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Leader's Digest Leader's Digest #4 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #4

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Maj Philipp Scherrer erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #4

Szenario

Gegner

In der Schweiz ist es zu Kampfhandlungen im Verteidigungsraum gekommen. Im rückwärtigen Raum stören und binden irreguläre Kräfte unsere Verbände mit schweizweit täglich weit über 50 Anschlägen.

Die irregulären Kräfte sind auf Tageslicht angewiesen und wählen bewusst die «Hit and Run»-Taktik: Dabei werden unsere Kräfte auf grösstmögliche Distanz beschossen und der Gegner zieht sich zurück, bevor auf den Beschuss reagiert werden kann.

Das Hauptziel des Gegners ist dabei nebst dem Zufügen von Verlusten von Menschen und Material insbesondere das Untergraben der Moral der Truppen und somit die Aushöhlung deren Wehrwillens.

Als favorisierte Ziele solcher Anschläge gelten ungepanzerte Fahrzeuge und einzelne stehende Angehörige der Armee.

Zusätzlich zu den Anschlägen auf eigene Truppen wird auch zivile Infrastruktur vermehrt durch gegnerische weitreichende Artillerie beschossen.

Eigene Mittel

Sie sind seit einigen Monaten Gruppenführer und konnten in der Zeit ein starkes Team formen. Der Umgang ist kameradschaftlich und professionell zugleich. Es haben sich gradunabhängig echte Freundschaften entwickelt; etwa zwischen Ihnen und Fabio, einem Ihrer Soldaten.

Ihre Gruppe verfügt über einen gepanzerten Personentransporter (GMTF). Nebst der Besatzung des Gefechtsfahrzeugs und fünf Sturmgewehr (Stgw)-Schützen verfügen Sie über einen Stgw-Zielfernrohr (ZF)-Schützen und einen Leichten Maschinengewehr (LMg)-Schützen.

Auftrag

Sie haben den Auftrag, das Abladen von Verpflegung und Sanitätsmaterial am Bahnhof WALENSTADT zu sichern. Mit diesem Material soll die notleidende Bevölkerung der umliegenden Dörfer versorgt werden.

Zur Sicherung haben Sie den ZF-Schützen zusammen mit dem LMg-Schützen im Dachstock des Restaurants Churfirsten Stellung beziehen lassen. Die Verbindung steht. Das Binom hat mit den Restlichtverstärkern gut Einblick über das taktisch zusammenhängende Gelände. Insbesondere der Zu- und Austritt nach Osten (die von Ihnen als am gefährlichsten beurteilte Geländekammer), kann gut eingesehen werden. Sie sitzen mit Fabio gemeinsam im GMTF. Alle weiteren AdA stehen gut geschützt in Rufweite und sichern die näheren Zu- und Austritte.

Umwelt

Das Abladen der dringend benötigten Güter hätte bis 1h vor Beginn der Dämmerung abgeschlossen sein sollen (0545). Doch die Einfahrt des Zuges verzögerte sich aufgrund von Artilleriebeschuss.

Es ist jetzt 0715 und hell. Mehrere Passanten flehten Sie schon zu Beginn an, das Abladen nicht abbrechen zu lassen, so wie es in den letzten Wochen vermehrt geschah. Ihr Kommandant gab Ihnen freie Hand, selber und situativ über die Durchführung des Auftrags zu entscheiden.

Unmittelbare Situation

Sie haben sich bereits an diese seltsame Mischung aus Anspannung und Routine, Aufmerksamkeit und Müdigkeit – es ist das Ende einer Nachtschicht – gewöhnt. Wahrscheinlich deshalb sprechen Sie nur Weniges und Belangloses. Fabio meint, dass er das GMTF jetzt unbedingt für ein kurzes persönliches Bedürfnis verlassen müsse. Sie denken sich nichts dabei, schliesslich ist das Abladen bis jetzt ruhig verlaufen. Wenige Meter vor dem Busch bricht ein Schuss und Fabio fällt aufschreiend zu Boden. Der Bereich seiner Schulter färbt sich sofort rot. Er liegt ca. 17m vor Ihnen. Fabio kann sich kriechend noch etwas in Ihre Richtung bewegen, bleibt aber dann kraftlos liegen. Ihre Blicke treffen sich…

Der Beschuss kam eindeutig von Osten. Ihr ZF-Schütze meldet über Funk, dass kein Ziel erkennbar sei.

Fragestellung

  • Welche Möglichkeiten sehen sie, diese Situation zu bewältigen?
  • Wie helfen Sie Fabio am schnellsten und am sichersten?
  • Rückblickend (im Sinne einer AAR): Was sind die für Sie wesentlichsten Parameter, die Ihre Beurteilung der Lage hätten beeinflussen müssen?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #4

Zum Decision Game vom April haben uns vier Einsendungen erreicht, was uns besonders freut, nachdem das erste Tactical Game nur eine Antwort erhielt. Es ging entsprechend schwergewichtig um Command:

Führungssituationen können danach kategorisiert werden, ob sie einfach, kompliziert, komplex oder chaotisch sind. Beim vorliegenden Szenario handelt es sich wohl eindeutig um letzteres. Ist der Schütze fort? Sind es mehrere? Lebt Fabio noch? Die Zeit für detaillierte Analysen oder gar eine Aktionsplanung fehlt, Handeln ist entscheidend. Ein naheliegender erster Schritt ist das Wiedererlangen der Feuerüberlegenheit, sei es mittels Zielfernrohr oder mittels 12.7mm Maschinengewehr. Der Schutz für das weitere Handeln ist entscheidend, etwa durch eine Anpassung des Dispositivs (Ausrichtung auf vermutete Beschussrichtung) in Feuer und Beobachtung – ein Wärmebildgerät kann auch ausserhalb der Dunkelheit hilfreich sein. Der Einsatz von Nebel, wie auf dem GMTF verfügbar, und die Verschiebung desselben als Deckung sind weitere Schritte.

Erst jetzt ist an Kameradenhilfe zu denken, wobei der Verwundete situativ zu bergen oder auch nur zu stabilisieren ist. Parallel dazu erfolgt die Meldung an die vorgesetzte Stufe – in einem funktionierenden Verband sollte das ohne Zutun des Chefs erfolgen. Einzelne meinten, der eigentliche Auftrag – das Abladen – sollte weiterhin erfüllt werden, da der Gegner ja typischerweise mittels Hit-and-run agiere und nun keine Störung mehr zu erwarten sei. Das scheint mir angesichts des geänderten Fokus des Gruppenführers doch fraglich, kann aber wohl nur vor Ort eingeschätzt werden.

Auch zur After-Action-Review (AAR; weshalb konnte das passieren?) wurden zahlreiche Aussagen gemacht. Im Command-Bereich ist es wenig konsequent, einen Auftrag, der bewusst im Schutze der Dunkelheit durchgeführt wird, bei Tageslicht fortzusetzen. Gegen die negativen Folgen von Routine anzukämpfen, ist zudem eine Aufgabe der Leadership. Schaffe ich es, eine professionelle Kultur zu entwickeln und zu erhalten, die auch unter Belastung und Ermüdung nicht ins Bequeme und Unvorsichtige abdriftet? Das ist eine anspruchsvolle und permanente Führungsaufgabe. Im Management schliesslich stellen sich rückblickend organisatorische Fragen: hätte der verspätete Verlad verhindert werden können? Funktionieren die Alarmierung und Auslösung der Reserve? Sind die Rettungsprozesse bekannt? Einiges ist nicht nur Taktik und Kultur, sondern schlicht und einfach Organisation. Letztlich geht es dann in der AAR nicht nur darum, die Fehler zu erkennen, sondern Konsequenzen für die Zukunft abzuleiten – von Command (Gefechtstechnische Standards) über Leadership (Professionelle Kultur) bis hin zum Management (Einsatzplanung).

Von den Einsendungen hat Hptm Flurin Jossen alle diese Punkte am prägnantesten zusammengestellt. Wir gratulieren ihm zum Gewinn des Tactical Decision Games #4, wünschen viel Spass bei der Lektüre von «Concrete Hell» von Louis A. DiMarco und bedanken uns bei all jenen, die sich die Mühe genommen haben eine Lösung einzureichen oder sie bei anderer Gelegenheit, mit Kameradinnen und Freunden, diskutiert hatten.

Weiterführende Links

Falls Sie sich noch mit mehr Decision Games beschäftigen wollen, so finden Sie unter folgendem Link eine ausgiebige Sammlung von Tactical Decison Games: https://www.mca-marines.org/wp-content/uploads/Mastering-Tactics.pdf.

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Podcast Praktisch Chef

Praktisch Chef #18: Esther Niffenegger

«Praktisch Chef – der führende Podcast» erscheint jeweils am letzten Donnerstag des Monats und kann auf Google Podcasts, SoundCloud, Spotify oder via RSS-Feed abonniert werden.

Fragen, Anregungen, Lob und Kritik nehmen Cécile Kienzi und Josef Ochsner gerne via entgegen.

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Leader's Digest Leader's Digest #4 Newsletter

Update Führung: April 2024

A fatal flaw: Positive leadership style research creates causal illusions

[The Leadership Quarterly, #187, 02.2024, Thomas Fischer, Joerg Dietz, John Antonakis]

In diesem englischsprachigen Artikel argumentieren und zeigen die Autoren empirisch, dass Konstrukte und Messgrössen positiver Führungsstile, wie z. B. Authentic, Ethical oder Servant Leadership, keine wahrheitsgetreuen Darstellungen des Führungsverhaltens sind. Stattdessen verwechseln diese Stile Verhaltensweisen mit subjektiven Bewertungen von Führungskräften. In vier Experimenten zeigen die Autoren, dass positive Führungsstile Ergebnisse sind, die von nicht-verhaltensbezogenen, bewertenden Faktoren abhängen, wie z. B. Informationen über den früheren Erfolg einer Führungskraft oder die Übereinstimmung von Werten zwischen Führungskraft und Gefolgschaft. Noch wichtiger ist, dass die Messgrössen dieser Führungsstile kausale Illusionen erzeugen, indem sie objektive Ergebnisse fälschlicherweise vorhersagen, selbst wenn das Verhalten der Führungskraft und andere führerspezifische Faktoren konstant gehalten werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorliegende Studie ernsthafte Zweifel an der bisherigen Forschung aufkommen lässt, die behauptet, dass positive Führungsstile zu positiven Ergebnissen führen. Nach Ansicht der Autoren ist die Forschung zu positiven Führungsstilen nicht nur falsch, sondern auch praktisch nutzlos, da ihre Konstrukte und Messgrössen Amalgame sind, die keine konkreten und erlernbaren Verhaltensweisen isolieren. Die Autoren fordern eine radikale Neuausrichtung der Führungsstilforschung und skizzieren Optionen für eine solidere zukünftige Forschung.

Link: https://doi.org/10.1016/j.leaqua.2023.101771

The Battle of Irpin River

[British Army Review, #187, 02.2024]

This detailed report describes the fighting in the suburbs of Kyiv. By using interviews, it depicts the fog of war of the first days of the full-scale invasion and shows how leaders led even when faced with an unclear and rapidly changing situation.

Link: https://chacr.org.uk/2024/02/19/the-battle-of-irpin-river/

Military Leadership and Resilience

[Handbook of Military Sciences, 08.02.2024, Danny Boga]

Whilst civilian life and work can be stressful, it is rarely life-threatening and can often be avoided. This stands in stark contrast to soldiers and commanders mobilised for active service. Whilst it not being life-threatening, Swiss conscription forces young men from their civilian lives into a military setting. As stress rises, mental health suffers, thereby leading to a decrease in performance. In order to maintain the effectiveness of officers, NCOs and soldiers, they need to be resilient towards stress factors. Whilst the individual personality has an influence on personal resilience, resilience can also be strengthened through leaders who are open and supportive in regards to the mental health of their followers. This well-written journal article further discusses how leadership can lead to resilience and elaborates on the potential of resilience training in the military.

Link: https://link.springer.com/referenceworkentry/10.1007/978-3-030-02866-4_101-1

Effects of Resilience Training on Resilient Functioning in Chronic Stress Situations among Cadets of the Swiss Armed Forces

[Healthcare Journal, 05.05.2023, Madlaina Niederhauser, Regula Züger, Hubert Annen et al.]

This journal article examines the effectiveness of resilience training in the specific context of the Swiss Armed Forces. The quantitative study suggests that resilience can be strengthened through training. Moreover, it shows that higher individual resilience is associated to coping with stress in a task-oriented way, as opposed to an emotion-oriented way which may exacerbate a stressful situation.

Link: https://www.mdpi.com/2227-9032/11/9/1329

What the Ukrainian Armed Forces need to do to win

[War on the Rocks, 02.06.2023, Erik Kramer, Paul Schneider]

The authors have extensively trained with all services of the Ukrainian Armed Forces and summarise the weaknesses of the military training which they have observed. For one, they noticed a lack of mission command which results in indecision and a lack of adaptability. The authors also mention a lack of interagency cooperation. For example, members of the Ukrainian Territorial Defence were not able to use a training base of the Ukrainian national guard. Not only would this be beneficial so the available infrastructure and resources can be used efficiently, but also would more personal exchange within the different elements of the UAF lead to a better understanding of each one’s tasks and to less misunderstandings and mistrust.

Link: https://warontherocks.com/2023/06/what-the-ukrainian-armed-forces-need-to-do-to-win/

Strategy as engagement: What organization strategy can learn from military strategy

[Long Range Planning 55, 2022, Martin Kornberger und Eero Vaara]

Strategy process and practice research has illuminated the internal dynamics of strategy work – at the cost of backgrounding processes and practices that relate to engagement with external actors. In this conceptual paper, the authors argue for an extension of this body of work by shifting the focus of research from internal practices and processes towards externally oriented practices of engagement. They do so by critically building on the military strategy literature and develop the concept of strategy as engagement. This concept suggests understanding the role of strategy as bridge between policy and tactics; the importance of grand strategy as the making of policy; and the need to focus attention on tactics as distributed collective action.

Link: https://doi.org/10.1016/j.lrp.2021.102125


Über das «Update Führung»

Das Update Führung ist eine wiederkehrende Rubrik des Newsletters Leader’s Digest. Dieser Newsletter entsteht in Kooperation des Leadership Campus der Schweizer Armee und der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich. Wenn Sie Leader’s Digest noch nicht abonniert haben, finden Sie unter folgendem Link weitere Informationen sowie das Formular zur Anmeldung.

Falls Sie Lesenswertes zu Command, Leadership oder Management entdecken, würden wir uns freuen, wenn Sie dies mit uns teilen. Gerne nehmen wir Tipps für die kommende Ausgabe von Leader’s Digest via entgegen.

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Leader's Digest Leader's Digest #4 Newsletter

Buch des Monats: «Concrete Hell: Urban Warfare from Stalingrad to Iraq» von Lou DiMarco

Was ist die Kernaussage des Buches?

Dass die taktische und die strategische Stufe der Kriegsführung für den Erfolg auf dem Schlachtfeld entscheidend sind, wegen mangelndem Verständnis zwischen den Stufen jedoch immer wieder grobe Fehler passiert sind.

Was gefällt Ihnen an diesem Buch am besten?

Mir gefällt die einfache, nüchterne Beurteilung von teilweise epischen Fehlentscheiden.

Gibt es Punkte, in welchen Sie die Argumentation des Buches nicht unterstützen, oder Bereiche, die Ihrer Meinung nach zu kurz kommen?

Nein. Mir gefällt das sehr kurze auf den Punkt Kommen und die schonungslose Analyse.

An wen richtet sich Ihre Empfehlung?

An alle, die das Schlachtfeld von übermorgen verstehen wollen.

Wie hat Ihnen dieses Buch im militärischen Führungsalltag geholfen?

Weniger im Führen, dafür umso mehr im Verstehen von Entscheiden in komplexen Situationen.

Welchem Teilaspekt des Command-Leadership-Management-Modells ordnen Sie dieses Buch zu?

In den einzelnen Kapiteln werden mehrere CLM-Aspekte beschrieben.

«Listen to the men on the ground» spricht den Fokus Mensch (Leadership) an.

«I don’t bite the feeding hand» erinnert daran, dass wir Teil einer Organisation sind (Management).

Insgesamt geht es im Buch um Auftragserfüllung bzw. Versagen (Command).

Wo sehen Sie zukünftig die grössten Herausforderungen für die Führung in der Schweizer Armee?

Dass die obere taktische Stufe ihre Rolle als dienende Rolle («Servant Leadership») versteht und wegkommt von althergebrachtem Feldherrentum.

Und wo sehen Sie diesbezüglich die grössten Chancen?

In einer Kultur der flachen Hierarchie, die wir in einzelnen Truppengattungen (Spezialkräfte) schon kennen und insbesondere in der Miliz auch leben.


Über den Rezensenten

Maj Philipp Scherrer ist Berufsoffizier am Kommando Lehrgänge und Kurse des Ausbildungszentrums der Armee.

Sein Motto lautet: «Dem Gegner keine Chance bieten, aber trotzdem vorbereitet sein überrascht zu werden». Er führt aus: «Dem Gegner keine Chance bieten, bedeutet keine Zielscheibe zu sein und reicht von Cyber bis zum Ausheben eines Schützenloches (der Gegner hat die Absicht und das Potential, jetzt braucht er nur noch Gelegenheiten). Weil das nie lückenlos funktioniert, müssen wir vorbereitet sein überrascht zu werden. Auch das beginnt bei Cyber und endet im Begegnungsgefecht, mit Beschuss durch Heckenschützen kombiniert mit Sprengstoffanschlägen. Dies betrifft alle Angehörigen der Armee, die sich ausserhalb von geschützten Zonen bewegen können müssen».

Über das «Buch des Monats»

Das «Buch des Monats» ist eine wiederkehrende Rubrik des Newsletters Leader’s Digest. Dieser Newsletter entsteht in Kooperation des Leadership Campus der Schweizer Armee und der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich. Wenn Sie Leader’s Digest noch nicht abonniert haben, finden Sie unter folgendem Link weitere Informationen sowie das Formular zur Anmeldung.

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Leader's Digest Leader's Digest #3 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #3

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberst i Gst Dieter Baumann erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #3

Die Armee befindet sich im Aktivdienst in einer Verteidigungsoperation. Die gegnerischen Truppen haben zahlreiche Gebiete vermint.

Eine Ihrer Gruppen gerät in ein solches Minenfeld. Mehrere Minen explodieren; zwei Ihrer Soldaten sind auf der Stelle tot, ein Soldat und eine Soldatin werden schwer verletzt. Ohne sofortige Hilfe werden die beiden Verwundeten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Sie stellen ein Rettungsteam zusammen, um die Verwundeten zu bergen und die medizinische Erstversorgung sicherzustellen.

Als Sie Ihre Befehlsausgabe an das Team vorbereiten, sehen Sie einen gegnerischen Soldaten, der das Minenfeld durchquert. Offensichtlich weiss dieser Soldat, wo die Minen verlegt sind.

Es gelingt Ihnen, diesen Soldaten gefangenzunehmen. Der gefangene Soldat weigert sich jedoch, Ihnen den Weg zu zeigen.

Fragestellung

Was für Handlungsoptionen haben Sie in dieser Situation? Wie gewichten bzw. beurteilen Sie Ihre Handlungsoptionen? Wie entscheiden Sie sich und wie begründen Sie diese Entscheidung?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #3

Zum Decision Game vom März haben uns wiederum volle zehn Einsendungen erreicht. Es handelte sich um ein eigentliches Schulbuchszenario, welches auf das ethische Dilemma im Umgang mit dem Kriegsgefangenen fokussierte und dabei vieles zur taktischen Lage offenliess. Dies gestaltete nicht nur die Beurteilung der Lage durch die Teilnehmer, sondern auch die Beurteilung der Antworten durch den Redaktor als anspruchsvoll.

Kern der Aufgabenstellung ist das ethische Dilemma, dass gemäss Kriegsvölkerrecht die Androhung oder Anwendung von Gewalt an Kriegsgefangenen absolut verboten ist. Dieser kennt gemäss Szenario jedoch sichere Passagen durch ein Minenfeld, was das Leben eigener Soldaten retten könnte. Ihn zur Herausgabe dieser Information zu zwingen oder zu nötigen, die Gruppe sicher aus dem Feld zu führen, wäre jedoch ein Kriegsverbrechen.

Sämtliche Einsendungen haben dies erkannt und gehen unterschiedlich damit um. Viele sprechen sich für eine strikte Einhaltung aus und loten Alternativen aus. Konkret weist etwa jemand darauf hin, dass eine Befragung und Durchsuchung sehr wohl erlaubt ist – möglicherweise trägt der gegnerische Soldat Pläne auf sich. Andere hoffen auf die Kraft des Argumentes oder darauf, dass eine humane Behandlung mit einem Appell an die Menschlichkeit fruchten mag. Wiederum andere sind bereit, im Interesse ihrer Truppe bewusst widerrechtlichen Zwang auszuüben und sich in der Konsequenz auch dem Kriegsgericht zu stellen. Nicht zu Unrecht weist eine Antwort darauf hin, dass «tactical intelligence» auf Stufe Gruppe kaum Aussicht auf Erfolg hat und schon nur deshalb zu unterlassen sei; auch die negative Vorbildwirkung bei der künftigen Behandlung von Kriegsgefangenen oder Konsequenzen in der internationalen Wahrnehmung werden angesprochen. Zu urteilen, wie ein Individuum in so einer Situation tatsächlich handeln würde und welche Konsequenzen es zu tragen bereit wäre, kann wohl nur abschätzen, wer Vergleichbares im Krieg erlebt hat. Rechtlich ist die rote Linie jedenfalls gegeben und es wäre nicht statthaft, diese von einem friedlichen Redaktionssessel aus aufzuweichen.

Besonders erfreulich ist aber, dass eine Mehrheit der Einsendungen das ethische Dilemma nicht isoliert betrachtet. Vielmehr sollen Führungsentscheide ganzheitlich, d.h. auftragszentriert, menschenorientiert und organisationsbasiert, getroffen werden. So weisen die Einsendungen denn auch eine erfreuliche Breite an weitergehenden Überlegungen aus. Mehrere berücksichtigen, etwa mit Blick auf die Zeitverhältnisse, die im Tactical Combat Casualty Care (TCCC) vermittelten Grundkenntnisse zu von Minen verursachten Verwundungen (blast injuries). Eine Mehrheit der Einsendungen berücksichtigt auch gefechtstechnische Aspekte, von verschiedenen Sofortmassnahmen bis zur Notwendigkeit einer Windenrettung. Mehrere Antworten schliessen trotz spärlichen Informationen auch auf die taktischen Rahmenbedingungen («keine Sperre ohne Feuer») und treffen geeignete Annahmen über die eigenen Mittel, um daraus ein Vorgehen abzuleiten.

In Breite und Prägnanz hervorzuheben ist dabei die Einsendung von Oblt André Von Flüe. Er beurteilt aus medizinischer, gefechtstechnischer, taktischer und strategischer Perspektive, weist ein Spektrum von drei Handlungsvarianten aus und begründet sein gewähltes Vorgehen im ethischen Spannungsfeld. Damit unterstreicht er den Anspruch des Newsletters, dass gute Führung gleichermassen Command, Leadership und Management umfasst. Wir gratulieren ihm zu seiner durchdachten Eingabe und wünschen ihm viel Spass bei der Lektüre von «Team of Teams» von General (ret) Stanley McChrystal.

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Podcast Praktisch Chef

Praktisch Chef #17: Maximilian Stoller

«Praktisch Chef – der führende Podcast» erscheint jeweils am letzten Donnerstag des Monats und kann auf Google Podcasts, SoundCloud, Spotify oder via RSS-Feed abonniert werden.

Fragen, Anregungen, Lob und Kritik nehmen Cécile Kienzi und Josef Ochsner gerne via entgegen.

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Leader's Digest Leader's Digest #3 Newsletter

Update Führung: März 2024

Adjudicating Competing Theories: Does Civilian Control Over the Military Decrease Conflict?

[Armed Forces and Society 50, 1/2024, Edward Gonzales]

Ein lang geführter Disput zivil-militärischer Beziehungen beschäftigt sich mit der Frage, ob stärkere zivile Kontrolle von Streitkräften die Wahrscheinlichkeit zwischenstaatlicher Konflikte reduziert («ziviler Konservatismus») oder im Gegenteil sogar erhöht («militärischer Konservatismus»). Ein jüngst erschienener Artikel untersucht diese Fragestellung empirisch anhand von 5472 Beobachtungen an 153 Ländern in den Jahren 1960 bis 2001. Eher überraschend deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine grössere zivile Kontrolle über das Militär die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass mehr militärische zwischenstaatliche Streitigkeiten ausgelöst werden, was die Theorie des militärischen Konservatismus unterstützt.

Link: https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0095327X221112026

Die Rücktransformation soldatischer Identitäten

[Ethik und Militär, 2/2023, Patrick Hofstetter]

Der offene Einmarsch Russlands in die Ukraine wird im Westen als Zeitenwende wahrgenommen und stellt damit die Militärethik in der Forschung und Praxis, etwa in der Persönlichkeitsbildung, vor neue Herausforderungen. Auf den vier Ebenen «Staat, Streitkräfte, Militärische Führer und Soldat» finden eigentliche Rücktransformationen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten statt. Die europäischen Staaten haben sich verbal rasch auf Verteidigung zurückbesonnen, aber der Wiederaufbau der Verteidigungsfähigkeiten in den Streitkräften wird Jahre in Anspruch nehmen. Offen bleibt, ob und wie rasch sich soldatische Identitäten, etwa vom Miles Protector zurück zum Krieger, entwickeln werden. Die Führungskräfte nehmen dabei eine Scharnierrolle ein. Ein Transformationsmodell in Anlehnung an das historische I/O-Modell nach Moskos kann helfen, diese Debatte zu führen und das erforderliche Bewusstsein zu schaffen.

Link: https://www.ethikundmilitaer.de/ausgabe/02-2023/article/die-ruecktransformation-soldatischer-identitaeten

Pluralistic Ignorance: A Danger to Organizational Culture and Leader Selection

[From the Green Notebook, 09.02.2024, Shane Hughes]

In many militaries, a psychological phenomenon called “pluralistic ignorance” allows bad leaders to rise through the ranks despite their flaws in character and poor leadership skills. Military culture is uniquely vulnerable to this phenomenon, and service members must work diligently to prevent it. Shane Hughes suggests that three factors can foster pluralistic ignorance:

  • Short-term leaders and guaranteed turnover;
  • Institutionalised deference to senior leaders and the high value placed on conformity;
  • Fear of reprisal.

Read his blog post for the six remedies he suggests.

Link: https://fromthegreennotebook.com/2024/02/09/pluralistic-ignorance-a-danger-to-organizational-culture-and-leader-selection/

Stratos Podcast #1: Leadership

[KFK, 24.11.2023, Niklaus Jäger, Stefan Aegerter, Christoph Brunner]

Leadership bedeutet, zusammen mit Menschen ein Ziel zu erreichen. Welche Eigenschaften sind dafür nötig? Was heisst es, unter Zeitdruck zu führen? Digital und auf Distanz? Und welche Gemeinsamkeiten gibt es punkto Leadership zwischen Polizei und Armee? Darüber diskutieren Stefan Aegerter, Direktor des Schweizerischen Polizei-Instituts in Neuenburg, und Oberst i Gst Niklaus Jäger, Kommandant des Kommandos Führungs- und Kommunikationsausbildung der Schweizer Armee.

Link: https://leadershipcampus.ch/blog/2023/11/24/stratos-podcast-1-leadership/

Wie die russischen Besatzer die ukrainische Gegenoffensive durcheinanderbringen

[Neue Zürcher Zeitung, 04.09.2023, Georg Häsler]

Mit Mitteln der elektronischen Kriegsführung stören die russischen Truppen die Kommunikation und somit die Führung ukrainischer Einheiten in Frontnähe. Auftragstaktik ermöglicht mehr Autonomie, somit können Einheiten auch bei einem Verbindungsabbruch zur vorgesetzten Stelle weiter im Sinne des Auftrags handeln.

Link: https://www.nzz.ch/international/ukraine-mit-elektronischer-kriegsfuehrung-stoert-russland-die-gegenoffensive-ld.1753550

Decentralize and Conquer: Brown Pushes for More Autonomy in New Doctrine Publication

[Air & Space Forces Magazine, 18.08.2023, David Roza]

For the previous decades, the U.S. Air Force (USAF) had air superiority in all the conflicts it engaged in, which allowed for centralization on all levels. In a potential conflict with China, the USAF would likely operate in contested airspace and in far and remote places. Furthermore, communications could be jammed and then centralised command would break down, which raises the importance of airmen being able to conduct missions autonomously. The USAF consequently recently adapted its doctrine, re-focusing on its previous strengths of mission command and decentralised execution. General Brown also pointedly summarizes the potential pitfall of mission command: «there is a fine line between leaning forward and falling over». To read his worthwhile comment as well, open the article of the magazine and click on «memo».

Link: https://www.airandspaceforces.com/air-force-doctrine-brown-decentralize/


Über das «Update Führung»

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Leader's Digest Leader's Digest #3 Newsletter

Buch des Monats: «Team of Teams: New Rules of Engagement for a Complex World» von Stanley McChrystal et al.

Was ist die Kernaussage des Buches?

Unter anderem die technologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte führten zu einer immer interdependenteren, schnelllebigeren, komplexeren und weniger vorhersehbaren Welt, in der sich Organisationen und Führungspersonen permanent in und an die sie umgebende Umwelt anpassen und Widerstandsfähigkeit entwickeln müssen.

Die schnelle Anpassungsfähigkeit von Denkweisen, Prozessen und Strukturen in komplexen, sich rasch wandelnden Kontexten und Netzwerken ist heute für den Erfolg entscheidend.

Dazu werden eine Organisationskultur und -struktur benötigt, die sich weg von starren Hierarchien und «Silo-Denken» hin zu einer «Team of Teams»-Struktur (eine Art Netzwerkorganisation) entwickeln. Die Eigenschaften und Merkmale von (erfolgreichen) Teams sollen auf die gesamte Organisation erweitert werden.

Eine «Team of Teams»-Kultur entsteht durch die Verinnerlichung des gemeinsamen Zwecks (common purpose), den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen (building trust) und die Schaffung eines gemeinsamen Bewusstseins (shared consciousness). Dazu sind ein ganzheitliches Verständnis für das Zusammenspiel aller Teams sowie umfassend geteilte und transparente Informationen (shared information) notwendig.

Konsequenzen für das Selbstverständnis von Führungspersonen sind: Der Ansatz, wie ein «Schachmeister» führen zu wollen, der jeden Zug der Organisation kontrolliert, soll der Herangehensweise eines «Gärtners» weichen; einer Führungsperson, die eher ermöglicht und befähigt als anleitet, und die durch persönliches Beispiel wirkt. Die Führungskraft agiert in einem solchen Kontext eher als «Eyes-On, Hands-Off»-Ermöglicherin, die ein Umfeld schafft und aufrechterhält, in dem die Teams eigenverantwortlich und dezentral operieren und entscheiden können (empowered execution). Dazu gehört eine Kultur, die Zusammenarbeit, Systemdenken, individuelle Initiative und kritisches Denken fördert.

Was gefällt Ihnen an diesem Buch am besten?

Anhand von zahlreichen persönlichen Erfahrungen von General Stanley McChrystal, u.a. als Kommandant der Joint Special Operations Task Force im Irak, und historischen Beispielen (u.a. Admiral Nelson, Frederick Winslow Taylor, Alexis Tocqueville) vermittelt das Buch vielfache Gedankenanstösse zu Elementen einer Organisations-, Führungs- und Entscheidungskultur sowie einem Führungsverständnis in einem komplexen, sich rasch verändernden Umfeld/Kontext.

Es zeigt konkrete Beispiele der Umsetzung auf, verschweigt dabei aber nicht die Herausforderungen der Konkretisierungen der Schlüsselwörter bzw. Schlüsselkonzepte (Vertrauen und gemeinsames Bewusstsein aufbauen, Adaptionsfähigkeit und Resilienz entwickeln, etc.).

Speziell lesenswert sind die Passagen, in denen General McChrystal seinen Weg von der Vorstellung der Führungsperson als «heroische Führungskraft» zum «bescheidenen Gärtner» sowie die Bedeutung von Führung durch Vorbild reflektiert.

Gibt es Punkte, in welchen Sie die Argumentation des Buches nicht unterstützen, oder Bereiche, die Ihrer Meinung nach zu kurz kommen?

Die Argumentation des Buches ist stringent und liefert konkrete Umsetzungsvorschläge und Beispiele, schwergewichtig – aber nicht nur – bezogen auf Führung und Organisation in Extremsituationen.

Die Autoren erheben gleichwohl auch den Anspruch, in ihrem Buch einen Ansatz zu skizzieren, der es allgemein einer (beliebigen) Organisation ermöglichen soll, sich an neue Anforderungen anzupassen und Erfolg zu haben (das letztlich alles entscheidenden Ziel). Organisationen haben jedoch unterschiedliche Rollen, Grössen, Zwecke sowie Aufträge und agieren in ihrem je spezifischen Kontext und «Ökosystem». Erfolg wird daher anhand unterschiedlicher Kriterien definiert. Auch ist die gesellschaftliche Bedeutung von einzelnen Organisationen unterschiedlich. Interessant für mich wäre, noch vertieftere Überlegungen von den Autoren zu den Kriterien von Erfolg und der Relevanz von unterschiedlichen Organisationen für die Gemeinschaft zu erhalten.

An wen richtet sich Ihre Empfehlung?

An Personen, die sich Gedanken zur eigenen Organisations- und Führungskultur machen oder ihr eigenes Führungsverständnis reflektieren wollen.

Wie hat Ihnen dieses Buch im militärischen Führungsalltag geholfen?

Indem es mir half, unsere militärische Führungskultur und mein eigenes Führungsverständnis zu reflektieren.

Welchem Teilaspekt des Command-Leadership-Management-Modells ordnen Sie dieses Buch zu?

Das Buch liefert zu allen drei Teilaspekten des CLM Modells Inputs: zum Beispiel Gedanken zur Auftragstaktik (Command), zur Bedeutung des Vertrauens (Leadership) sowie zu Entscheidungsprozessen (Management).

Wo sehen Sie zukünftig die grössten Herausforderungen für die Führung in der Schweizer Armee?

Dass es uns gelingt, unser Führungsverständnis überzeugend vorzuleben, nachhaltig auszubilden und – wo notwendig – weiterzuentwickeln.

Und wo sehen Sie diesbezüglich die grössten Chancen?

Wir verfügen mit dem Dienstreglement (DRA), den Reglementen Taktische Führung (TF 17), Operative Führung (OF 17), Militärstrategische Führung (MF 17), Führungs- und Stabsorganisation (FSO 17) sowie den Handbüchern der Führungsausbildung über hilfreiche und zeitgemässe Grundlagen zu allen Aspekten der Führung.


Über den Rezensenten

Oberst im Generalstab Dieter Baumann ist promovierter Theologe und hält einen Master of Science in National Resource Strategy der National Defense University, Washington, D.C.

Seit 2006 ist er als Berufsoffizier in verschiedenen Funktionen tätig; unter anderem war er Kommandant einer Kader- und einer Rekrutenschule. 2013 leistete er einen Friendensförderungsdienst im Kosovo als Kommandant des Swisscoy Kontingentes 28.

Wissenschaftlich beschäftigt er sich mit dem Thema Militärethik und publizierte unter anderem ein Buch zu diesem Thema (www.militärethik.ch).

Über das «Buch des Monats»

Das «Buch des Monats» ist eine wiederkehrende Rubrik des Newsletters Leader’s Digest. Dieser Newsletter entsteht in Kooperation des Leadership Campus der Schweizer Armee und der Dozentur Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich. Wenn Sie Leader’s Digest noch nicht abonniert haben, finden Sie unter folgendem Link weitere Informationen sowie das Formular zur Anmeldung.

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Leader's Digest Leader's Digest #2 Newsletter

Decision Game und Handlungsempfehlungen aus Leader’s Digest #2

Die Decision Games des Leader’s Digest sollen die Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters anregen, sich im Rahmen von Szenarien in die Rolle von Personen zu versetzen, die sich mit ethischen bzw. taktischen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Zunächst wiederholen wir das von Oberstlt i Gst Olaf Niederberger erstellte Szenario; im Anschluss findet sich eine Würdigung der eingegangenen Handlungsempfehlung durch Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter, Dozent Führung und Kommunikation der Militärakademie an der ETH Zürich.

Decision Game aus Leader’s Digest #2

Gegner

Die Nacht brachte Klarheit. Das Unmögliche ist eingetroffen. Es ist Krieg. Um 0300 wurde die Bevölkerung durch Sirenenalarm in Angst und Schrecken versetzt. In der Ferne waren dutzende Explosionen zu vernehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass Abstandswaffen gegen Schlüsselziele eingesetzt werden. Während das Internet und der Mobilfunk seit Mitternacht einen Totalausfall erleiden, reissen Funkverbindungen ständig ab. Letzten, unbestätigten Berichten zufolge sollen mehrere Kilometer nördlich des Grenzflusses gegnerische mechanisierte Kräfte einen Bereitstellungsraum bezogen haben. Vor Sonnenaufgang überflogen mehrere Transport- und Kampfhelikopter im Tiefflug unseren Sektor in Richtung Autobahn-Drehscheibe nach Südwesten. Die EKF (Elektronische Kriegsführung)-Einrichtung auf dem Hügel Z brennt. Der eigentliche Nichtraucher Hptm Honsberger drückt seine Zigarette aus, verflucht in Gedanken den Generalstab und sagt seiner Gefechtsordonanz: «Man hat es offenbar verpasst dem Feind mitzuteilen, dass dies hier eine Nebenzone ist».

Eigene Mittel

Die Territorialverteidigungskompanie (Miliz) von Hptm Honsberger hat sich im Bestand in den letzten Wochen auf rund 100 Angehörige verdreifacht. An noch mehr Freiwilligen aus der Umgebung hätte es nicht gemangelt, allerdings fehlte die Ausrüstung. Honsberger war zufrieden mit seiner Auswahl. Als Gemeinderat und Lehrer kannte er viele der Kandidaten persönlich. Er wählte die Leute nach militärischen Vorkenntnissen, charakterlichen Eigenschaften und im Einzelfall auch nach speziellen Kenntnissen aus wie bspw. der Erfahrung mit Drohnen oder das Besitzen einer erweiterten Sanitätsausbildung. Er hatte ein gutes Gefühl bei seiner Kompanie, insbesondere da sämtliche Schlüsselfunktionen durch die «alten Hasen» besetzt waren. Das Einzige, das ihm Bauchschmerzen verursachte, war der Umstand, dass aufgrund der laufenden Einsätze und dem administrativen Aufwand für den «Aufwuchs» kaum Zeit für die Überprüfung der Ausbildung vorhanden war.

Die Kompanie von Hptm Honsberger gliedert sich in drei leichte Infanterie-Züge mit je drei Gruppen. Die Mobilität ist durch requirierte Geländewagen, Motorräder und E-Bikes sichergestellt.

Der Unterstützungs-Zug von Hptm Honsberger besteht aus zwei Panzerabwehr-Gruppen (je 1x Radschützenpanzer 93 & NLAW Panzerabwehrlenkwaffen), einem Späher Trupp mit vier MOTS Mini-UAV, ein Feuerunterstützungs-Trupp mit 8.6mm Scharfschützengewehr und 6cm Mörser, einem Logistik-Element bestehend aus je einem Ns (Nachschub)-, Ih (Instandhaltungs)- und San (Sanitäts)-Trupp sowie einem Kommando-Element. Im Munitions-Magazin der Kompanie im Wald Y (Siehe Karte) liegt seit zwei Tagen zusätzliche Munition eingelagert (u.a. 12x NLAW, 24x RGW 90, beides Panzerabwehrwaffen, 48x 6cm Wurfgranaten, 3x Trichter-Sprengladung 88).

Neben der Ausbildung der Neueingeteilten nahm die Kompanie seit Tagen ebenfalls Sicherungsaufgaben wahr. Nebst Patrouillen und Beobachtungsposten in Grenznähe sicherte die Kompanie den einzigen, mittlerweile geschlossenen Grenzübergang und hat diesen zur Sprengung vorbereitet. Zudem wurde Hptm Honsberger beauftragt, eine teil-mobile taktische EKF-Einrichtung auf dem Hügel Z zu schützen. Sämtliche Soldaten von Hptm Honsberger stammten aus der Umgebung und verbrachten die Ruhezeit zuhause. Ebenfalls im Einsatzraum von Hptm Honsberger war eine ihm nicht unterstellte Stinger-Gruppe, welche sich auf dem Hügel X eingerichtet hat.

Zwischen 0545 und 0600 trafen die «Melder» der Züge auf ihren E-Bikes beim Kommandoposten der Kompanie ein (Standardverhalten bei Kommunikationsabbruch).

  • Melder AMBOS: Kein Kontakt zu Gruppe UNO. Ein Schusswechsel aus Richtung Grenzübergang war hörbar. Rund ein Dutzend Ortsansässige sind mit privaten Waffen beim Rathaus versammelt. Mittlerweile wird im Dorfzentrum geschossen, unklar ist gegen wen. Zugführer AMBOS beantragt mit zwei Gruppen zum Grenzübergang durchzubrechen und die Sprengung der Brücke vorzunehmen.
  • Melder BIVIO: Es liegt eine künstliche Nebelwand am nördlichen Ufer. Schwere Motorengeräusche aus nördlicher Richtung. Zwei unserer privaten Mini-UAV sind abgestürzt. Die Gruppe UNO überwacht das Gelände, sieht allerdings nicht viel. Gruppe DUE und TRE sind komplett am Sammelpunkt eingetroffen. Wir hätten ein Boot, der Zugführer fragt, ob er die Grenze überschreiten kann, um die gegnerischen Aktivitäten aufzuklären. Darüber hinaus scheint die Stinger-Gruppe einen Helikopter abgeschossen zu haben. Offenbar gab es Überlebende, welche flüchtig sind, bewaffnete Einheimische aus Dorf B durchsuchen mit Hunden den Wald U.
  • Melder CANALE: Es gab einen Einschlag bei der EKF Einrichtung. Keine Verbindung zur Gruppe UNO vor Ort. Der Zugführer hat einen Trupp losgeschickt, um allenfalls erste Hilfe zu leisten, drei Zivilisten aus dem Samariterverein haben sich dem Trupp angeschlossen. Der Rest des Zuges ist am Sammelplatz und wartet auf deinen Befehl.

Auftrag

Hptm Honsberger zerbricht sich den Kopf. Eigentlich lautet sein Auftrag: «Präsenz markieren, Aufklärung in deinem Raum betreiben, irreguläre Kräfte binden und damit günstige Voraussetzungen für den Einsatz der Interventionskräfte zu schaffen». Für den Fall, dass wider Erwarten die regulären gegnerischen Streitkräfte die Landesgrenze in seinem Abschnitt überschreiten, wird lediglich in einer übergeordneten Einsatzplanung beschrieben, dass die Territorialkräfte in der Nebenzone den Gegner ab Landesgrenze «bekämpfen» sollen, um auf operativer Stufe eine Schwergewichts-Verlagerung zu ermöglichen. Weiter sagt die Doktrin, dass Territorialkräfte im Falle eines gegnerischen Durchbruchs den Kampf «selbständig über eine längere Zeit mittels nadelstichartiger Aktionen» führen sollen.

Umwelt

Dorf A hat rund 4000 Einwohner und einen historischen Ortskern. Dörfer B, C, D & E haben zwischen 1000 und 2000 Einwohner. Die Gebäude sind eine Mischung aus soliden, teilweise historischen Wohngebäuden und teilweise leichteren gewerblichen Bauten. Das Zwischengelände ist durchzogen mit Hecken, vereinzelten Bäumen, vereinzelten Trockenmauern und vereinzelten Bauernhöfen. Es weist nur selten Schussdistanzen grösser als 400m auf. Der Grenzfluss weist westlich der Brücke zwei Stellen auf, welche nach rund einer Stunde Vorbereitung zum Furten geeignet wären. Zwischen dem Hügel W und X befindet sich ein Panzerhindernis, die Stahlspinnen zur Schliessung der Strasse befinden sich in bei Zug BIVIO in Dorf C.

Fragestellung

Wie handeln Sie in diesem Szenario als Hptm Honsberger?

Handlungsempfehlungen zum Decision Game aus Leader’s Digest #2

Nachdem auf das Ethical Decision Game im Januar zwölf Einsendungen eingegangen waren, hat uns im Februar auf das Tactical Decision Game nur eine einzige Handlungsempfehlung erreicht, obwohl die Anzahl Abonnenten erfreulicherweise auf über 900 gestiegen ist. In der Redaktion hat das drei Überlegungen provoziert:

  • Die Kür des Siegers fällt dieses Mal deutlich leichter, und da es sich um eine durchdachte mögliche Lösung handelt, scheint sie uns auch gerechtfertigt.
  • Es bestätigt uns in unserer Ansicht, dass wir in der Schweizer Armee viel zu wenig über taktische Führung sprechen und die Führungsausbildung zu stark auf Verfahrenssicherheit (Management) und zu wenig auf Handlungssicherheit (Command) ausgerichtet ist.
  • Das heisst nicht, dass wir zu viel über Verhaltenssicherheit (Leadership) sprechen. Deshalb werden wir weiterhin wie beabsichtigt Ethical Decision Games und Tactical Decision Games im Wechsel aufwerfen. Um verteidigungsfähig zu werden, müssen wir beide Aspekte stärken.

Nachfolgend die vorgeschlagene Lösung inklusive Skizze des Gewinners, kommentiert von Oberstlt i Gst Patrick Hofstetter:

Die Kommentare sind nicht umfassend gedacht, sondern heben beispielshaft einzelne Punkte hervor. Die Lösung wurde als Fünf-Punkte-Befehl eingereicht, was absolut zielführend ist. Die Skizze ist dabei Teil der Befehlsgebung – jeder Zugführer soll eine Kopie erhalten.

In der Orientierung legt der Kompaniekommandant die möglichen gegnerischen Stösse über die Brücke und über die möglichen Stellen zum Furten (zwischen U und Q) aus. Offensichtlich kennt der Gewinner den Ablauf eines mechanisierten Angriffs und legt ihn den Zugführern verständlich aus. Er weist aber auch auf mögliche irreguläre gegnerische Kräfte hin, was mir wichtig scheint, einerseits als mögliche Erklärung für den Schiesslärm in Dorf A und damit als Aufklärungsbedarf («besonderes nachrichtendienstliches Bedürfnis»), andererseits als Sensibilisierung.

Die Absicht ist in zwei Phasen gegliedert: eine Vorbereitungsphase von 60 Minuten und eine anschliessende Kampfphase von mindestens 270 Minuten. Dies scheint mir zweckmässig und angesichts des Zeitbedarfs zum Furten realistisch. Die erste Phase ist für meinen Geschmack viel zu ausführlich. Sie umfasst sieben Punkte, die eher Einzelaufträgen entsprechen und die Zugführer teilweise übersteuern. Beispiel: Wenn ich als Kompaniekommandant beabsichtige, «mit einer Gruppe die Brücke zu sprengen», nehme ich dem betroffenen Zugführer die Handlungsfreiheit, dies mit zwei Gruppen zu tun. Aufgrund des Schiesslärms im Raum A könnte es angezeigt sein, dies mittels zwei Gruppen in Feuer und Bewegung zu tun – bei der Brücke handelt es sich zweifelsfrei um Schlüsselgelände, was ein Schwergewicht berechtigen würde. Die zweite Phase ist hingegen in der Kombination Wort und Bild knapp und klar.

Die Aufträge an die Gefechtszüge sind schlicht gehalten. Im Wesentlichen erhält jeder Zug einen Verzögerungsauftrag mit zusätzlichen Nebenaufträgen (AMBOS: Zerstörung der Brücke; BIVIO: Untersuchen des Helikopterwracks; CANALE: EKF-Element retten). Beim Unterstützungszug sieht es mit neun Aufträgen etwas anders aus. Es ist fraglich, ob ein Unterstützungszug – in Analogie zum Sensor-Wirkungsverbund, den die Unterstützungskompanie in der Infanteriedoktrin sicherstellen muss – tatsächlich über alle Zugssektoren hinweg wirken kann und soll. So würde ich etwa die Sprengung der Nebenachsen den Zügen den jeweiligen Sektoren zum Auftrag geben und den Unterstützungszug eher zur Schwergewichtsbildung im westlichen Verteidigungsstreifen konzentrieren. Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass der Zugführer ein Organisationstalent ist.

Bei den besonderen Anordnungen betont der Gewinner die Bedeutung der Autonomie, was angesichts der kommunikativen und koordinativen Herausforderung sicher berechtigt ist. Bei den Standorten erwähnt er neben des Kompaniegefechtsstands (Hügel X) auch die Verteilpunkte für die Munition, sicher eine entscheidende Koordinationsmassnahme.

Zusammengefasst handelt es sich bei der Einsendung um eine durchdachte und fundierte mögliche Lösung. Natürlich können – und sollen – Kritikpunkte angebracht werden. Entscheidend ist, dass ein Kompaniekommandant in so einer Lage seinen Unterstellten Orientierung bietet und seine Absicht vermittelt, was dem Gewinner gelungen ist.

Wir danken Herrn Hauptmann Nicolas Penseyres und gratulieren ihm zum Gewinn des Buchs des Monats. Wir werden ihm «About Face: Odyssey of An American Warrior» von David H. Hackworth bald zustellen.

Darüber hinaus ermutigen wir alle Leserinnen und Leser, sich auch einmal in einem tactical decision game zu versuchen. Die Gewinnchancen dürften relativ hoch bleiben.

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Praktisch Chef #16: Marcel Juen

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