermutigendes. Keine neuen Nachrichten vom Bataillon, nur die düstere Bestätigung der Aufklärer und Nachrichtendienste, dass ein gegnerischer Angriff innerhalb der nächsten 36 Stunden erwartet wurde. Die Befehle waren unverändert, der Druck ungemindert.

Widerstrebend öffnete er einige Online-Zeitungen, ein Ritual, das er sich fast abgewöhnt hatte. Die Schlagzeilen sprachen von der Flucht der Zivilbevölkerung ins Landesinnere, von bevorstehenden Angriffen und mutmasslichen Kriegsverbrechen des Feindes. Politiker warfen Durchhalteparolen in den Raum, und es gab die üblichen heroischen Geschichten von tapfer kämpfenden Schweizer Soldaten – Erzählungen, die Güldenstern mittlerweile mehr zynisch als inspirierend empfand.

Er schloss das iPad mit einer fast resignierenden Geste. Die Nachrichten änderten nichts an der Realität seiner Kompanie, nichts an dem unmittelbaren Druck, den seine Männer spürten, und nichts an der schwindenden Hoffnung, die er täglich in ihren Augen sah. Güldenstern war klar geworden, dass seine Welt, der kleine Ausschnitt an Realität, für den er verantwortlich war, der einzige Bereich war, den er beeinflussen konnte. Alles andere war nur Rauschen, das ihn von seiner eigentlichen Aufgabe ablenkte.

Mit festem Schritt und einer schweren Last auf seinen Schultern machte er sich auf den Weg zum Rapport. Dort würde er seinen Männern gegenübertreten, die auf Führung und Hoffnung warteten, auch wenn beides immer schwerer zu vermitteln war. Güldenstern wusste, dass er ihnen die Wahrheit schuldete, so düster sie auch sein mochte.

Pflicht gegenüber wem?

Pünktlich um 8 Uhr begann der Rapport der Infanteriekompanie in dem behelfsmässig eingerichteten Kommandoposten, tief im Keller einer alten Giesserei. Der Besitzer, selbst ehemaliger Feldwebel, hatte diesen Ort zur Verfügung gestellt und unterstützte, wo er nur konnte. In den kalten, mit Echos gefüllten Hallen richtete Oberleutnant Güldenstern das Wort an seine Offiziere. «Nehmen Sie Platz, meine Herren», sagte er mit einer Stimme, die Stärke projizieren sollte, jedoch von der Last der Verantwortung gezeichnet war.

Er berichtete über die Lage, während die tristen Blicke seiner Zugführer ihm gegenübersassen. «Der Auftrag bleibt derselbe. Wir müssen die Achse sperren und einen gegnerischen Durchbruch hier verhindern», erklärte Güldenstern, doch die Skepsis in den Augen seiner Männer war unübersehbar.

Leutnant Rohner, sichtlich angespannt, brach das Schweigen. «Güldenstern, bekommen wir Munition? Bekommen wir Verstärkung? Wie sollen wir hier verteidigen, wie sollen wir hier sperren? Ich habe keine Männer mehr. Mein Zug besteht noch aus neun Soldaten.»

Güldenstern überlegte kurz, ein schwerer Seufzer entwich ihm. «Ja, wir werden die Soldaten etwas aufteilen. Wir müssen die Züge ausgleichen.» Doch als er begann, seine Pläne darzulegen, wie die verbliebenen Soldaten umverteilt werden sollten, erkannten alle die Absurdität der Situation. Steffen, einer der erfahreneren Offiziere, schüttelte resigniert den Kopf. «Das ist absurd, Güldenstern. Wir können noch so viel hin und her schieben. Wir könnten sogar die Küchenmannschaft bewaffnen, aber was bringt das?»

Leutnant Zysset fügte hinzu, halb im Scherz, halb in Verzweiflung: «Vielleicht finden wir ja noch ein paar Leute im Dorf, die uns helfen, sich zu verteidigen. Vielleicht hat noch jemand ein Sturmgewehr zu Hause.»

Güldenstern strich sich mit Daumen und Zeigfinger über die geschlossenen Augen und schwieg einen Moment. «Wir haben einen Befehl, einen Auftrag», sagte er schliesslich, die Worte schmeckten bitter in seinem Mund.

Steffen antwortete darauf, die Stimme voller Sorge: «Aber was bringt es, wenn wir den Auftrag nicht erfüllen können? Wenn wir wissen, dass wir den Auftrag nicht erfüllen können? Alles was wir tun, ist Leben zu vergeuden. Für was?”

In diesem Moment ergriff der jüngste der Offiziere, Leutnant Bregi, das Wort. Seine Stimme war fest, durchdrungen von einer fast naiven Entschlossenheit. «Meine Herren, wir haben eine Pflicht. Es ist unsere Pflicht, zu kämpfen. Was immer es heissen will. Bis zu jedem letzten Blutstropfen. Das sind wir unserem Vaterland schuldig.»

Die Stille, die darauffolgte, war erdrückend. Alle Augen richteten sich auf Güldenstern, der nach den richtigen Worten rang. Schliesslich stellte er eine Frage in den Raum, eine Frage, die mehr an sich selbst oder an eine höhere Macht gerichtet schien als an seine Männer. «Bis wann ist Verteidigung ethisch noch vertretbar? Bis wann ist der Kampf ethisch noch vertretbar? Bis wann ist es ethisch vertretbar Opfer zu erbringen? Wem sind wir verpflichtet? Unseren Vorgesetzten? Unseren Mitmenschen? Unserem Gewissen?»

Dann stand er auf, seine Gestalt etwas gebeugt unter der Last der unsichtbaren Bürde. «Meine Herren, ich muss mich zurückziehen. Lassen Sie uns in einer Stunde noch einmal zusammenkommen. Ich brauche Zeit für mich.» Mit diesen Worten verliess er den Raum, hinterliess seine Offiziere in einer Atmosphäre der Unsicherheit und des Zweifels.

Fragestellung

  • Bis wann ist Verteidigung ethisch noch vertretbar?
  • Bis wann ist der Kampf ethisch noch vertretbar?
  • Bis wann ist es ethisch vertretbar Opfer zu erbringen?
  • Wem sind wir verpflichtet? Unseren Vorgesetzten? Unseren Mitmenschen? Unserem Gewissen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #9

Zum Decision Game vom September haben uns vier Einsendungen erreicht. Die eingereichten Lösungen zeigen eine intensive Auseinandersetzung mit der moralischen und politischen Fragestellung und verdeutlichen die vielschichtige Komplexität der hier vorliegenden Problematik.

Oberleutnant Güldenstern steht vor einem klassischen moralischen Dilemma, bei dem er entscheiden muss, ob er einen militärischen Befehl ausführt, der das Leben seiner Soldaten aufs Spiel setzt, oder ob er den Befehl verweigert, was ihn persönlich (Kriegsgericht, Schande) sowie kollektiv (militärischer Misserfolg) in erhebliche Schwierigkeiten bringt. Es geht um die Abwägung von Gehorsam und moralischer Verantwortung, besonders im Hinblick auf die ethischen Prinzipien, die den Schutz des Lebens und die Pflicht zur Durchführung eines militärischen Auftrags betreffen.

Ethische Prinzipien und Theorien

Die ethische Analyse kann auf verschiedene theoretische Grundlagen zurückgreifen, wobei zwei Hauptansätze von Bedeutung sind:

  • Die traditionelle Theorie des gerechten Krieges und das darauf basierende Völkerrecht bieten klare normative Rahmenbedingungen für den Krieg, wobei Prinzipien wie Verhältnismässigkeit, letzte Möglichkeit und legitime Autorität eine zentrale Rolle spielen. Nach diesem Ansatz hat Güldenstern die Pflicht, den Befehl seiner Vorgesetzten zu befolgen, solange diese Prinzipien nicht offensichtlich verletzt werden.
  • Revisionistische Ansätze wie die von Jeff McMahan stellen diese herkömmlichen Annahmen in Frage und betonen, dass individuelle Soldaten die moralische Pflicht haben, Aufträge und Befehle zu hinterfragen und zu beurteilen, ob sie gerechtfertigt sind. Hier wird die individuelle moralische Verantwortung betont, selbst in hierarchischen Strukturen, was bedeutet, dass Güldenstern trotz seines Ranges und seiner Pflichten möglicherweise zu der Schlussfolgerung gelangen könnte, dass die Verweigerung ethisch geboten ist.

Moralische und politische Legitimität

Ein zentrales ethisches Spannungsfeld besteht zwischen moralischer und politischer Legitimität. Politische Legitimität verweist auf die Anerkennung von Befehlen und Strukturen, die von einem politischen Mandat abgeleitet werden, das nach legitimen demokratischen Prozessen ins Leben gerufen wurde. Moralische Legitimität stellt den Schutz grundlegender ethischer Werte wie Menschenwürde ins Zentrum. Für Güldenstern stellt sich die Frage, ob sein Befehl, die Achse um jeden Preis zu verteidigen, moralisch legitim ist, selbst wenn er politisch und institutionell gedeckt ist. Hat Güldenstern das moralische Recht oder sogar die Pflicht, seine eigene Autonomie über die Aufträge und Befehle der Institution zu stellen, um das Leben seiner Soldaten zu schützen?

Militärische Hierarchie und Disziplin

Die militärische Hierarchie stellt eine strukturelle Einschränkung der individuellen Autonomie dar. Güldenstern ist in einem System, das Disziplin und Auftragstreue verlangt. Er muss möglicherweise unmoralische Handlungen ausführen, weil das System sie von ihm verlangt. Doch eine bewusste Entscheidung, einen Befehl zu missachten, setzt ihn erheblichen persönlichen Konsequenzen aus, wie dem Risiko eines Kriegsgerichts.

Hypothetisch betrachtet: Was passiert, wenn Güldenstern den Befehl verweigert?

  • Szenario 1: Die Kompanie zieht sich zurück, was viele (Soldaten-) Leben retten könnte, aber dies könnte zu einem militärischen Misserfolg führen und Güldenstern könnte wegen Befehlsverweigerung verurteilt werden.
  • Szenario 2: Güldenstern folgt dem Befehl, was zu schweren Verlusten unter den Soldaten führt. Zudem wird der militärische Auftrag wahrscheinlich nicht erfüllt. Die Frage bleibt, ob so ein Himmelfahrtskommando moralisch vertretbar wäre.

Moralischer Mut

Eine weitere Dimension ist der Mut. Güldenstern könnte die Entscheidung treffen, aus moralischem Mut den Befehl zu verweigern, obwohl er weiss, dass dies schwerwiegende Konsequenzen für ihn haben könnte. Die Frage ist, ob es vertretbar ist, persönliches Risiko einzugehen, um das Richtige zu tun, wenn dies das Leben anderer schützen kann. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass das kein ethisches Dilemma ist, sondern schlicht eine Frage der Persönlichkeit und des Vorbilds.

Perspektive der Soldaten

Die Soldaten von Güldenstern, wie Leutnant Bregi, stehen vor ähnlichen ethischen Fragen. Sollen sie ihm folgen, auch wenn sie die Sinnhaftigkeit des Befehls von Güldenstern in Frage stellen? Die revisionistische Theorie des gerechten Krieges betont, dass auch niedrigere Ränge eine moralische Verantwortung haben, Befehle zu prüfen. Dies wirft die Frage auf, wie realistisch es ist, dass Soldaten in stressbeladenen Situationen diese ethischen Überlegungen tatsächlich umsetzen können. Ausserdem ist es fraglich, ob sich Soldaten an Befehle von Vorgesetzten halten werden, die sich selber nicht an Aufträge und Befehle halten.

Stress, Emotionen und Unsicherheit

Die praktischen Herausforderungen bei der Anwendung ethischer Prinzipien in extrem stressigen militärischen Situationen sind nicht zu unterschätzen. Emotionen, Stress und die Unsicherheit der Lage können die Fähigkeit zur rationalen ethischen Reflexion erheblich beeinträchtigen. In einem militärischen Kontext, in dem Entscheidungen in Extremsituationen getroffen werden müssen, kann die Umsetzung abstrakter ethischer Theorien wie der des gerechten Krieges schwierig bis unmöglich sein – und zwar selbst dann, wenn das bis zu einem gewissen Grad trainiert wurde.

Einfluss der öffentlichen Meinung

Güldenstern und seine Soldaten könnten durch zivile Medien und die öffentliche Meinung beeinflusst werden. Der Druck, als «Helden» wahrgenommen zu werden, oder die Erwartung, das Vaterland zu verteidigen, könnte die Entscheidungsfindung erheblich beeinflussen. Diese externen Einflüsse erschweren die Abgrenzung zwischen ethisch richtigen Entscheidungen und solchen, die durch soziale Erwartungen verzerrt werden. Ausserdem hat die öffentliche Meinung in einer Demokratie auch in Kriegszeiten Einfluss darauf, was als politisch legitim gelten darf und was nicht. Es muss bedacht werden, dass Güldenstern und seine Soldaten Bürger in Uniform sind.

Langfristige Konsequenzen: Moralische Verletzungen und Traumata

Unabhängig davon, wie Güldenstern entscheidet, könnte seine Wahl langfristige moralische Verletzungen (moral injuries) und Traumata sowohl für ihn selbst als auch für seine Soldaten mit sich bringen. Wenn er den Befehl befolgt und viele seiner Männer sterben, könnte dies zu tiefgreifenden Verletzungen führen. Aber auch die Entscheidung, den Befehl zu verweigern, könnte schwerwiegende Konsequenzen für die Möglichkeit einer psychologischen und sozialen Wiedereingliederung nach dem Krieg haben, da Soldaten oft mit Schuldgefühlen und inneren Konflikten zu kämpfen haben, wenn sie den Erwartungen nicht gerecht werden oder den Eindruck haben, von vorgesetzter Stufe verlassen worden zu sein.

Offene Schlussbetrachtung

Die ethische Analyse dieses Dilemmas führt zu keiner einfachen oder klaren Handlungsempfehlung. Güldensterns Entscheidung wird letztlich zwischen der Einhaltung militärischer Disziplin, der Wahrung seiner moralischen Integrität und dem Schutz des Lebens seiner Soldaten abgewogen. Die moralischen Theorien bieten Orientierung, doch ihre Anwendung in realen, stressbeladenen militärischen Kontexten wie diesem bleibt eine Herausforderung. Konkret müssen sich militärische Entscheidungsträger der Tatsache stellen, dass es Situationen gibt, in denen sie nur schlechte Optionen haben. Und in Extremsituationen zwischen schlechten Optionen entscheiden zu müssen, führt an die Grenzen des Menschseins.

Oblt Wehrles Handlungsempfehlung hebt sich dabei von den anderen Analysen ab, da er nicht nur die ethischen Dilemmata differenziert beleuchtet, sondern auch konkrete Handlungsanweisungen gibt, die sowohl ethisch als auch praktisch durchdacht sind. Während andere Analysen zwar fundierte ethische Überlegungen anstellen, bleibt Wehrle der Einzige, der eine klare Lösung präsentiert. Er schlägt vor, dass Güldenstern die Situation erneut analysiert, mit dem Bataillonskommandanten Kontakt aufnimmt und, wenn nötig, den Rückzug vorbereitet. Diese Handlungsanweisung berücksichtigt die übergeordneten ethischen Verpflichtungen gegenüber Vorgesetzten, Untergebenen und Zivilisten gleichermassen, was seine Lösung besonders überzeugend macht. Im Vergleich dazu bleiben die anderen Empfehlungen zu sehr auf die Analyse der Problematik beschränkt, ohne einen konkreten Ausweg zu bieten.

Wehrles Ansatz glänzt inhaltlich durch seine realistische Einschätzung der Lage und die klare Verknüpfung ethischer Prinzipien mit praktischer Machbarkeit. Besonders hervorzuheben ist, dass er die verschiedenen Verantwortlichkeiten Güldensterns – gegenüber den Vorgesetzten, der Kompanie und der Zivilbevölkerung – gleichwertig und verantwortungsbewusst in den Entscheidungsprozess einbindet. Seine Vorschläge zur Kommunikation mit den Vorgesetzten und zur Vorbereitung eines geordneten Rückzugs zeigen eine hohe Sensibilität gegenüber den möglichen Konsequenzen der Entscheidung. Dadurch ist Wehrles Lösung nicht nur ethisch fundiert, sondern auch realistisch und praktisch umsetzbar, was sie von den anderen Analysen unterscheidet. Gerne zeichnen wir ihn mit einem Exemplar «Xenophon’s Cyrus the Great – The Arts of Leadership and War» von Xenophon, mit Editor Larry Hedrick aus und möchten uns bei allen Teilnehmenden für ihre angeregten Einsendungen bedanken.

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Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #8

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #8

Szenario

Um 1100: Kaum 30’ im Bereitschaftsraum BERN-BETHLEHEM angekommen, erhält Ihre Kompanie (Pz Gren Kp 14/3) vom Kommando des Mech Bat 14 die Meldung, dass der Gegner die Frontlinie im JURA an mehreren Stellen durchbrochen hat und mit seinen Aufklärungsspitzen bereits vor 2h den JURA-SÜDFUSS bei NEUENBURG erreicht hat.

Somit ist die schlimmste aller gegnerischen Entwicklungsmöglichkeiten eingetroffen. Offensichtlich beabsichtigt der Gegner mit einem raschen Stoss durchs SEELAND, einerseits über den SAANEGRABEN mit 2-3 Kampfbataillonen nebeneinander Richtung BERN zu stossen und andererseits in gleicher Stärke bei AARBERG die AARE zu überschreiten und durchs LYSSBACHTAL Richtung MOOSEEDORF zu stossen, um das politische Zentrum BERN von Nord und Süd zu umfassen.

Das Mechanisierte Bataillon 14 hat als Frontverband vor kurzem den Bereitschaftsraum BERN erreicht, während die restlichen Kräfte der Brigade im Raum BERNER OBERLAND die Einsatzbezogene Ausbildung abgeschlossen haben und die Marschbereitschaft erstellen. Aufgrund der jüngsten Lageentwicklung erhielt das Mechanisierte Bataillon 14 die Aufgabe, den gegnerischen Vorstoss Richtung BERN für 5-7h zu verzögern und das Ausbrechen gegnerischer Kräfte über THÖHRISHAUS Richtung BELPMOOS verhindern, um dadurch günstige Voraussetzungen für Folgekräfte der Brigade zu schaffen und gleichzeitig den Zusammenschluss gegnerischer Kräfte SE von BERN und damit die Einkesselung der Hauptstadt zu verhindern.

Um 1110: Der Gegner befindet sich nach neusten Meldungen mit seinen Spitzen in der Stärke von 2 Mechanisierten Infanteriekompanien im Raum MURTEN – SEELAND. Es wird erwartet, dass der Gegner innerhalb der nächsten Stunde mit 1-2 Kompanien in Front über GURMELS an die SAANE stossen wird, um nach einer Feuervorbereitung die SAANE einerseits bei LAUPEN und anderseits im Norden via SAANEVIADUKT (A1) sowie bei GURMES überschreiten und innerhalb weiterer 2h nach BERN-BRÜNNEN und an die A12 weiterzustossen wird.

Sie sind Zugführer AMBOS der Panzergrenadierkompanie 14/3 (CHARLIE). Ihr Zug wurde als Spitzenverband vor 5’ (Auslösung erfolgte um 1125) in Marsch gesetzt.

Aktuell fahren Sie als Spitzenzug von BERN BETHLEHEM in Süd-West Richtung bei NIEDERWANGEN auf die A12, um bei LAUPEN als Teil der CHARLIE Kompanie das Übersetzen des Gegners über die SAANE für mindestens 4h zu verhindern (gemäss Kompaniekommandant erfolgen detailliertere Befehle vor Ort).

Um 1130: Der Gegner hat die SAANE bei GÜMMENEN mit Aufklärungskräften in Zugsstärke überschritten. Die vorgesetzte Stufe erkennt ein Verlagern des Schwergewichts des gegnerischen Stosses entlang der Achse MÜHLEBERG – FRAUENKAPPELEN.

Der Gegner hat zudem Mechanisierte Infanterie im Raum Westlich SAANE-GRABEN bei GÜMMENEN zusammengezogen. Es ist davon auszugehen, dass er innerhalb der nächsten Stunde mit mindestens 1 Mechanisierten Infanteriekompanie zum Stoss über MÜHLEBERG Richtung BERN ansetzt.

Für die Kompanie CHARLIE geht es darum, den Gegner zwischen MÜHLEBERG und FRAUENKAPPELEN für 4-5h zu verzögern, damit sich unser Bataillon im Raum BERN BETHLEHEM sowie entlang der A12 zur Verteidigung einrichten kann.

Gegner

Zwei Mechanisierte Infanteriekompanien; genaue gegnerische Mittel sind noch unbekannt.

Eigene Mittel

Als Zugführer AMBOS in der Kompanie CHARLIE verfügen Sie über folgende Mittel:

2 Panzergrenadier-Patrouillen, also 4 Panzergrenadier-Gruppen mit je:

  • 1 Schützenpanzer CV 90
  • 2 RGW
  • 2 LMg sowie
  • 3x Trichter-Sprengladungen 88

Zudem stehen Ihnen als Zugführer Drohnenteam 3 Mini-UAVs mit je einer Autonomie von 15’ zur Verfügung.

Auftrag

Per Funk erhalten Sie den folgenden Auftrag – Sie befinden sich noch in der Annäherung:

Zug AMBOS

  • sperrt innerhalb der nächsten 1h im Raum zwischen ALLENLÜFTEN und HEGGIDORN und verhindert einen gegnerischen Stoss entlang der Überlandstrasse südlich von STOCKERE für mindestens 1h-2h ohne sich dabei mit dem Gegner zu verzahnen.
  • Hält sich bereit anschliessend in den Raum NIEDERBOTTIGEN auszuweichen und sich im Raum BERN-BRÜNNEN als Verfügungsverband bereitzuhalten.

Besondere Anordnungen:

Die Kompanie CHARLIE erhält für die kommenden 2h die Feuerpriorität der unmittelbaren Feuerunterstützung durch die 12cm Mörserkompanie 14/5. Da für diese Lageentwicklung kein Feuerführungskonzept erstellt wurde, müssen die Feuerräume auf Stufe Zug ausgeschieden werden und mittels ARTUS-Verfahren (Angabe von Ziel-Zweck-Zeit) geführt werden.

Umwelt

Der Kartenausschnitt ALLENLÜFTEN – HEGGIDORN ist für Ihre Befehlsausgabe ausreichend. Für das Gesamtverständnis lohnt sich jedoch ein Blick auf die Landeskarte 1:50’000 (https://map.geo.admin.ch/#/map?lang=de&center=2587119.13,1200345.31&z=6.2).

Fragestellung

  • Fassen Sie einen Entschluss für die Sperre ALLENLÜFTEN.
  • Halten Sie sich bereit Ihren Panzergrenadierzug aus dem Marsch zu befehlen.
  • Beachten Sie, sich nicht mit dem Gegner zu verzahnen, um sich Richtung Osten absetzen zu können.
  • Planen Sie das zur Verfügung stehende Bogenfeuer effektiv ein.

Sie können Ihre Antwort entweder als Skizze – basierend auf dem Kartenausschnitt – einreichen oder im Wortlaut der Funkmeldung an ihre unterstellten Gruppenführer.

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #8

Zum Decision Game vom August haben uns vier Einsendungen erreicht – der beste Rücklauf auf ein taktisches Problem soweit, mit erfreulichem Resultat: Es sind vier Lösungen mit verständlichen, kompakten Aufträgen – zusätzlich jeweils mit Kartenausschnitten visualisiert.

Eindrücklich ist dieses Mal, dass die vier Lösungen sich ausgesprochen ähnlich sind. Alle Lösungen sehen den Einsatz von Panzerwarnern im Vorgelände vor – sei es durch eine Patrouille oder durch Drohne; hier wurde das Handwerk verstanden und es wird bei den Zeitverhältnissen über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Sämtliche vier Lösungen sehen eine Staffelung von mehreren Sperren vor, dabei jeweils die erste frühestens auf Höhe ALLENLÜFTEN, spätestens auf Höhe Eintritt Hauptstrasse in den Wald; die letzte frühestens bei Punkt 673 und spätestens am Ortsrand HEGGIDORN. Der Raum dazwischen wird von drei Einsendungen für eine dritte Sperre genutzt, die vierte nutzt den Raum OBERE LEDI als Bewegungsraum für einen Gegenangriff.

Das Mörserfeuer wird verschiedentlich gehandhabt, eine Einsendung weist drei Feuerräume aus, eine andere vier, eine definiert elf Planfeuer, darunter auch Niederhalten als Linienziel – offensichtlich ist hier die Umschulung auf die neuen Schiessverfahren bereits erfolgt. Die weiteren Unterschiede sind marginal, die Funksprüche sind allesamt kompakt, Sofortmassnahmen werden angeordnet – mit diesen vier Autoren könnten die vier Gefechtskompanien eines Bataillons geführt werden.

Lösungsskizze Decision Game #8

Welcher der Ansätze zielführend ist, könnte abschliessend wohl nur im Gelände beurteilt werden, aber es handelt sich um einen Kartenentschluss – und entsprechend ein Kartenurteil. Von den vier Einsendungen präferiere ich die, welche sämtliche Sperren weiter östlich als die anderen eingeplant hat. Ich sehe darin verschiedene Vorteile: die Gefahr einer Verzahnung oder gar Umfassung in ALLENLÜFTEN ist reduziert und das Potential des «Feuersacks» mit dem natürlichen Stauraum im Wald dürfte sich wesentlich besser entfalten, wenn der Gegner erst in den Raum hineingelassen wird. Der Preis für diese Lösung geht entsprechend erneut an Hptm Raphael Iselin, welcher sich bereits im Juni mit seiner Handlungsempfehlung behaupten konnte. Er erhält das Exemplar «Strategie – Die Logik von Krieg und Frieden» von Edward Luttwak zugestellt. Das Prinzip Feuersack kann übrigens noch weitergedacht werden, wie die Lösung in der Abbildung oben zeigt. Diese stammt jedoch vom Autor und wird deshalb nicht prämiert.

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Leader's Digest Leader's Digest #7 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #7

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #7

Szenario

In der Schweiz wird eine grosse Konferenz durchgeführt. Der militärische Einsatzleiter ist erkrankt und als sein Stellvertreter übernehmen Sie nun die Führungsverantwortung. Obwohl Sie in der Vorbereitung involviert sind, sind Sie mit der hierarchischen Organisation mit 27 Direktunterstellten nicht glücklich und überlegen sich, auch aufgrund der Informationen aus «Power to the Edge», einen neuen Ansatz.

Fragestellung

  • Welche Struktur sehen Sie vor?
  • Welche Grundüberlegungen sind wegweisend für ihre Entscheidung?
  • Wie stellen Sie Führung und Kontrolle sicher?
  • Wie müssen Sie kommunizieren und wie schaffen Sie es, dass Entscheidungen an den Rändern gefördert werden?
  • Gibt es kurzfristige Änderungen im Mindset, die Sie provozieren müssen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #7

Zum Decision Game vom Juli hat uns eine Einsendung erreicht. Sie sehen also, dass die Gewinnchance bis zu 100% betragen kann.

Die Einsendung ist anhand der gestellten Fragen strukturiert, weshalb ich (Patrick Hofstetter) sie auch entsprechend diskutiere.

Welche Struktur sehen Sie vor?

Der Einsender weist darauf hin, dass es im realen Leben wohl zu spät ist. Tatsächlich hängt die Frage, ob eine Transformation sich auszahlt, nicht nur davon ab, wie gross der finale Nutzen sein wird, sondern auch, für wie lange von diesem profitiert werden kann und wie gross der Transformationsaufwand ist. In einem laufenden Rennen sollte man selten die Pferde wechseln – es sei denn, das Pferd ist lahm, eine Alternative kann einfach eingewechselt werden und das Rennen dauert noch lange.

Davon abgesehen betont der Einsender, dass er am liebsten mit der flachen Hierarchie arbeiten würde, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass in den unteren (taktischen) Stufen hocherfahrene Kommandanten, zivile Chefs fest mit ihren Einheiten und Kompetenzen verankert sind. Auch dem ist nicht zu widersprechen. Tatsächlich weist es auf eine Schwäche in der Aufgabenstellung hin: Ob und welche Struktur (Management) erforderlich ist, hängt massgeblich davon ab, welcher Auftrag (Command) damit zu erfüllen ist und mit welchen Menschen (Leadership) ich das tun kann. Der Einsender führt das weiter aus in der Antwort auf die folgende Frage:

Welche Grundüberlegungen sind wegweisend für ihre Entscheidung?

Sein Urteil lautet, je komplexer die Aufgabe, desto flacher müsse die Hierarchie sein, denn «nur wenn sehr erfahrene Chefs […] so tief unten wie möglich und somit rasch Situationen lösen können und dürfen, generiert dies auf der oberen und obersten Führungsstufe die nötige Ruhe um sich um ihre Bereiche zu kümmern.» So formuliert ist dies ein Bekenntnis zu den Grundsätzen der Auftragstaktik, dem auch die Redaktion nur beipflichten kann. Dies kommt auch in der nächsten Antwort zur Geltung:

Wie stellen Sie Führung und Kontrolle sicher?

Hier verweist der Einsender erneut auf die Erfahrung der Direktunterstellten als Grundlage und stellt eine spannende Gegenthese zum vielgehörten Glaubenssatz auf: «Information ist Bringschuld». Er versteht das im Sinne einer dienenden Grundhaltung der Vorgesetzten, der ich mich voll und ganz anschliessen kann, mit einer Nuance: Ich würde darauf verzichten, diesbezüglich auf die inflationär verwendeten, modisch oszillierenden, inhaltlich irreführenden und empirisch widerlegten «Positive Leadership Styles» wie Servant (oder Authentic, Charismatic, etc) Leadership zu verweisen. Wichtig bleibt allerdings, dass gepaart mit flacher Hierarchie Chef und Stab ausreichend Zeit haben, um die Direktunterstellten und die Einsatzkräfte zu unterstützen.

Wie müssen Sie kommunizieren und wie schaffen Sie es, dass Entscheidungen an den Rändern gefördert werden?

Diese Antwort alleine hätte den Preis verdient: «Erfahrung ist nichts anderes als langjährige Funktion in derselben Stelle. Im Gegensatz zu den Blaulichtorganisationen wechseln wir in der Armee viel zu schnell unsere Verantwortungsbereiche. Ein Kommandant sollte mindestens acht Jahre in seiner Funktion verweilen. Die Kettenreaktion spiegelt sich in den Stäben.» Tatsächlich wurde ich schon gefragt, weshalb ich «erst» mit 40 Jahren Bataillonskommandant wurde. Generell scheint mir, dass wir vielerorts Laufbahnen mit Wettrennen verwechseln. Mit jedem zusätzlichen Jahr, dass ich auf der Führungsstufe (n-1) verbracht habe, werde ich in der Führungsstufe n automatisch besser sein. Dies gilt nicht nur für die Milizkader, sondern in ganz besonderem Masse für die Berufsmilitärs. Die Einsatz- und Laufbahnsteuerung denkt nach wie vor in Kategorien, als der Instruktor ein Zweitberuf war, der vielleicht von 30 bis 58 ausgeübt wurde. Heute verlassen Berufsmilitärs nicht nur MILAK und BUSA früher, sie werden auch (mindestens) bis 65 arbeiten. Diese Verlängerung der Laufbahn um rund 50% könnte zum Anlass genommen werden, die Verwendungen um mindestens 50% zu erstrecken – wobei es schon reichen würde, die angestrebten Kommandierungen zeitlich auszuschöpfen. Der Einsender weist die Vorteile vor, denen ich vollumfänglich zustimme: Fähigkeiten werden solider aufgebaut, mit steigender Erfahrung verringert sich der Aufwand, wächst das Vertrauen, stärkt sich die Bindung zu den Unterstellten, verbessert sich die Qualität der Arbeit und – vor allem: entsteht Ruhe im System.

Gibt es kurzfristige Änderungen im Mindset, die Sie provozieren müssen?

Auch hier stimme ich dem Einsender zu: «Kurzfristig geht das kaum. Der Wechsel von klassischer Karriere zu bedachtsamem Aufsteigen durch Bewährung braucht viel Zeit und enorme Überzeugungsarbeit.»

Auch das ist Führung, und zwar Personalführung sowohl auf organisatorischer Ebene (Human Resource Management) als auch auf zwischenmenschlicher Ebene (Leadership). Beides sind Voraussetzungen, damit wir unsere Lücken im Command schliessen können.

Fazit

Für seine Einsichten hat Maj Philipp Scherrer sein Buch wohlverdient: Ich freue mich, ihm ein Exemplar von «Power to the Edge: Militärische Führung im Informationszeitalter» von David S. Albert und Richard E.Hayes zukommen zu lassen. Alle Leserinnen und Leser sind herzlich eingeladen, für das laufende und weitere Decision Games von den exorbitanten Gewinnwahrscheinlichkeiten zu profitieren. Viel Spass!

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Leader's Digest Leader's Digest #6 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #6

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der diskussionswürdigsten Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #6

Szenario

Die Schweiz befindet sich im Krieg. Gegnerische mechanisierte Verbände haben die Landesgrenze überschritten, ein Oberbefehlshaber der Armee wurde von der Bundesversammlung gewählt. Ein erster Angriff wurde vor wenigen Wochen gestoppt, dem Gegner ist es jedoch gelungen, einen Brückenkopf in ST. GALLEN, W begrenzt durch die SITTER, zu sichern. Der Militärische Nachrichtendienst geht davon aus, dass in den nächsten Tagen ein Ausbruch entlang der Hauptstrasse 7, parallel zur zerstörten A1, erfolgen wird.

Durch einen raschen und teilweise improvisierten Aufwuchs wurden die Armeebestände in den letzten Monaten mehr als verdoppelt. Dazu wurden Freiwillige, in erster Linie ehemalige Armeeangehörige, in Leichten Bataillonen zusammengefasst, von denen jeweils zwei die bestehenden Infanteriebataillone zu Regimentern verstärken. So auch das neu gebildete Gebirgsinfanterieregiment 29, das den oben beschriebenen Ausbruch mit seinen drei Bataillonen verhindern soll.

Darin hat das Gebirgsinfanteriebataillon 29 den Auftrag erhalten, den gegnerischen Stoss durch GOSSAU zu verhindern. Das Leichte Infanteriebataillon 72 verzögert den Übertritt über die SITTER im Raum ABTWIL – WINKELN, das Leichte Infanteriebataillon 86 verhindert die Umgehung über HERISAU.

Gegner

Als Gegner der ersten Staffel wird mit einem Mechanisierten Infanterieregiment gerechnet, das aus drei Infanteriebataillonen (jeweils 41 BMP-2) und einem Panzerbataillon (31 T-80U) besteht.

Eigene Mittel

Sie sind Kompaniekommandant der Gebirgsinfanteriekompanie 29/1. Zusätzlich zu Ihren drei Gefechtszügen mit jeweils vier Gruppen, die mit dem üblichen Gerät (1 Mg 12.7mm pro Zug, zusätzlich pro Gruppe 2 LMg 5.6mm, 2 Granatwerferaufsätze, 2 Zielfernrohre) und hinreichend Munition ausgerüstet sind, wurden Ihnen vor einigen Wochen zwei «leichte Züge» unterstellt. Diese bestehen jeweils aus rund 30 Freiwilligen, mehrheitlich ehemalige Armeeangehörige, Durchschnittsalter 40 Jahre, gestandene Bürgerinnen und Bürger mit variierender Fitness und variierender Militärerfahrung – vom Zivildienstler bis zum ehemaligen Kommandanten einer Füsilierkompanie. Sie sind mehrheitlich mit dem Sturmgewehr 90 bewaffnet, häufig aber auch mit dem Sturmgewehr 57 und vereinzelt mit Maschinengewehren und Maschinenpistolen aus Privatbesitz. Ferner ist Ihnen ein Spähertrupp zugewiesen, der in 1. Priorität über die Feuerkompetenz eines 8.1cm Mörserzugs verfügt. 12cm Bogenfeuer kann angefordert werden, ist jedoch nur auf Stufe Regiment verfügbar. Die bataillonseigene Drohnenwerkstatt stellt täglich rund 10 Drohnen her, die auf die Kompanien verteilt werden.

An Fahrzeugen sind 4 Geschützte Mannschaftstransportfahrzeuge GMTF, 4 Radschützenpanzer 8×8 Piranha II, 4 Lastwagen DURO und 1 Kommandoradschützenpanzer 6×6 (ohne FIS HE) verfügbar. Die weitere Mobilität wird durch Zivilfahrzeuge (Minibusse, Pickups, aber auch Bagger) sichergestellt, deren Requisition der Bataillonskommandant als Ortskommandant bereits angeordnet hat.

Auftrag

Auftrag Gebirgsinfanteriekompanie 29/1: Verhindert gegnerischen Stoss durch GOSSAU nördlich des DORFBACHS.

Aufträge der Nachbarkompanien:

Gebirgsinfanteriekompanie 29/2: Verhindert gegnerischen Stoss durch GOSSAU südlich des DORFBACHS, hält sich bereit Flanke aus Richtung HERISAU zu schützen.

Gebirgsinfanteriepanzerabwehrkompanie 29/3: Nutzt Gegner im Raum METTENDORF – MOOSWIES ab und kanalisiert ihn.

Fragestellung

  • Wie bereiten Sie die Ortschaft vor, wenn Sie 72h haben?
  • Wie positionieren Sie Ihre 5 Züge?
  • Welche Anträge stellen Sie betreffend Kanalisierung im Vorgelände (Kompanie 3) im Rahmen des taktischen Dialogs mit dem Bataillonskommandanten?

Als Lösung genügt eine Skizze mit Stichworten. Dazu sei an Brigadegeneral Gideon Avidor (IDF) erinnert: «During the Yom Kippur War, I served as a G3 officer at 252nd Divison Headquarters. In the course of twenty-three days of fighting, not a single written command was issued. All the battles, including crossing the Suez Canal, were conducted by means of graphic orders or orders issued over the radio».

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #6

Zum Decision Game vom Juni haben uns zwei Einsendungen erreicht. Die beiden Lösungen zeigen, dass sowohl eine akribische Beurteilung der Lage als auch eine pragmatische Analyse im Tischset-Format zu brauchbaren taktischen Entschlüssen führen.

Das vorliegende Szenario zeigt erneut, dass taktische Fragestellungen eine höhere Eintrittshürde mit sich bringen als ethische. Dies mag an der Vielfalt der Möglichkeiten liegen oder daran, dass es um unsere taktische Handlungssicherheit schlecht gestellt ist. Trotzdem haben uns zwei Einsendungen erreicht, die zeigen, dass durch eine gründliche Analyse und taktisches Denken klare Handlungsempfehlungen entwickelt werden können und dass hierzu das Format eines Tischsets ausreichend ist. Im Folgenden werden wir die verschiedenen Ansätze betrachten und ihre Stärken sowie Schwächen herausarbeiten.

Croquis von Mitterer/Walser

Gemeinsam ist beiden Einsendungen, dass sie den Gegner auf der Hauptstrasse 7 kanalisieren und dort vernichten wollen – mit entsprechenden Begehren an die Geb Inf Pzaw Kp 29/3 im Vorabschnitt. Die beiden Einsendungen schlagen dazu zwei naheliegende, aber unterschiedliche Aufstellungen der drei regulären Infanteriezüge vor, ich nenne sie hier «HINTEREINANDER» und «NEBENEINANDER».

In der ersten Variante sollen entlang der Hauptachse zwei Züge hintereinander aufgestellt werden, mit einem dritten Zug in der nördlichen Flanke, der sich für Gegenangriffe vor die jeweiligen Sperren bzw. Stützpunkte bereithält. Stärke dieser Variante ist die Freiheit des Handelns mit einem gut positionierten Zug für offensive Aktionen, Schwäche ist die Sicherheit, da auf eine seitliche Flankierung nördlich oder südlich der Hauptachse schlechter reagiert werden kann sowie die Problematik, dass bei einer Aufstellung hintereinander der Frontverband aus psychologischen Gründen wohl zu einer weniger hartnäckigen Kampfführung neigen dürfte – schliesslich weiss man ja die Sicherheit der Kameraden hinter sich. Dennoch kann diese Lösung durchaus als innovativer Ansatz gelesen werden.

Die alternative Variante ist die Anwendung des Einsatzverfahrens der Infanterie «Kampf in einer Sperrstellung im überbauten Gelände». Hier sind durch zwei Züge nebeneinander Stützpunkte auf zwei benachbarten Kreuzungen zu platzieren, mit einem dritten Zug rückgelagert, der sich wahlweise für eine Schwergewichtsverlagerung Richtung Süden oder Norden sowie für offensive Aktionen bereithält. In sich scheint mir dieser Ansatz, basierend auf der Geländeanalyse, passender, da der Gegner mehrere Parallelstrassen zur Hauptstrasse nutzen kann, die alleine durch passive Hindernisse nicht zu halten wären.

Zusätzlich zu den 3 regulären Zügen waren 2 Leichte Züge aus Freiwilligen verfügbar. Beide Einsendungen bilden daraus Züge in Abhängigkeit der Fähigkeiten der Freiwilligen. Die Fitteren werden in der einen Lösung den bestehenden Zügen zur Verstärkung zugeteilt, in der anderen Lösung für den Flankenschutz HOFEGG sowie Aufklärung und Abnützung im Vorgelände. Die weniger Fitten werden jeweils für logistische Zwecke und Eigenschutz eingesetzt.

Interessant ist zudem der Hinweis einer Einsendung, dass die Anhöhe SONNENBERG ausserhalb des eigenen Raums dem Gegner Feuerpodeste für Panzer bietet, was einen Antrag zur Raumerweiterung zur Folge hätte. Damit müsste sogar die Regimentsabschnittsgrenze erweitert werden, was aber mit Blick auf das taktisch zusammenhängende Gelände tatsächlich angebracht ist.

Darüber hinaus wäre viel Gutes in beiden Varianten anzumerken und nur wenige Lücken. Auffällig ist etwa, dass beide darauf verzichten, die Brücken über den DORFBACH zu zerstören oder zumindest mit Hindernissen zu blockieren. Der Bataillonskommandant dürfte dabei allerdings mitschuldig sein, hat er doch die Kompanieabschnittsgrenze dem DORFBACH entlang gelegt, so dass sich keiner für die Übergänge verantwortlich fühlt. Dies müsste zwingend in der Bewegungs- und Hindernisführung auf Stufe Bataillon bereinigt werden.

Die Gesamtbeurteilung hängt nun von den Kriterien ab. Um das Engagement der wenigen taktisch Aktiven zu würdigen, entscheiden wir uns dieses Mal – und als Anreiz: wer weiss, vielleicht auch in Zukunft – zweierlei zu prämieren. Hptm Raphael Iselin gewinnt für den taktisch stärkeren und stringent begründeten Entschluss. Hptm Lukas Walser und Oblt Anna Mitterer haben mit Ihrer gemeinsamen Einsendung überzeugt, indem sie ihre prägnante und grafisch konzise Entschlussfassung auf dem Format «Tischset» konzentrierten. Damit soll unterstrichen werden, dass im Gefecht Einfachheit in Entschluss und Befehl ebenso relevant ist wie die taktische Güte. Wir gratulieren allen drei zum Gewinn des Tactical Decision Game #6 und wünschen ihnen viel Spass bei der Lektüre «Hammerstein oder der Eigensinn» von Hans Magnus Enzensberger. Unser Dank gilt auch all jenen Teilnehmern, die diese bei anderer Gelegenheit mit ihren Kameradinnen und Kameraden diskutiert haben.

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Leader's Digest Leader's Digest #5 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #5

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das letztmalig vorgestellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der diskussionswürdigsten Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #5

Szenario

Während einer aussenpolitisch angespannten Lage zwischen zwei Staaten lancieren unabhängige Terroristen eine umfangreiche False-Flag-Cyber-Operation: Politisch motiviert manipulieren sie Wahldaten, fluten soziale Medien mit Bots und führen GPS-Spoofing-Attacken durch.

Die Terroristen handeln so, um die Sensoren und Frühwarnsysteme beider Staaten zu stören. In beiden Staaten werden auf diese Weise Warnmeldungen ausgelöst, die nicht richtig zugeordnet und fälschlicherweise dem jeweils anderen Staat zugeschrieben werden. Es gibt keine zuverlässigen Belege, welche die zwischenstaatlichen Anschuldigungen widerlegen und eine Deeskalation bewirken könnten. Beide Staaten weisen jegliche Verantwortung von sich und sehen die jeweils andere Seite in der Verantwortung.

Die Vorgänge werden beiderseits als Auftakt präemptiver militärischer Massnahmen bewertet, weshalb beide Seiten Cyberattacken auf konventionelle C3-Netzwerke (Command, Control & Communications) durchführen. Die militärstrategischen Planungsvorgänge nutzen KI-basierte Expertensysteme zur Unterstützung. Diese Expertensystem schlagen dann aufgrund der Datenlage und mittels Vergleiche mit früheren bewaffneten Konflikten in anderen Ländern eine Reihe konventioneller militärischer Vorgehensweisen vor, um als konventionelle Erstschläge Abwehreinrichtungen, Kommunikations- und Rechenzentren im jeweils anderen Land anzugreifen. Um die eigene Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen, werden eine Reihe von Abwehrmassnahmen und konventionellen Vergeltungsschlägen gegen kritische Infrastrukturen der Gegner einem KI-Algorithmus übertragen, der diese Massnahmen bei gegnerischem Angriff koordiniert und autonom umsetzt.

Sie sind Kompaniekommandant. Gemeinsam mit Ihren Truppen sind Sie an der Grenze stationiert und haben den Auftrag, eine kritische Infrastruktur im grenznahen Ausland zu beobachten, und Belege für verdächtige Vorgänge zu sammeln. Aufgrund Ihrer etwas erhöhten Position haben Sie und Ihre Truppen Einsicht auf die Kritische Infrastruktur ohne die Grenze überschreiten zu müssen.

Es häufen sich die Hinweise auf eine bevorstehende Sabotageaktion von unbekannten Akteuren. Zudem häufen sich die Gerüchte in den sozialen Kanälen, welche in der Truppe weit verbreitet sind, dass der Konflikt ursprünglich von unabhängigen Terroristen angezettelt wurde und diese die Eskalation nun weiter vorantreiben wollen. Unter den Offizieren im ganzen Bataillon macht sich die Vermutung breit, dass solche unabhängigen Terroristen die Kritische Infrastruktur sabotieren wollen, um die Eskalation hin zum Krieg zu bewirken.

Mitten in der Nacht werden Sie als Kompaniekommandant von dem nun sichtlich aufgeregten Leutnant Hauser, Zugführer BIVIO, informiert, dass eine Sabotageaktion auf die beobachtete Kritische Infrastruktur im Nachbarstaat vorbereitet wird. Leutnant Hauser informiert, dass er mit seinem Zug bereit ist und schlägt vor, mit seinem Zug jetzt einzugreifen und somit den Sabotageversuch zu verhindern zu versuchen.

Seit einigen Stunden ist der Kontakt zur vorgesetzten Stufe abgebrochen. Dies ist in den vergangenen Monaten regelmässig passiert und sehr wahrscheinlich auf gegnerische Operationen zurückzuführen, die bis anhin allerdings ebenso wenig nachgewiesen werden konnten. Jedenfalls scheinen Sie keine Möglichkeit zu haben, die Ansicht Ihres vorgesetzten Kommandanten oder gar eine rechtliche Einschätzung des Grossen Verbandes zu erhalten

Fragestellung

  • Welche Gründe sprechen für und welche gegen ein Eingreifen von Ihnen als Kompaniekommandant?
  • Schätzen Sie, dass Ihr Eingreifen als regulärer Kriegseintritt gewertet werden könnte?
  • Wann wurde bzw. wird Ihrer Einschätzung nach die Schwelle hin zum regulären Krieg überschritten?
  • Wie handeln Sie im Anbetracht dieser Überlegungen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #5

Zum Ethical Decision Game vom Mai haben uns wiederum erfreuliche sechs Einsendungen erreicht, welche auf das Dilemma mit verschiedenen Herangehensweisen reagieren.

Kern des ethischen Dilemmas ist die Frage, ob von einem Auftrag und erhaltenen Auflagen abgewichen darf, um mutmasslich Schlimmeres zu verhindern. Verschärft wird die Situation einerseits durch die beschriebenen Automatismen aufgrund der Verwendung von Künstlicher Intelligenz und andererseits durch eine regelrechte Verschachtelung von Ungewissheiten: greifen die Terroristen die Kritische Infrastruktur im Nachbarland an, um zum Krieg zu eskalieren? Ist es das Nachbarland selbst, das mit einer False Flag Operation einen Vorwand zur Eskalation schaffen will? Handelt es sich um eine Falle, um uns zur Intervention zu verleiten, die wiederum als Vorwand zur Eskalation genutzt werden kann – oder verhindern wir durch unser Eingreifen gerade die Eskalation?

Der betroffene Kompaniekommandant muss aufgrund der unterbrochenen Verbindung zur vorgesetzten Stufe (ist das ein Hinweis für oder gegen eine False Flag-Operation?) auf Basis unvollständiger Informationen entscheiden. Die Ethik lehrt, dass er nicht nur für seine Handlungen, sondern auch für seine Unterlassungen verantwortlich ist. Aus dieser Perspektive ist das Argument «ich habe keinen Auftrag zur Intervention erhalten» nicht hinreichend. Dass solche Situationen keineswegs nur fiktiv sind, zeigt die Geschichte des sowjetischen Oberstleutnants Stanislaw Petrow, der 1983 möglicherweise einen Nuklearkrieg verhinderte.

Die Einsendungen listen gewissenhaft die Gründe für und gegen die Intervention auf: Eine solche könnte zum Spannungsabbau beitragen, als guter Wille gedeutet werden, vertrauensbildend wirken und gar – je nach Art der Infrastruktur – Schaden von der Zivilbevölkerung abwehren und schliesslich einen Krieg verhindern. Andererseits ist die kinetische Grenzüberschreitung als Verstoss gegen die territoriale Integrität des Nachbarstaates eine Provokation an sich, die eigene Truppe wird gefährdet, die eigenen Mittel sind womöglich nicht ausreichend, es besteht eine Irrtumswahrscheinlichkeit und, wie bereits erwähnt, ist die Intervention nicht Teil des Auftrags.

Entsprechend divers sind die Vorschläge: Ein Leser will sich nicht festlegen, einer greift ein, zwei greifen nicht ein, ein weiterer greift nicht ein, will aber einen Grenzposten im Nachbarland informieren. Was wollen wir daraus als Führungskräfte lernen – abwarten und auf die richtige Intuition hoffen?

Mehrere haben den Hinweis integriert, dass mittels Wargaming und Eventualplanungen vergleichbare Situationen durchaus antizipiert werden könnten und man solche Entwicklungen mit der vorgesetzten Stufe hätte besprechen müssen. Das ist sicher eine wichtige Lektion zum Mitnehmen, doch ein Konjunktiv reicht noch nicht für den ersten Platz.

Deshalb geht dieser an den Leser, der in kreativer Weise eingreift, indem er mit Beleuchtungsgranaten – «am besten Infrarot» – auf die drohende Sabotage aufmerksam macht. Für diesen Vorschlag mit der schlüssigen Begründung «Wenn meine Kompanie in solcher Grenznähe, nahe einer gegnerischen Kritischen Infrastruktur zur Überwachung eingesetzt wird, wird das auch der Gegner bereits wissen und beobachten, was wir tun.» gebührt Hptm Thierry Widmer der Sieg. Der Preis, das Buch «The AI Commander» von James Johnson, wird ihm persönlich überreicht.

Weiterführende Links

Falls Sie sich noch mit mehr Decision Games beschäftigen wollen, so finden Sie unter folgendem Link eine ausgiebige Sammlung von Tactical Decison Games: https://www.mca-marines.org/wp-content/uploads/Mastering-Tactics.pdf.

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Leader's Digest Leader's Digest #4 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #4

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Maj Philipp Scherrer erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #4

Szenario

Gegner

In der Schweiz ist es zu Kampfhandlungen im Verteidigungsraum gekommen. Im rückwärtigen Raum stören und binden irreguläre Kräfte unsere Verbände mit schweizweit täglich weit über 50 Anschlägen.

Die irregulären Kräfte sind auf Tageslicht angewiesen und wählen bewusst die «Hit and Run»-Taktik: Dabei werden unsere Kräfte auf grösstmögliche Distanz beschossen und der Gegner zieht sich zurück, bevor auf den Beschuss reagiert werden kann.

Das Hauptziel des Gegners ist dabei nebst dem Zufügen von Verlusten von Menschen und Material insbesondere das Untergraben der Moral der Truppen und somit die Aushöhlung deren Wehrwillens.

Als favorisierte Ziele solcher Anschläge gelten ungepanzerte Fahrzeuge und einzelne stehende Angehörige der Armee.

Zusätzlich zu den Anschlägen auf eigene Truppen wird auch zivile Infrastruktur vermehrt durch gegnerische weitreichende Artillerie beschossen.

Eigene Mittel

Sie sind seit einigen Monaten Gruppenführer und konnten in der Zeit ein starkes Team formen. Der Umgang ist kameradschaftlich und professionell zugleich. Es haben sich gradunabhängig echte Freundschaften entwickelt; etwa zwischen Ihnen und Fabio, einem Ihrer Soldaten.

Ihre Gruppe verfügt über einen gepanzerten Personentransporter (GMTF). Nebst der Besatzung des Gefechtsfahrzeugs und fünf Sturmgewehr (Stgw)-Schützen verfügen Sie über einen Stgw-Zielfernrohr (ZF)-Schützen und einen Leichten Maschinengewehr (LMg)-Schützen.

Auftrag

Sie haben den Auftrag, das Abladen von Verpflegung und Sanitätsmaterial am Bahnhof WALENSTADT zu sichern. Mit diesem Material soll die notleidende Bevölkerung der umliegenden Dörfer versorgt werden.

Zur Sicherung haben Sie den ZF-Schützen zusammen mit dem LMg-Schützen im Dachstock des Restaurants Churfirsten Stellung beziehen lassen. Die Verbindung steht. Das Binom hat mit den Restlichtverstärkern gut Einblick über das taktisch zusammenhängende Gelände. Insbesondere der Zu- und Austritt nach Osten (die von Ihnen als am gefährlichsten beurteilte Geländekammer), kann gut eingesehen werden. Sie sitzen mit Fabio gemeinsam im GMTF. Alle weiteren AdA stehen gut geschützt in Rufweite und sichern die näheren Zu- und Austritte.

Umwelt

Das Abladen der dringend benötigten Güter hätte bis 1h vor Beginn der Dämmerung abgeschlossen sein sollen (0545). Doch die Einfahrt des Zuges verzögerte sich aufgrund von Artilleriebeschuss.

Es ist jetzt 0715 und hell. Mehrere Passanten flehten Sie schon zu Beginn an, das Abladen nicht abbrechen zu lassen, so wie es in den letzten Wochen vermehrt geschah. Ihr Kommandant gab Ihnen freie Hand, selber und situativ über die Durchführung des Auftrags zu entscheiden.

Unmittelbare Situation

Sie haben sich bereits an diese seltsame Mischung aus Anspannung und Routine, Aufmerksamkeit und Müdigkeit – es ist das Ende einer Nachtschicht – gewöhnt. Wahrscheinlich deshalb sprechen Sie nur Weniges und Belangloses. Fabio meint, dass er das GMTF jetzt unbedingt für ein kurzes persönliches Bedürfnis verlassen müsse. Sie denken sich nichts dabei, schliesslich ist das Abladen bis jetzt ruhig verlaufen. Wenige Meter vor dem Busch bricht ein Schuss und Fabio fällt aufschreiend zu Boden. Der Bereich seiner Schulter färbt sich sofort rot. Er liegt ca. 17m vor Ihnen. Fabio kann sich kriechend noch etwas in Ihre Richtung bewegen, bleibt aber dann kraftlos liegen. Ihre Blicke treffen sich…

Der Beschuss kam eindeutig von Osten. Ihr ZF-Schütze meldet über Funk, dass kein Ziel erkennbar sei.

Fragestellung

  • Welche Möglichkeiten sehen sie, diese Situation zu bewältigen?
  • Wie helfen Sie Fabio am schnellsten und am sichersten?
  • Rückblickend (im Sinne einer AAR): Was sind die für Sie wesentlichsten Parameter, die Ihre Beurteilung der Lage hätten beeinflussen müssen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #4

Zum Decision Game vom April haben uns vier Einsendungen erreicht, was uns besonders freut, nachdem das erste Tactical Game nur eine Antwort erhielt. Es ging entsprechend schwergewichtig um Command:

Führungssituationen können danach kategorisiert werden, ob sie einfach, kompliziert, komplex oder chaotisch sind. Beim vorliegenden Szenario handelt es sich wohl eindeutig um letzteres. Ist der Schütze fort? Sind es mehrere? Lebt Fabio noch? Die Zeit für detaillierte Analysen oder gar eine Aktionsplanung fehlt, Handeln ist entscheidend. Ein naheliegender erster Schritt ist das Wiedererlangen der Feuerüberlegenheit, sei es mittels Zielfernrohr oder mittels 12.7mm Maschinengewehr. Der Schutz für das weitere Handeln ist entscheidend, etwa durch eine Anpassung des Dispositivs (Ausrichtung auf vermutete Beschussrichtung) in Feuer und Beobachtung – ein Wärmebildgerät kann auch ausserhalb der Dunkelheit hilfreich sein. Der Einsatz von Nebel, wie auf dem GMTF verfügbar, und die Verschiebung desselben als Deckung sind weitere Schritte.

Erst jetzt ist an Kameradenhilfe zu denken, wobei der Verwundete situativ zu bergen oder auch nur zu stabilisieren ist. Parallel dazu erfolgt die Meldung an die vorgesetzte Stufe – in einem funktionierenden Verband sollte das ohne Zutun des Chefs erfolgen. Einzelne meinten, der eigentliche Auftrag – das Abladen – sollte weiterhin erfüllt werden, da der Gegner ja typischerweise mittels Hit-and-run agiere und nun keine Störung mehr zu erwarten sei. Das scheint mir angesichts des geänderten Fokus des Gruppenführers doch fraglich, kann aber wohl nur vor Ort eingeschätzt werden.

Auch zur After-Action-Review (AAR; weshalb konnte das passieren?) wurden zahlreiche Aussagen gemacht. Im Command-Bereich ist es wenig konsequent, einen Auftrag, der bewusst im Schutze der Dunkelheit durchgeführt wird, bei Tageslicht fortzusetzen. Gegen die negativen Folgen von Routine anzukämpfen, ist zudem eine Aufgabe der Leadership. Schaffe ich es, eine professionelle Kultur zu entwickeln und zu erhalten, die auch unter Belastung und Ermüdung nicht ins Bequeme und Unvorsichtige abdriftet? Das ist eine anspruchsvolle und permanente Führungsaufgabe. Im Management schliesslich stellen sich rückblickend organisatorische Fragen: hätte der verspätete Verlad verhindert werden können? Funktionieren die Alarmierung und Auslösung der Reserve? Sind die Rettungsprozesse bekannt? Einiges ist nicht nur Taktik und Kultur, sondern schlicht und einfach Organisation. Letztlich geht es dann in der AAR nicht nur darum, die Fehler zu erkennen, sondern Konsequenzen für die Zukunft abzuleiten – von Command (Gefechtstechnische Standards) über Leadership (Professionelle Kultur) bis hin zum Management (Einsatzplanung).

Von den Einsendungen hat Hptm Flurin Jossen alle diese Punkte am prägnantesten zusammengestellt. Wir gratulieren ihm zum Gewinn des Tactical Decision Games #4, wünschen viel Spass bei der Lektüre von «Concrete Hell» von Louis A. DiMarco und bedanken uns bei all jenen, die sich die Mühe genommen haben eine Lösung einzureichen oder sie bei anderer Gelegenheit, mit Kameradinnen und Freunden, diskutiert hatten.

Weiterführende Links

Falls Sie sich noch mit mehr Decision Games beschäftigen wollen, so finden Sie unter folgendem Link eine ausgiebige Sammlung von Tactical Decison Games: https://www.mca-marines.org/wp-content/uploads/Mastering-Tactics.pdf.

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Leader's Digest Leader's Digest #3 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #3

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberst i Gst Dieter Baumann erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #3

Die Armee befindet sich im Aktivdienst in einer Verteidigungsoperation. Die gegnerischen Truppen haben zahlreiche Gebiete vermint.

Eine Ihrer Gruppen gerät in ein solches Minenfeld. Mehrere Minen explodieren; zwei Ihrer Soldaten sind auf der Stelle tot, ein Soldat und eine Soldatin werden schwer verletzt. Ohne sofortige Hilfe werden die beiden Verwundeten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Sie stellen ein Rettungsteam zusammen, um die Verwundeten zu bergen und die medizinische Erstversorgung sicherzustellen.

Als Sie Ihre Befehlsausgabe an das Team vorbereiten, sehen Sie einen gegnerischen Soldaten, der das Minenfeld durchquert. Offensichtlich weiss dieser Soldat, wo die Minen verlegt sind.

Es gelingt Ihnen, diesen Soldaten gefangenzunehmen. Der gefangene Soldat weigert sich jedoch, Ihnen den Weg zu zeigen.

Fragestellung

Was für Handlungsoptionen haben Sie in dieser Situation? Wie gewichten bzw. beurteilen Sie Ihre Handlungsoptionen? Wie entscheiden Sie sich und wie begründen Sie diese Entscheidung?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #3

Zum Decision Game vom März haben uns wiederum volle zehn Einsendungen erreicht. Es handelte sich um ein eigentliches Schulbuchszenario, welches auf das ethische Dilemma im Umgang mit dem Kriegsgefangenen fokussierte und dabei vieles zur taktischen Lage offenliess. Dies gestaltete nicht nur die Beurteilung der Lage durch die Teilnehmer, sondern auch die Beurteilung der Antworten durch den Redaktor als anspruchsvoll.

Kern der Aufgabenstellung ist das ethische Dilemma, dass gemäss Kriegsvölkerrecht die Androhung oder Anwendung von Gewalt an Kriegsgefangenen absolut verboten ist. Dieser kennt gemäss Szenario jedoch sichere Passagen durch ein Minenfeld, was das Leben eigener Soldaten retten könnte. Ihn zur Herausgabe dieser Information zu zwingen oder zu nötigen, die Gruppe sicher aus dem Feld zu führen, wäre jedoch ein Kriegsverbrechen.

Sämtliche Einsendungen haben dies erkannt und gehen unterschiedlich damit um. Viele sprechen sich für eine strikte Einhaltung aus und loten Alternativen aus. Konkret weist etwa jemand darauf hin, dass eine Befragung und Durchsuchung sehr wohl erlaubt ist – möglicherweise trägt der gegnerische Soldat Pläne auf sich. Andere hoffen auf die Kraft des Argumentes oder darauf, dass eine humane Behandlung mit einem Appell an die Menschlichkeit fruchten mag. Wiederum andere sind bereit, im Interesse ihrer Truppe bewusst widerrechtlichen Zwang auszuüben und sich in der Konsequenz auch dem Kriegsgericht zu stellen. Nicht zu Unrecht weist eine Antwort darauf hin, dass «tactical intelligence» auf Stufe Gruppe kaum Aussicht auf Erfolg hat und schon nur deshalb zu unterlassen sei; auch die negative Vorbildwirkung bei der künftigen Behandlung von Kriegsgefangenen oder Konsequenzen in der internationalen Wahrnehmung werden angesprochen. Zu urteilen, wie ein Individuum in so einer Situation tatsächlich handeln würde und welche Konsequenzen es zu tragen bereit wäre, kann wohl nur abschätzen, wer Vergleichbares im Krieg erlebt hat. Rechtlich ist die rote Linie jedenfalls gegeben und es wäre nicht statthaft, diese von einem friedlichen Redaktionssessel aus aufzuweichen.

Besonders erfreulich ist aber, dass eine Mehrheit der Einsendungen das ethische Dilemma nicht isoliert betrachtet. Vielmehr sollen Führungsentscheide ganzheitlich, d.h. auftragszentriert, menschenorientiert und organisationsbasiert, getroffen werden. So weisen die Einsendungen denn auch eine erfreuliche Breite an weitergehenden Überlegungen aus. Mehrere berücksichtigen, etwa mit Blick auf die Zeitverhältnisse, die im Tactical Combat Casualty Care (TCCC) vermittelten Grundkenntnisse zu von Minen verursachten Verwundungen (blast injuries). Eine Mehrheit der Einsendungen berücksichtigt auch gefechtstechnische Aspekte, von verschiedenen Sofortmassnahmen bis zur Notwendigkeit einer Windenrettung. Mehrere Antworten schliessen trotz spärlichen Informationen auch auf die taktischen Rahmenbedingungen («keine Sperre ohne Feuer») und treffen geeignete Annahmen über die eigenen Mittel, um daraus ein Vorgehen abzuleiten.

In Breite und Prägnanz hervorzuheben ist dabei die Einsendung von Oblt André Von Flüe. Er beurteilt aus medizinischer, gefechtstechnischer, taktischer und strategischer Perspektive, weist ein Spektrum von drei Handlungsvarianten aus und begründet sein gewähltes Vorgehen im ethischen Spannungsfeld. Damit unterstreicht er den Anspruch des Newsletters, dass gute Führung gleichermassen Command, Leadership und Management umfasst. Wir gratulieren ihm zu seiner durchdachten Eingabe und wünschen ihm viel Spass bei der Lektüre von «Team of Teams» von General (ret) Stanley McChrystal.

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Leader's Digest Leader's Digest #2 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #2

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberstlt i Gst Olaf Niederberger erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #2

Gegner

Die Nacht brachte Klarheit. Das Unmögliche ist eingetroffen. Es ist Krieg. Um 0300 wurde die Bevölkerung durch Sirenenalarm in Angst und Schrecken versetzt. In der Ferne waren dutzende Explosionen zu vernehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass Abstandswaffen gegen Schlüsselziele eingesetzt werden. Während das Internet und der Mobilfunk seit Mitternacht einen Totalausfall erleiden, reissen Funkverbindungen ständig ab. Letzten, unbestätigten Berichten zufolge sollen mehrere Kilometer nördlich des Grenzflusses gegnerische mechanisierte Kräfte einen Bereitstellungsraum bezogen haben. Vor Sonnenaufgang überflogen mehrere Transport- und Kampfhelikopter im Tiefflug unseren Sektor in Richtung Autobahn-Drehscheibe nach Südwesten. Die EKF (Elektronische Kriegsführung)-Einrichtung auf dem Hügel Z brennt. Der eigentliche Nichtraucher Hptm Honsberger drückt seine Zigarette aus, verflucht in Gedanken den Generalstab und sagt seiner Gefechtsordonanz: «Man hat es offenbar verpasst dem Feind mitzuteilen, dass dies hier eine Nebenzone ist».

Eigene Mittel

Die Territorialverteidigungskompanie (Miliz) von Hptm Honsberger hat sich im Bestand in den letzten Wochen auf rund 100 Angehörige verdreifacht. An noch mehr Freiwilligen aus der Umgebung hätte es nicht gemangelt, allerdings fehlte die Ausrüstung. Honsberger war zufrieden mit seiner Auswahl. Als Gemeinderat und Lehrer kannte er viele der Kandidaten persönlich. Er wählte die Leute nach militärischen Vorkenntnissen, charakterlichen Eigenschaften und im Einzelfall auch nach speziellen Kenntnissen aus wie bspw. der Erfahrung mit Drohnen oder das Besitzen einer erweiterten Sanitätsausbildung. Er hatte ein gutes Gefühl bei seiner Kompanie, insbesondere da sämtliche Schlüsselfunktionen durch die «alten Hasen» besetzt waren. Das Einzige, das ihm Bauchschmerzen verursachte, war der Umstand, dass aufgrund der laufenden Einsätze und dem administrativen Aufwand für den «Aufwuchs» kaum Zeit für die Überprüfung der Ausbildung vorhanden war.

Die Kompanie von Hptm Honsberger gliedert sich in drei leichte Infanterie-Züge mit je drei Gruppen. Die Mobilität ist durch requirierte Geländewagen, Motorräder und E-Bikes sichergestellt.

Der Unterstützungs-Zug von Hptm Honsberger besteht aus zwei Panzerabwehr-Gruppen (je 1x Radschützenpanzer 93 & NLAW Panzerabwehrlenkwaffen), einem Späher Trupp mit vier MOTS Mini-UAV, ein Feuerunterstützungs-Trupp mit 8.6mm Scharfschützengewehr und 6cm Mörser, einem Logistik-Element bestehend aus je einem Ns (Nachschub)-, Ih (Instandhaltungs)- und San (Sanitäts)-Trupp sowie einem Kommando-Element. Im Munitions-Magazin der Kompanie im Wald Y (Siehe Karte) liegt seit zwei Tagen zusätzliche Munition eingelagert (u.a. 12x NLAW, 24x RGW 90, beides Panzerabwehrwaffen, 48x 6cm Wurfgranaten, 3x Trichter-Sprengladung 88).

Neben der Ausbildung der Neueingeteilten nahm die Kompanie seit Tagen ebenfalls Sicherungsaufgaben wahr. Nebst Patrouillen und Beobachtungsposten in Grenznähe sicherte die Kompanie den einzigen, mittlerweile geschlossenen Grenzübergang und hat diesen zur Sprengung vorbereitet. Zudem wurde Hptm Honsberger beauftragt, eine teil-mobile taktische EKF-Einrichtung auf dem Hügel Z zu schützen. Sämtliche Soldaten von Hptm Honsberger stammten aus der Umgebung und verbrachten die Ruhezeit zuhause. Ebenfalls im Einsatzraum von Hptm Honsberger war eine ihm nicht unterstellte Stinger-Gruppe, welche sich auf dem Hügel X eingerichtet hat.

Zwischen 0545 und 0600 trafen die «Melder» der Züge auf ihren E-Bikes beim Kommandoposten der Kompanie ein (Standardverhalten bei Kommunikationsabbruch).

  • Melder AMBOS: Kein Kontakt zu Gruppe UNO. Ein Schusswechsel aus Richtung Grenzübergang war hörbar. Rund ein Dutzend Ortsansässige sind mit privaten Waffen beim Rathaus versammelt. Mittlerweile wird im Dorfzentrum geschossen, unklar ist gegen wen. Zugführer AMBOS beantragt mit zwei Gruppen zum Grenzübergang durchzubrechen und die Sprengung der Brücke vorzunehmen.
  • Melder BIVIO: Es liegt eine künstliche Nebelwand am nördlichen Ufer. Schwere Motorengeräusche aus nördlicher Richtung. Zwei unserer privaten Mini-UAV sind abgestürzt. Die Gruppe UNO überwacht das Gelände, sieht allerdings nicht viel. Gruppe DUE und TRE sind komplett am Sammelpunkt eingetroffen. Wir hätten ein Boot, der Zugführer fragt, ob er die Grenze überschreiten kann, um die gegnerischen Aktivitäten aufzuklären. Darüber hinaus scheint die Stinger-Gruppe einen Helikopter abgeschossen zu haben. Offenbar gab es Überlebende, welche flüchtig sind, bewaffnete Einheimische aus Dorf B durchsuchen mit Hunden den Wald U.
  • Melder CANALE: Es gab einen Einschlag bei der EKF Einrichtung. Keine Verbindung zur Gruppe UNO vor Ort. Der Zugführer hat einen Trupp losgeschickt, um allenfalls erste Hilfe zu leisten, drei Zivilisten aus dem Samariterverein haben sich dem Trupp angeschlossen. Der Rest des Zuges ist am Sammelplatz und wartet auf deinen Befehl.

Auftrag

Hptm Honsberger zerbricht sich den Kopf. Eigentlich lautet sein Auftrag: «Präsenz markieren, Aufklärung in deinem Raum betreiben, irreguläre Kräfte binden und damit günstige Voraussetzungen für den Einsatz der Interventionskräfte zu schaffen». Für den Fall, dass wider Erwarten die regulären gegnerischen Streitkräfte die Landesgrenze in seinem Abschnitt überschreiten, wird lediglich in einer übergeordneten Einsatzplanung beschrieben, dass die Territorialkräfte in der Nebenzone den Gegner ab Landesgrenze «bekämpfen» sollen, um auf operativer Stufe eine Schwergewichts-Verlagerung zu ermöglichen. Weiter sagt die Doktrin, dass Territorialkräfte im Falle eines gegnerischen Durchbruchs den Kampf «selbständig über eine längere Zeit mittels nadelstichartiger Aktionen» führen sollen.

Umwelt

Dorf A hat rund 4000 Einwohner und einen historischen Ortskern. Dörfer B, C, D & E haben zwischen 1000 und 2000 Einwohner. Die Gebäude sind eine Mischung aus soliden, teilweise historischen Wohngebäuden und teilweise leichteren gewerblichen Bauten. Das Zwischengelände ist durchzogen mit Hecken, vereinzelten Bäumen, vereinzelten Trockenmauern und vereinzelten Bauernhöfen. Es weist nur selten Schussdistanzen grösser als 400m auf. Der Grenzfluss weist westlich der Brücke zwei Stellen auf, welche nach rund einer Stunde Vorbereitung zum Furten geeignet wären. Zwischen dem Hügel W und X befindet sich ein Panzerhindernis, die Stahlspinnen zur Schliessung der Strasse befinden sich in bei Zug BIVIO in Dorf C.

Fragestellung

Wie handeln Sie in diesem Szenario als Hptm Honsberger?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #2

Nachdem auf das Ethical Decision Game im Januar zwölf Einsendungen eingegangen waren, hat uns im Februar auf das Tactical Decision Game nur eine einzige Handlungsempfehlung erreicht, obwohl die Anzahl Abonnenten erfreulicherweise auf über 900 gestiegen ist. In der Redaktion hat das drei Überlegungen provoziert:

  • Die Kür des Siegers fällt dieses Mal deutlich leichter, und da es sich um eine durchdachte mögliche Lösung handelt, scheint sie uns auch gerechtfertigt.
  • Es bestätigt uns in unserer Ansicht, dass wir in der Schweizer Armee viel zu wenig über taktische Führung sprechen und die Führungsausbildung zu stark auf Verfahrenssicherheit (Management) und zu wenig auf Handlungssicherheit (Command) ausgerichtet ist.
  • Das heisst nicht, dass wir zu viel über Verhaltenssicherheit (Leadership) sprechen. Deshalb werden wir weiterhin wie beabsichtigt Ethical Decision Games und Tactical Decision Games im Wechsel aufwerfen. Um verteidigungsfähig zu werden, müssen wir beide Aspekte stärken.

Nachfolgend die vorgeschlagene Lösung inklusive Skizze des Gewinners, kommentiert von Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter:

Die Kommentare sind nicht umfassend gedacht, sondern heben beispielshaft einzelne Punkte hervor. Die Lösung wurde als Fünf-Punkte-Befehl eingereicht, was absolut zielführend ist. Die Skizze ist dabei Teil der Befehlsgebung – jeder Zugführer soll eine Kopie erhalten.

In der Orientierung legt der Kompaniekommandant die möglichen gegnerischen Stösse über die Brücke und über die möglichen Stellen zum Furten (zwischen U und Q) aus. Offensichtlich kennt der Gewinner den Ablauf eines mechanisierten Angriffs und legt ihn den Zugführern verständlich aus. Er weist aber auch auf mögliche irreguläre gegnerische Kräfte hin, was mir wichtig scheint, einerseits als mögliche Erklärung für den Schiesslärm in Dorf A und damit als Aufklärungsbedarf («besonderes nachrichtendienstliches Bedürfnis»), andererseits als Sensibilisierung.

Die Absicht ist in zwei Phasen gegliedert: eine Vorbereitungsphase von 60 Minuten und eine anschliessende Kampfphase von mindestens 270 Minuten. Dies scheint mir zweckmässig und angesichts des Zeitbedarfs zum Furten realistisch. Die erste Phase ist für meinen Geschmack viel zu ausführlich. Sie umfasst sieben Punkte, die eher Einzelaufträgen entsprechen und die Zugführer teilweise übersteuern. Beispiel: Wenn ich als Kompaniekommandant beabsichtige, «mit einer Gruppe die Brücke zu sprengen», nehme ich dem betroffenen Zugführer die Handlungsfreiheit, dies mit zwei Gruppen zu tun. Aufgrund des Schiesslärms im Raum A könnte es angezeigt sein, dies mittels zwei Gruppen in Feuer und Bewegung zu tun – bei der Brücke handelt es sich zweifelsfrei um Schlüsselgelände, was ein Schwergewicht berechtigen würde. Die zweite Phase ist hingegen in der Kombination Wort und Bild knapp und klar.

Die Aufträge an die Gefechtszüge sind schlicht gehalten. Im Wesentlichen erhält jeder Zug einen Verzögerungsauftrag mit zusätzlichen Nebenaufträgen (AMBOS: Zerstörung der Brücke; BIVIO: Untersuchen des Helikopterwracks; CANALE: EKF-Element retten). Beim Unterstützungszug sieht es mit neun Aufträgen etwas anders aus. Es ist fraglich, ob ein Unterstützungszug – in Analogie zum Sensor-Wirkungsverbund, den die Unterstützungskompanie in der Infanteriedoktrin sicherstellen muss – tatsächlich über alle Zugssektoren hinweg wirken kann und soll. So würde ich etwa die Sprengung der Nebenachsen den Zügen den jeweiligen Sektoren zum Auftrag geben und den Unterstützungszug eher zur Schwergewichtsbildung im westlichen Verteidigungsstreifen konzentrieren. Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass der Zugführer ein Organisationstalent ist.

Bei den besonderen Anordnungen betont der Gewinner die Bedeutung der Autonomie, was angesichts der kommunikativen und koordinativen Herausforderung sicher berechtigt ist. Bei den Standorten erwähnt er neben des Kompaniegefechtsstands (Hügel X) auch die Verteilpunkte für die Munition, sicher eine entscheidende Koordinationsmassnahme.

Zusammengefasst handelt es sich bei der Einsendung um eine durchdachte und fundierte mögliche Lösung. Natürlich können – und sollen – Kritikpunkte angebracht werden. Entscheidend ist, dass ein Kompaniekommandant in so einer Lage seinen Unterstellten Orientierung bietet und seine Absicht vermittelt, was dem Gewinner gelungen ist.

Wir danken Herrn Hauptmann Nicolas Penseyres und gratulieren ihm zum Gewinn des Buchs des Monats. Wir werden ihm «About Face: Odyssey of An American Warrior» von David H. Hackworth bald zustellen.

Darüber hinaus ermutigen wir alle Leserinnen und Leser, sich auch einmal in einem tactical decision game zu versuchen. Die Gewinnchancen dürften relativ hoch bleiben.

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Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #1

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberstlt i Gst Reto Wegmann erstelle Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der diskussionswürdigsten Handlungsempfehlungen durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #1

Sie sind als Kommandant einer Infanteriekompanie Teil des SWISSBAT (Swiss Bataillon) im Friedensförderungsdienst in DANUBIEN. Sie arbeiten in vier Zügen mit den Aufgaben «Schutz, Ruhe, Eingreifreserve und Training / Reorganisation» in einer 8h-Rotation. Der Auftrag stellt explizit und unmissverständlich klar, dass keine weiteren Aufgaben wahrgenommen werden dürfen, weil die Durchhaltefähigkeit über Monate aufrechterhalten werden muss.

Aus Schweizer Sicht ist klar, dass der Schweizer Beitrag nicht primär militärischer Natur ist und die Infanteriekompanie ausschliesslich dem Selbstschutz des SWISSBAT dient. Um zu verhindern, dass die Schweiz zur Eskalation der Lage beiträgt, ist es darum in den Einsatzregeln explizit untersagt, in Konflikte von Drittparteien einzugreifen (vgl. 51.007.04d RVE, Art. 39). Der Schutzauftrag gilt für eigene Personen und Objekte. Die klaren und engen Einsatzregeln wurden von allen Angehörigen des SWISSBAT in der einsatzbezogenen Ausbildung mittels Szenario-Trainings eingeübt. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage zunehmend verschärft. Verschiedene Gruppierungen bekämpfen sich gegenseitig, einige wehren sich auch explizit gegen jede ausländische Präsenz in DANUBIEN.

Zug RUTISHAUSER befindet sich momentan in der Phase «Training» und ist deshalb mit dem ganzen Zug und vier GMTF im Gelände, um Patrouillentätigkeiten und Kontaktdrills zu festigen. Lt RUTISHAUSER hat vor 20 Minuten auf dem Führungsnetz gemeldet, dass der Zug aus dem kleinen Dörflein EGSEMPLICE laut und deutlich Gefechtslärm vernehme.

Gerade eben meldet sich Lt RUTISHAUSER noch einmal. Der bei ihm eingebettete Übersetzer IDRIS hat sich telefonisch bei Freunden der EGSEMPLICE Municipality Police erkundigt und offenbar leisten sich bewaffnete Gruppen ein Feuergefecht um das Hotel CENTRAL. Lt RUTISHAUSER berichtet, dass er auch telefonischen Kontakt mit PETER hatte, einem Mitarbeiter des Schweizer Hilfswerks AYUTAS vor Ort. PETER befindet sich im Hotel CENTRAL mit seinem Team von fünf Schweizerinnen und Schweizern, alles Wasseringenieurinnen und Programmleiter, welche Projekte an den lokalen Abwassersystemen vorwärtsbringen sollen. Die Funkverbindung ist klar genug, sodass Sie in der Stimme von Lt RUTISHAUSER einen seltsamen Unterton verspüren: «Schau, Kadi, PETER hat mir erklärt, dass fünf mit Sturmgewehren bewaffnete Extremisten das Hotel stürmen wollen.» Ihr Atem stockt – Sie wissen, dass die lokale Untergrundarmee in der Vergangenheit schon einmal Entwicklungshelfer exekutiert hatte, um alle ausländischen Akteure zum Abzug zu zwingen. AYUTAS war eine der wenigen, die sich davon nicht einschüchtern liessen.

Lt RUTISHAUSER scheint kurz zu zögern, dann setzt er noch einmal an: «Das sind Schweizer, Zivilisten. Heute Abend sind die entweder Geiseln – oder tot». Lt RUTISHAUSER informiert Sie in klaren Worten, dass er seine Entschlussfassung abgeschlossen hat und er eingreifen werde. Derzeit reorganisiere sich der Zug. In 15 Minuten werde er den Zug in Bewegung setzen, um den Schweizerinnen und Schweizern helfen.

Auf die Einsatzregeln, den offensichtlichen Bruch der rechtlichen Grundlage, die Bedeutung im Gesamtrahmen und das fehlende Mandat angesprochen meint Lt RUTISHAUSER bloss «wie gesagt, Hauptmann, meine Entschlussfassung ist abgeschlossen – ich gehe». Sie sind mit Lt RUTISHAUSER seit Beginn der EBA Duzis. Wenn er ausnahmsweise die formale Anrede «Hauptmann» wählte, klang meist ein ironischer Unterton mit. Jetzt meinte er es aber offensichtlich todernst. Er will nicht nur die Einsatzregeln brechen, er will dies auch im Vorsatz tun und kündigt das sogar an.

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #1

Wir haben auf das erste Decision Game erfreuliche zwölf Handlungsempfehlungen erhalten. Besonders gefällt die Autorenvielfalt: Aktive und ehemalige Armeeangehörige sowie interessierte Zivilpersonen, Männer und Frauen, Deutsch- und Französischsprachige, Berufsmilitärs und Milizkader vom Wachtmeister bis zum Obersten haben sich die Zeit genommen, ihre Überlegungen zu formulieren. Wir danken an dieser Stelle für den Effort und auch für das Verständnis, dass wir nicht jede Einsendung inhaltlich beantworten können.

«Ein klassisches Dilemma!», schrieb ein Leser. Eine Auswahl soll zeigen, dass bei solchen weder eindeutige noch einfache Lösungen existieren:

  • Einige Leser betonen, dass die Einsatzregeln als Produkt der Politik nicht einfach so übergangen werden können, auch wenn die eigenen moralischen Vorstellungen dies nahelegen würden. Die Einsatzregeln seien aus der politischen und militärischen Zusammenarbeit der Schweiz und der Gastgebernation entstanden, womit deren Bruch diese ganze Kooperation in Frage stellte; dies dürfe nicht riskiert und in keiner Form unterstützt werden. Diese Einsendungen fokussieren meist darauf, mit welchen Argumenten Lt Rutishauser von seinem Vorhaben abzubringen sei und erläutern, wie mit ihm nach der Rückkehr zu verfahren sei.
  • Mehrere Einsendungen haben sich vertieft mit den möglichen psychologischen Gründen für das Verhalten von Lt Rutishauser auseinandergesetzt und in seiner Person ein inakzeptables Risiko für eine solche Krisensituation erkannt. Das deplatzierte Verwenden von Ironie in einer solchen Krise, fehlende Loyalität und mangelndes Verständnis für den Gesamtrahmen wurden dabei als Indikatoren genannt.
  • Ein österreichischer Autor beurteilt den Fall (unter Bezugnahme auf das Dienstreglement und weitere Reglemente der Schweizer Armee) aus rechtlicher Sicht, bevor er zur taktischen Analyse übergeht. Darin findet sich ein Argument, weshalb ROE nicht absolut gelten können: «Obgleich Lt RUTISHAUSER dem Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten, welche die ROE festgelegt haben, verpflichtet ist, legitimiert die drohende Gefahr (möglicher Tod von Schweizer Staatsangehörigen) in Kombination mit der gegebenen Offiziersausbildung des Leutnants die Neubeurteilung der Situation unter Einbeziehung der gegebenen Umstände».
  • Die Fürsorgepflicht für die Angehörigen des Zugs Rutishauser, aber auch für die weiteren Angehörigen einer allenfalls einzusetzenden Reserve wurde immer wieder betont. Einige Autoren stellen dem aber auch die zwingende Risikobereitschaft von Soldaten, deren Anwesenheit als freiwillig vorausgesetzt wird, gegenüber und merken mehrfach an, dass dies auch für Mitarbeiter ziviler Hilfsorganisationen gelte.
  • Die Mehrheit der Einsendungen basiert aber auf der Annahme, dass Lt Rutishauser nicht mehr von seinem Entschluss abzubringen sei. In der Konsequenz würden einige als Kommandanten die Reserve zu aktivieren, um ihn zu unterstützen: etwa, indem sie die Zufahrtswege und Anhöhen besetzen, um günstige Voraussetzungen zu schaffen für die Aktion des Zugs Rutishauser.
  • Andere betonen, dass die Reserve gerade nicht ausgelöst werden soll, um die Durchhaltefähigkeit für den Hauptauftrag sowie den Eigenschutz zu gewährleisten. Es wurde auch das Risiko erwähnt, dass die Geiselnahme ein Ablenkungsmanöver das Camp des SWISSBAT das eigentliche Ziel der Terroristen darstellen könnte.
  • Mehrfach wurde auch an mögliche Nachbartruppen gedacht, die zudem vielfältig eingesetzt werden können. So wollte jemand die Militärpolizei avisieren, um Lt Rutishauser festnehmen zu lassen – während jemand anderes ihn überzeugen wollte, seine Absicht so zu korrigieren, dass er mit einer gestaltenden Aktion günstige Voraussetzungen schafft, um dann die entscheidende Intervention von der Militärpolizei oder einer anderen geeigneten Formation durchführen zu lassen.
  • Verschiedene Begründungen werden aufgeführt, weshalb Lt Rutishauser trotz offensichtlichem Regelbruch zu unterstützen sei: entweder, weil mit seinem Entscheid schlicht neue Tatsachen geschaffen wurden, oder aber schlicht aus Loyalität gegenüber dem Entscheid eines unterstellten Offiziers, im Vertrauen auf dessen Urteilsvermögen vor Ort.
  • Hierzu eine exemplarische Begründung: «Es ist offensichtlich, dass ich als Kdt meinen Zfhr nicht umstimmen kann. (…) Ich gehe davon aus, dass die Konsequenzen (…) weit weniger schlimm ausfallen, wenn diese Aktion von Erfolg gekrönt ist. (…) Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich wider den Schutzauftrag und die Einsatzregeln handle. (…) Wenn es hart auf hart kommt, sollen sich meine Unterstellten darauf verlassen können, dass ich sie unterstütze – vor allem in schwierigen Situationen. Aufträge und Situationen sind veränderbare Variablen, die mir anvertrauten Unterstellten bilden eine Konstante.»

An dieser Stelle die «richtige» Lösung bekannt zu geben, wäre nicht nur eine Anmassung für die Newsletter-Redaktion, es widerspräche auch allen Grundzügen der militärethischen Bildung: Ethische Dilemmata sind Spannungen, die nicht einfach auflösbar sind. Führungskräfte und insbesondere Kommandanten haben sich diesen zu stellen und sie letztlich persönlich, im jeweiligen Kontext, zu bewältigen. Um sich dennoch nicht ethisch im Nebel des Krieges zu verstecken, heben wir eine Einsendung hervor, die uns in der Stringenz besonders positiv aufgefallen ist, umfassend geschrieben und dennoch prägnant auf weniger als zwei Seiten Platz gefunden hat.

Diese Einsendung

  • fasst in einer Tabelle die Sofortmassnahmen zusammen: Taktischer Dialog Lt Rutishauser, anschliessend vier Aufträge an den Stellvertreter, den Kommandogruppenführer und zwei Führungsgehilfen;
  • weist darin als zentrale Aussage den folgenden Satz auf: «Mentaler Switch von ‹Kann ich verhindern› zu ‹müssen wir gewinnen›»;
  • ergänzt in drei Sätzen eine nachvollziehbare persönliche Einschätzung;
  • sieht für den weiteren Verlauf drei alternative taktische Vorgehen vor, in Abhängigkeit der Verfügbarkeit von Unterstützungskräften, etwa der örtlichen Polizei und/oder die Eingreifreserve einer anderen Nation, die anderen ROE unterworfen sein könnte;
  • schliesst trotz aktiver, taktischer Unterstützung in jedem Fall mit der Eröffnung eines Strafverfahrens.

Der Beitrag stammt aus der Feder von Hptm Camilla Setz1 – wir gratulieren zum Gewinn eines Exemplars von «The Mission, The Men, And Me» von Pete Blaber, das in den kommenden Wochen persönlich übergeben wird.

  1. Der Transparenz halber: Hptm Camilla Setz war bis 31.12.2022 Kompaniekommandant bei Oberstlt i Gst Reto Wegmann, dem Autoren des Decision Games. Letzterer war entsprechend nicht in die Gewinnerwahl involviert. ↩︎